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Anton Hofreiter im großen AZ-Interview: "München ist in Teilen eine gefährliche Stadt für mich geworden"

Im großen AZ-Interview spricht Anton Hofreiter (Grüne) über den allgemeinen Rechtsruck in Europa, Söders Hang zu Außenpolitik und zunehmende Anfeindungen gegen Politiker.
Natalie Kettinger
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Anton Hofreiter im Gespräch mit AZ-Politik-Chefin Natalie Kettinger.
Anton Hofreiter im Gespräch mit AZ-Politik-Chefin Natalie Kettinger. © Sigi Müller

München - Der gebürtige Münchner Anton Hofreiter (54) war von 2013 bis 2021 neben Katrin Göring-Eckardt Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion. Seit 2021 ist der Biologe Vorsitzender des Europa-Ausschusses. Lesen Sie hier den zweiten Teil des großen AZ-Interviews mit Anton Hofreiter. Den ersten Teil können Sie direkt hier lesen.  

AZ: Herr Hofreiter, Macron hat in seiner Rede an der Universität Sorbonne davor gewarnt, Europa sei sterblich – und mehr Eigenständigkeit angemahnt. Sie haben vom Bundeskanzler daraufhin eine "europäische Zeitenwende" verlangt. Wie soll die aussehen?
Anton Hofreiter: Wir müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass die Lage in Europa nicht bleiben muss, wie sie aktuell ist: China greift die Basis unseres Wohlstandes an, unsere Industrie. Russland greift unsere Demokratie und unsere Freiheit an, von außen und von innen, am brutalsten gerade in der Ukraine, aber über Geheimdienstoperationen auch in vielen anderen Ländern. Bei uns haben die Autokraten dabei Verbündete: die Landesverräter von der AfD.

Was braucht es neben diesem Bewusstsein noch?
Wir müssen zusammenarbeiten – und in unsere Unabhängigkeit und die Sicherheit investieren.

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Bei der Europawahl droht ein Rechtsrutsch im EU-Parlament. Wer trägt die Schuld daran?
Erstmal warten wir das Ergebnis der Wahl ab. Noch ist nichts entschieden! Eine Ursache für das Erstarken rechtsextremer Parteien in Europa ist, dass wir unterschätzen, wie viel Unterstützung die extreme Rechte von den Feinden unserer Demokratie erhält, insbesondere durch Propaganda in den Sozialen Netzwerken. Hinzukommt die Struktur der Sozialen Netzwerke selbst. Es gibt Schätzungen, dass es aufgrund der Algorithmen um den Faktor 10 wahrscheinlicher ist, dass sich Hass und Hetze in den Sozialen Netzwerken verbreiten als nüchterne Fakten. Außerdem hatten wir kürzlich eine Pandemie. Es ist historisch immer so gewesen, dass Pandemien viele Menschen sehr stark verunsichern und diese darauf mit dem Ruf nach autoritären Modellen reagieren. Hinzukommen der Krieg, die Klimakrise, die starken technologischen Veränderungen – und dass Regierungen in der Methode oder in der Sache vielleicht nicht immer gut genug reagieren.

"Sensationelle Leistung nicht als solche wahrgenommen"

Wie meinen Sie das?
Ein Beispiel: Unsere Bundesregierung hat sehr gut dafür gesorgt, dass wir uns aus unserer extremen Abhängigkeit von Russland lösen konnten, ohne dass es zu einem Blackout kam und ohne dass Unternehmen zwangsabgeschaltet werden mussten. Der Weg dorthin war allerdings gepflastert mit einer ganzen Reihe heftiger Auseinandersetzungen, auch innerhalb der Regierung. Das hat dazu geführt, dass viele Leute diese eigentlich sensationelle Leistung nicht als solche wahrgenommen haben. Das ist nicht nur ein Kommunikations-, sondern ein Methodenproblem. Wenn im Kabinett gestritten wird und der Kanzler nicht ordentlich führt, wird es eben kompliziert – selbst wenn das Ergebnis dann gut ist.

Wie bewerten Sie es mit Blick auf das Erstarken der europäischen Rechten, dass Bayerns Ministerpräsident nach Rom reist, um die Post-Faschistin Giorgia Meloni zu treffen?
Es hat einen gefährlichen Touch, dass er glaubt, Außenpolitik machen zu müssen. In China war das zum Glück weniger relevant, weil sein Besuch dort keine Wirkung entfaltet. Wirklich gefährlich war, dass er Alexander Vucic in Serbien besucht und ihm den Rücken gestärkt hat. Das ist ein russlandnaher Autokrat, bei dem man immer die Sorge haben muss, dass er im Kosovo wieder Chaos stiftet. Wenn er Giorgia Meloni darin bekräftigt, die Pressefreiheit im eigenen Land weiter abzubauen, wäre das ein großes Problem.

"Problem, wenn wir zu viele Autokraten haben"

Das wird er wohl nicht tun.
Man weiß nie, was er treibt. Generell wird es irgendwann zum Problem, wenn wir in Europa zu viele Autokraten haben.

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Zurück nach Deutschland. Bei der AfD reiht sich aktuell ein Skandal an den nächsten: Ein Mitarbeiter des Europa-Spitzenkandidaten steht unter Verdacht, für China spioniert zu haben. Er und die Nummer zwei auf der Liste sollen Kontakte zu russischen Netzwerken pflegen. In Bayern wird gegen einen Abgeordneten wegen Volksverhetzung ermittelt. Ist das der Beginn einer Entzauberung?
Die Umfragewerte der AfD gehen zurück, ihr Aufstieg ist gestoppt. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass bei ihren hardcore-rechtsradikalen Anhägern egal ist, was diese Typen machen. Das sieht man bei der FPÖ in Österreich, einer seit Jahren zutiefst korrupten, ins Kriminelle hineingehenden Partei, die wieder super in den Umfragen dasteht. Deshalb brauchen wir ein Bewusstsein dafür, dass es sich hier nicht um Ausrutscher handelt, sondern dass Landesverrat und Demokratiefeindlichkeit bei denen tief verankert sind. Man hat viel zu lange so getan, als hätten die irgendwas mit Demokratie zu tun, nur weil sie demokratisch gewählt sind. Aber, um mal einen ehemaligen CDU-Generalsekretär zu zitieren, eine Demokratie ist eben kein Waschvorgang. Man kann demokratisch Faschisten wählen.

"Einen guten Kontakt zur bayerischen Polizei"

Der Ton in den deutschen Parlamenten ist nach dem Einzug der AfD rauer geworden, außerhalb wurden zuletzt mehrere Ihrer Partei-Kollegen massiv angegangen. Werden Sie selbst heute mehr bedroht als früher?
Lassen Sie es mich so sagen: Ich bekomme immer noch deutlich mehr positive Rückmeldungen. Das Problem ist allerdings, dass die aggressive Sprache einen Teil der negativen Rückmeldungen gefährlich macht – und ich deshalb deutlich mehr aufpassen muss. Ein absoluter Tiefpunkt in dieser Hinsicht war der letzte Landtagswahlkampf im Freistaat mit den Aussagen von Herrn Söder, die Grünen würden nicht zu Bayern gehören und seien Insektenfresser. Das hat sich direkt auf meine persönliche Sicherheit niedergeschlagen, München ist damals in Teilen eine gefährliche Stadt für mich geworden.

Was ist geschehen?
Ich wurde auf der Straße bedroht und hatte einfach Glück, dass nichts Schlimmeres passiert ist.

Haben Sie denn keinen Personenschutz?
Nein – aber wir haben einen guten Kontakt zur bayerischen Polizei und die macht einen super Job.

 

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67 Kommentare
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  • zOTTEL am 03.05.2024 11:27 Uhr / Bewertung:

    Naja Deutschland ist ein gefährliches Land geworden - und der Zulauf zu Mitte-Rechts ist nur die Reaktion auf die ignorierte Gefahr...

  • Da Ding am 04.05.2024 13:30 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von zOTTEL

    Erstaunlich, dass der Zulauf zu genau denen ist, die es mit gut 50 Jahren Regierungsverantwortung verursacht haben.

  • Der wahre tscharlie am 04.05.2024 16:23 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von zOTTEL

    "und der Zulauf zu Mitte-Rechts "

    Seid wann ist die AfD Mitte-Rechts? Dort wäre sie vielleicht gerne.
    Die ist soweit von Rechts, dass sie anscheinend schon in Russland und China angekommen ist.

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