Auf dem Weg: Steht die Gründung der Partei von Sahra Wagenknecht kurz bevor?
Berlin - Sie ist beliebter als der Kanzler, schillernder Talkshow-Dauergast, Ikone der Linkspartei und zugleich deren größte Bedrohung: Sahra Wagenknecht. Die charismatische Ostdeutsche, die lange als Kommunistin aufgetreten war, denkt immer lauter darüber nach, ihrer Partei den Rücken zu kehren.
Führt sie bald ihre eigene Truppe ins politische Feld, links, aber migrationskritisch? Würde das die AfD schwächen oder ihr Koalitionsoptionen bieten? Sicher ist: Beim Stichwort Linkspartei denken viele an Wagenknecht und wenige an Janine Wissler oder Martin Schirdewan, die aktuellen Vorsitzenden. Die 54-Jährige hat derzeit in Partei oder Fraktion kein Amt, landete aber im ARD-Deutschlandtrend auf Platz vier der beliebtesten Politiker, vor Regierungschef Olaf Scholz (SPD).
Bis Ende des Jahres will Sahra Wagenknecht entscheiden, ob sie eine eigene Partei gründet
Ex-Linken-Boss Klaus Ernst sagte der AZ: "Bis Ende des Jahres wird sich Sahra Wagenknecht entscheiden, ob sie eine eigene Partei gründet. Wenn sie es tut, dann bin ich dabei." Die Verantwortung für die drohende Spaltung sieht er bei der Linken-Spitze, "die mit unserem ursprünglichen Ziel, den abhängig Beschäftigten eine politische Stimme zu geben, nichts mehr zu tun hat".
Die Hauptanliegen vieler Parteifreunde, "der Antirassismus und die Flüchtlingspolitik", seien ehrenwert. Doch der im Zeichen des Klimaschutzes geführte "Kampf gegen die Autoproduktion" richte sich gegen Beschäftigte. Den Bogen überspannt habe die Parteiführung mit der Nominierung von Carola Rackete, bekanntgeworden als Kapitänin eines Flüchtlingsrettungsschiffs, zur Spitzenkandidatin für die Europawahl.
Mit ihrer "Aufstehen"-Initiative war Sahra Wagenknecht 2018 gescheitert
Um bei Wahlen antreten zu dürfen, muss eine neue Partei in der Fläche organisiert sein. So könnte Wagenknecht es zuerst bei der Europawahl 2024 probieren. Doch mit politischer Kärrnerarbeit tut sie sich schwer. Schon einmal ist ihr Versuch, sich an die Spitze einer linken Sammlungsbewegung zu stellen, gescheitert. Unter dem Namen "Aufstehen" rief sie 2018 eine überparteiliche Initiative ins Leben. Intellektuelle wie Politikwissenschaftler Peter Brandt hatten sie unterstützt.
Der Sohn von SPD-Kanzler Willy Brandt sagte der AZ: "Aufstehen war aus dem Gefühl heraus entstanden, dass die drei Parteien links der Mitte nicht vermögen, dem wachsenden Unmut über die zunehmende soziale Ungleichheit Ausdruck zu verleihen." Gescheitert sei "Aufstehen" an "grundlegenden Strukturproblemen".
Meinungsforscher glauben, die Wagenknecht-Partei könnte bis zu 25 Prozent der Stimmen holen
Der Linken-Vorstand will die Rebellin loswerden. Im Falle einer Abspaltung aber würden bleibende Bundestagsabgeordnete den Fraktionsstatus verlieren. Eine Rest-Linke hätte es schwer, ins Parlament zu kommen. Auch auf Landesebene würde sich eine Reihe von Politikern einer Neugründung anschließen – gerade im Osten. Dort eckt Wagenknechts Verständnis für Russlands Präsidenten Putin weniger an als im Westen. In den neuen Ländern könnte eine weitere Partei Regierungsbildungen weiter erschweren.
Was die Erfolgschancen betrifft, gehen die Ansichten auseinander. Meinungsforscher Hermann Binkert (Insa) sieht für eine Wagenknecht-Partei ein Potenzial von bis zu 25 Prozent. Sie würde "ganz direkt vor allem AfD und Linke schwächen, die bis zu jeden Zweiten ihrer aktuellen Wähler verlieren könnte".
Manfred Güllner, Chef des Instituts Forsa, sagte der AZ: "Sahra Wagenknecht überschätzt sich. Realistisch betrachtet ist sie nicht die Polit-Ikone, als die sie oft dargestellt wird." In der Parteienlandschaft sei kein Platz: "Wo will sie sich denn dazwischenmogeln? Das Thema Sozialleistungen haben schon die Linke und der linke Teil der SPD besetzt. Und das Feld der Migrationskritik hat die AfD besetzt. Radikaler als die kann Wagenknecht nicht sein."