Alexis Tsipras – Immer für eine Überraschung gut

Athen – Alexis Tsipras ist zu Jahresbeginn als idealistischer Rowdy gestartet, hat sich im Amt des griechischen Regierungschefs aber immer mehr zum gewieften Machtpolitiker gewandelt. Nach monatelangem Hickhack flossen am Donnerstag die ersehnten ersten Milliarden des neuen Hilfsprogramms - und nur Stunden später warf sich der Chef des Linksbündnisses Syriza in einen neuen politischen Kampf, diesmal im Inland. Tsipras wollte laut Kreisen noch am Abend seinen Rücktritt verkünden und so den Weg zu Neuwahlen am 20. September freimachen. Das Ziel: Die Ausschaltung seiner innerparteilichen Opposition.
Wie es aus ihm nahestehenden Kreisen heißt, soll das Volk nun in Neuwahlen entscheiden, wie viel politische Bedeutung der fundamentalistische linke Syriza-Flügel tatsächlich beanspruchen kann. Die abtrünnigen Genossen lehnen seine mit den internationalen Gläubigern verabredete Sparpolitik ab und haben ihm mit Nein-Stimmen im Parlament wiederholt Knüppel zwischen die Beine geworfen - und zwar gleich drei Mal seit Anfang Juli.
Die Taktik, den Gegner ständig zu überraschen, beherrscht Tsipras seit jungen Jahren. Er durchlief einen klassisch linken Werdegang. Die ersten politischen Schritte machte er als Anführer rebellischer Schüler. Er wurde Mitglied der Kommunistischen Jugend Griechenlands (KNE). Dann folgte der Weg zur Anti-Globalisierungsbewegung und dem damals unbedeutenden Linksbündnis Syriza.
Im Sommer 2001 führte sein Engagement Tsipras mitten in die gewalttätigen Demonstrationen gegen den G8-Gipfel im italienischen Genua - eine britische Zeitung hat vor wenigen Wochen die Bilder ausgegraben, die den jungen Griechen am Rande von Auseinandersetzungen mit dutzenden italienischen Polizisten zeigen. Bei den schweren Zusammenstößen gab es damals Hunderte Verletzte, ein Demonstrant wurde erschossen.
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Der Weg von den Straßen Genuas in den Athener Regierungssitz ist das Meisterstück des heute 41-Jährigen. Die Wirbel und Stürme der Finanzkrise brachten Tsipras dahin, wo ihn niemand erwartet hatte: Er beendete im Januar den ewig scheinenden Regierungsreigen zwischen Konservativen und Sozialisten.
Unter Tsipras' Führung erlebte das Bündnis der Radikalen Linken (Syriza) einen fulminanten Aufstieg - von 4,6 Prozent im Jahr 2009 auf 26,9 Prozent 2012. Am 25. Januar gewann er die Wahlen klar mit 36,3 Prozent der Stimmen. Alle Umfragen deuten nun darauf hin, dass er auch die anstehenden Wahlen - wahrschenlich am 20. September - gewinnen wird. Unklar ist jedoch, ob er die absolute Mehrheit erreichen kann. Zurzeit regiert er in einer schwierig zu führenden Koalition mit Rechtspopulisten.
Grund für Tsipras damaligen Erfolg: Viele Griechen hatten die Versprechungen der alten Regierungsparteien satt. Sie führten mit ihrer Vetternwirtschaft das Land an den Abgrund. Tsipras - kein Teil der alten Machtelite - schien einen neuen Weg zu eröffnen.
Der Vater zweier Kinder lebt mit seiner Lebensgefährtin in Kypseli, einem Athener Arbeiter- und Angestelltenviertel. Selten sieht man das Paar zusammen. Peristera Baziana ist politisch aktiv, bleibt aber fast immer im Hintergrund.
Seit Januar definieren Tsipras und seine Mitarbeiter die griechische Politik. Einer kleinen Gruppe von etwa sieben Vertrauten wird großer Einfluss zugeschrieben - dazu gehören sein politischer Mentor, Alekos Flambouraris, und der Jugendfreund Nikos Pappas. Beide sind Staatsminister.
Tsipras bleibt vielen ein Rätsel. «Er hat viele Gesichter. Ich kann ihn nicht einstufen. Ein sogenanntes Janus-Gesicht», sagt ein erfahrener Psychologe aus der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki. Tsipras wirkt höflich, hat ein doppeldeutiges Lächeln, aber dann kommt plötzlich ein kämpferischer Spruch, mit geballter Faust will er gegen den Neoliberalismus kämpfen.
Er weiß aber auch, wann er einlenken muss. So vollzog er beim jüngsten Euro-Gipfel eine Drehung um 180 Grad und akzeptierte ein hartes Sparprohgramm im Austausch für die Rettung seines Landes mit einem neuen Hilfsprogramm von bis 86 Milliarden Euro.
Die Lage erscheint trostlos. Jeder Vierte ist ohne Job, die Einnahmen des Staates schrumpfen, Wachstum ist nicht in Sicht. Doch Tsipras versteht es, trotz der sozialen Härten das Volk auf seine Seite zu ziehen. «Wer eine andere Politik hat, der soll es sagen», sagt er immer wieder. Ganz gewiss würden nicht diejenigen Griechenland retten, die es in den Ruin geführt haben.
Ob Tsipras es auch diesmal schafft? «Auf eine Niederlage würde ich nie wetten», sagt Spyros Sarigannis, ein Prokurist im Zentrum Athens, der sich in der Börse sehr gut auskennt.