Aiwanger fällt Zitat von 2018 auf die Füße: "Weil so ein Polder ja nur alle 100 Jahre mal geflutet wird"

Die Ursachen stehen für die große Mehrheit der Experten und Wissenschaftler fest. Unlängst hat eine Forschungsgruppe vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ) und des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena "vier Hauptfaktoren" beschrieben: Niederschlagsmenge, Bodenfeuchte, Lufttemperatur und Schneebedeckung. Je mehr dieser Variablen zusammenkommen, umso extremer fallen die Hochwasserereignisse aus, berichtete Jakob Zscheischler vom UFZ.
Gründe für Hochwasser? Meist eine Kombination aus zu viel Niederschlag und starker Bodenfeuchte
In der Mehrzahl der untersuchten Hochwasserlagen der vergangenen Jahrzehnte seien mindestens zwei der vier Treiber beteiligt, am häufigsten eine Kombination aus viel Niederschlag und starker Bodenfeuchte. Diese Kombination hat auch zur derzeitigen Überschwemmungskatastrophe in Süddeutschland geführt. Die hohen Niederschlagswerte von bis zu 200 Liter pro Quadratmeter können wiederum die Meteorologen erklären - wie Andreas Wagner vom ARD-Wetter-Kompetenzzentrum.
Je wärmer die Luft ist, umso mehr Feuchtigkeit kann sie transportieren, erklärt Wagner. "Mit Physik ist das ganz leicht zu erklären", sagt Diplom-Meteorologe Dominik Jung. Warme Luft könne deutlich mehr Feuchtigkeit aufnehmen und transportieren als kühle Luft. Durch die globale Erwärmung seien die Luftmassen fähig, immer mehr Nässe aufzunehmen, so dass es auch zu immer heftigeren Regenereignissen kommen könne.
Verhalten der Hoch- und Tiefdrucksysteme verändert
Spätestens seit der Jahrtausendwende habe sich das Verhalten der Hoch- und Tiefdrucksysteme über Mitteleuropa verändert, erläuterte ARD-Meteorologe Wagner. Während im vergangenen Jahrhundert die Tiefdrucksysteme üblicherweise zügig von West nach Ost über Deutschland hinweg gezogen seien, würden sie neuerdings zwischen Hochdrucksystemen "eingekeilt" und könnten nicht mehr abziehen.
Dass sich das Klima in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, lässt sich laut Wagner nicht bestreiten. Alle Jahrhundert- oder Rekord-Hochwasserstände wurden seit 2002 beobachtet mit dem bisherigen Höhepunkt 2013, als der Donau-Pegel in Passau bei nahezu 13 Metern gemessen wurde. Das Kriterium "Jahrhunderthochwasser" hält der Meteorologe aus diesem Grund für überholt.
Maßnahmen sind notwendig: "Viele Fehler der letzten Jahrzehnte"
Besserung ist nicht in Sicht, denn selbst wenn es gelingt, die Erderwärmung noch zu stoppen, lassen sich die bisherigen Veränderungen nicht mehr rückgängig machen. Es muss sich also am Boden etwas tun, sagt auch der umweltpolitische Sprecher der CSU-Landtagsfraktion Alexander Flierl. Dazu fallen ihm und seiner Freie-Wähler-Kollegin Marina Jakob "technischer Hochwasserschutz, Sicherung von Retentionsräumen und der weitere Ausbau des Risikomanagements ein".
Die Entsiegelung oder wenigstens ein Stopp von weiteren Versiegelungen von Flächen kommt bei den "Lehren", welche die Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler aus der Hochwasserkatastrophe zu ziehen vorgeben, allerdings nicht vor. Für den Bund Naturschutz (BN) ist klar: Der weiterhin hohe Flächenverbrauch im Freistaat von über zwölf Hektar pro Tag führe zu einem viel zu schnellen Abfluss des Wassers direkt in Bäche und Flüsse. "Dazu", so BN-Landesbeauftragter Martin Geilhufe, "kommen viele Fehler der letzten Jahrzehnte, durch die unsere Landschaft systematisch entwässert wurde."
Als Beispiele nennt Geilhufe Entwässerungen durch Drainagen und Gewässerbegradigungen, Verdichtung der Böden durch intensive Landwirtschaft sowie Waldrodungen. "Intakte breite Auen" seien entscheidend für den Wasserrückhalt, ergänzt BN-Wasserexpertin Christine Margraf. Spätestens an dieser Stelle ist man bei den Boden-Kämpfen angelangt. Das Umsetzungsproblem scheint weitaus größer als das Erkenntnisproblem. Gemeinden und Anrainer wollten ihren Grund und Boden für Rückhalteflächen und Schutzdämme oft nicht abgeben, sagt ARD-Wetterexperte Wagner.
Hubert Aiwanger fällt Zitat von 2018 auf die Füße
In diesem Zusammenhang fällt dem bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) gerade ein Zitat aus dem Jahr 2018 auf die Füße. Damals hatte er sich gegen einige Flutpolder an der Donau ausgesprochen, die teilweise überflüssig und zu teuer seien, "weil so ein Polder ja nur alle 100 Jahre mal geflutet wird", hieß es vor vier Jahren in der "Augsburger Allgemeinen".

Sechs Jahre später könnte es freilich schon so weit sein. Die Forschungsgruppe aus Leipzig und Jena will mit ihrer Arbeit auch das Bewusstsein dafür schärfen, "dass schon dagewesene Überschwemmungen nicht das Schlimmste sind, was passieren kann". Zur Ehrenrettung Aiwangers sei angemerkt, dass er später den Widerstand gegen die Polder aufgab.
Je konkreter der Hochwasserschutz wird, umso mehr prallen Interessen und Ideologien aufeinander. Während CSU und Freie Wähler vor allem auf den technischen Hochwasserschutz setzen, haben die Grünen im Bayerischen Landtag bereits vor der aktuellen Überschwemmungskatastrophe einen Forderungskatalog für einen "ökologischen Hochwasserschutz" vorgelegt.
Wetterextreme: Es gibt keinen vollständigen Schutz
Darin finden sich Forderungen wie die nach einer schonenderen Bewirtschaftung der Böden durch die Land- und Forstwirtschaft. Auf die Kommunen solle "mit Nachdruck" eingewirkt werden, potenzielle Überschwemmungsgebiete von Bebauung freizuhalten.
Freie-Wähler-Umweltpolitikerin Jakob formuliert es weicher: "Zusammen mit den Kommunen vor Ort müssen wir jetzt noch viel stärker nach pragmatischen Lösungen suchen." Die Experten wissen aber auch: Noch so viel ökologischer und technischer Hochwasserschutz kann die Folgen von Extremereignissen nicht völlig verhindern. Wenn ausgerechnet im Einzugsgebiet eines Bächleins 180 bis 200 Liter Regen pro Quadratmeter niedergehen, könne "kein Hochwasserschutz dieser Welt" vor Überschwemmungen bewahren, so Meteorologe Wagner.