10 000 Flüchtlingskinder verschwunden

München - Erst bringen Schlepper Flüchtlingskinder auf gefährlichen Wegen nach Europa. Dann versklaven sie sie oder beuten sie sexuell aus. Diese Horrorvision könnte nach Angaben der europäischen Polizeibehörde Europol für viele Minderjährige auf der Flucht Wirklichkeit sein.
Nach einer vorsichtigen Schätzung sind in den vergangenen zwei Jahren 10 000 alleinreisende Flüchtlingskinder in Europa verschwunden, die Hälfte davon nach ihrer Ankunft in Italien. Doch auch in Schweden fehlt von vermutlich mehr als 1000 Kindern jede Spur. Manche der Vermissten dürften bei Verwandten angekommen sein, meint Europol. Doch die Ermittler haben auch Beweise dafür, dass andere in die Hände von Kriminellen geraten sind.
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Die meisten der in Italien vermissten Kinder stammen aus Eritrea, Somalia und Syrien, sagt Viviana Valastro von der Hilfsorganisation „Save the Children“. „Sie sagen uns schon bei ihrer Ankunft in Süditalien, dass sie da nicht bleiben wollen, sondern andere Länder als Ziel haben.“ Viele reisten illegal auf Zügen zunächst nach Rom, andere würden von den Schleppern, die sie nach Europa gebracht hätten, weitertransportiert. „Dadurch werden die Schulden, die sie anhäufen, immer größer.“
Vor allem Mädchen aus Nigeria werden zur Prostitution gezwungen
Im vergangenen Jahr hatte „Save the Children“ einen Bericht mit dem Titel „Kleine unsichtbare Sklaven – Die jungen Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung“ veröffentlicht. Denn nicht allen gelingt die Einwanderung in ein anderes Land, viele bleiben in den Fängen der Schlepper gefangen. Vor allem Mädchen aus Nigeria, die der brutalen Gewalt der islamischen Terrormiliz Boko Haram entkommen sind, würden nun in Italien gezwungen, sich zu prostituieren. Andere Kinder, oft aus Ägypten, würden auf Märkten und in Autowaschanlagen Roms hemmungslos ausgenutzt und verrichten schwerste Arbeiten für einen Hungerlohn.
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Die meisten Jugendlichen, die nach der Ankunft in Italien spurlos verschwinden, seien zwischen 15 und 17 Jahre alt, betont Valastro. Oft seien es die ältesten Söhne, die von den Eltern als eine Art „Investition“ in ein besseres Leben nach Europa geschickt würden. Ziel seien fast immer Familienmitglieder in Nordeuropa, in Großbritannien und in Deutschland etwa.
Auch in Schweden sind es meistens zwischen 16 und 17 Jahre alte Jungen, die vom Radar der Behörden verschwinden. Sie stammen vor allem aus Marokko, Algerien oder Afghanistan. Diese Kinder seien besonders gefährdet, in die Hände von Kriminellen zu geraten, warnt der schwedische Ombudsmann für Kinder, Frederik Malmberg.