AZ-Kommentar: Nicht nur der Westen ist schuld

Der Westen hat Fehler gemacht, aber trägt er die Alleinschuld an der Flüchtlingskrise, die ihm viele aufbürden wollen? Nein, schreibt AZ-Vize Timo Lokoschat.
von  Timo Lokoschat
Flüchtlinge in München.
Flüchtlinge in München. © dpa

Die so genannte unbequeme Wahrheit ist fast schon eine Binsenweisheit: USA, EU, Nato und Co tragen eine gehörige Portion Mitschuld an der Flüchtlingskrise und müssen an ihrer Lösung arbeiten. Trotzdem ist das nur die eine Seite der Medaille - und so sollte die gängige Selbstanklage des Westens nicht den Blick auf andere Akteure verstellen.

Russland beispielsweise unterstützt seit Jahren das Assad-Regime, vor dem mindestens so viele Menschen fliehen wie vor dem Islamischen Staat. Und wie viele syrische Flüchtlinge nimmt Putin auf? Keine.

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Golfstaaten wie Katar stehen unter Verdacht, die Terrormiliz finanziert zu haben. Und gewähren die reichen Scheichs ihren muslimischen Glaubensbrüdern Asyl? Nein.

Auch Terrorbewegungen wie Boko Haram in Nigeria sind ganz ohne das Zutun des bösen Westens entstanden - und alles, was auf dem afrikanischen Kontinent schief läuft, auf die Kolonialzeit zu schieben, ist ein bisschen simpel; mit den Milliarden an Entwicklungshilfe haben sich vor allem korrupte und unfähige Eliten die Taschen gefüllt.

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Und dass die meisten - eigentlich alle - islamisch geprägten Staaten nicht in der Lage sind, moderne, zivilgesellschaftliche Strukturen zu etablieren, lässt sich ebenfalls nur mit viel Phantasie Berlin, Brüssel und Washington anlasten.

Selbstkritik? Ja, bitte. Freispruch für alle anderen? Bitte nicht.

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