Wohin geht die Reise?

Vor zwei Jahren lief die Costa Concordia vor der Insel Giglio auf einen Felsen. 32 Menschen starben. In diesem Sommer soll das berühmteste Wrack des Jahrhunderts verschwinden – wohin?
von  Matthias Maus

Vor zwei Jahren lief die Costa Concordia vor der Insel Giglio auf einen Felsen. 32 Menschen starben. In diesem Sommer soll das berühmteste Wrack des Jahrhunderts verschwinden – wohin? 

Sie steht aufrecht, am zweiten Jahrestag. Wenigstens das. Die Costa Concordia, berühmtestes Wrack des Jahrhunderts, liegt nicht mehr schräg als Mahnmal der tödlichen Unfähigkeit vor der schönen Insel Giglio. Der 290-Meter-Koloss ruht auf seiner künstlichen Plattform in 18 Metern Tiefe. Und in fünf Monaten soll er abgeschleppt werden. Wohin?

Das ist nur eine der offenen Fragen. Montag  vor zwei Jahren, um 21.45 Uhr und sieben Sekunden, rammte das 114500 Tonnen schwere Schiff die Felsen der „Isole le scole“ vor Giglio im toskanischen Archipel. Die 4229 Menschen an Bord glaubten lange an ein Schauspiel, dann an eine Panne, von der bevorstehenden Havarie ahnten sie nichts. 32 Menschen starben bei der chaotischen Rettungsaktion, darunter waren zwölf Deutsche.

Genau zur Stunde des Unglücks soll sich heute an Giglios Kirche eine Prozession in Gang setzen: „Sie endet an der Hafenmole“, sagte Bürgermeister Sergio Ortelli. „Wir stellen eine Gedenktafel für die Opfer auf.“ Ortelli hofft auf den Tag, an dem das Wrack endlich weg ist.

Das Unglück und die Rettungsaktion waren ein schwerer Schlag für die Seefahrer-Nation Italiens. Das beschämende Verhalten des Kapitäns, der früh sein Schiff verließ (und später behauptete, er sei in das Rettungsboot „gefallen“) verstärkten den Eindruck des Chaos’.

Auf jeder Schiffskarte sind die Felsen verzeichnet, nur Kapitän Schettino hatte sie an diesem Abend nicht auf dem Schirm. Der erfahrene Seefahrer steuerte dicht unter Land, nicht das erste Mal, um einen Bekannten auf der Insel zu grüßen. Dass er mit dem waghalsigen Manöver seine damalige Geliebte Domnica Cemortan beeindrucken wollte, ist ein mögliches Motiv für seine Leichtfertigkeit. Das kommt auch im Prozess gegen Schettino zur Sprache.

Passagiere, die sich selbstständig Rettungswesten anlegten, die nach dem Stromausfall orientierungslos die Ausgänge suchten, Rettungsboote, die wegen der Schlagseite nicht zu Wasser gelassen werden konnten, das waren die Folgen.

Die Ungewissheit steigerte sich zu Todesangst. Und auf der Brücke herrschte Tohuwabohu. Im Prozess gegen Schettino werden die Tonaufzeichnungen vorgespielt. Ein orientierungsloser Kapitän ist mit Telefonaten abgelenkt: „Raus, raus, raus!“, brüllt der Chef des Maschinenraums seine Leute unter Deck an. „Wie – nichts springt an?“, herrscht Schettino den Obermaschinisten an. Nach Kurzschlüssen funktionieren weder Notgenerator noch Pumpen. „Geben Sie Alarm!“, mahnen Offiziere den Kapitän: „Räumen Sie das Schiff!“ – „Moment noch... erst noch...“, stammelt Schettino.

„Sie haben uns nur von einem Stromausfall erzählt“, sagt der Hafenkommandant Gregorio de Falco aus Livorno aus. Dass etwas Ernsteres geschehen war, das erfuhr die Hafenbehörde über Umwege – von Passagieren, die sich an die Polizei gewandt hatten.

An den Tagen nach dem Unglück beherrschten Berichte der Dorfbewohner die Nachrichten, die Hunderte von Überlebenden aufnahmen und versorgten. Das Schiff lag auf den Felsen. Wäre es noch 100 Meter weiter gefahren, wäre es versunken. Es hätte Tausende Tote geben können.

Anderthalb Jahre lang lag die Costa Concordia auf der Seite, an den beschaulichen Tourismus war auf Giglio nicht mehr zu denken. Deshalb war der Jubel groß, als Nick Sloane und sein Team im September den Koloss auf die künstliche Plattform manövrierten. An einen sofortigen Abzug war im Herbst nicht mehr zu denken.

Im Juni soll es soweit sein. Und noch im Januar soll entschieden werden, wie es weiter geht:

Plan A: An der zerstörten rechten Seite sollen wie auf der Backbordseite 15 Auftriebskörper angeschweißt und später leergepumpt werden. Mit dem Auftrieb könnte das Schiff abgeschleppt werden.

Oder Plan B: Die „Dockwise Vanguard“, ein 275 Meter großes Dockschiff senkt ihr Ladedeck auf 20 Meter unter die Wasser-Oberfläche, das Wrack wird Huckepack genommen und abtransportiert. Aber wohin?

Die italienischen Häfen Piombino, Civitavecchia und Palermo beteiligen sich an der Ausschreibung. Der Zuschlag kann hunderte Arbeitsplätze sichern – aber auch Häfen in den USA, der Türkei und China bewerben sich: „Je kürzer der Weg, desto besser“, sagt Michael Thamm, Chef der Costa-Reederei in Deutschland, dessen Unternehmen bislang 600 Millionen Euro für die Bergung gezahlt hat. Richtig ist aber auch: Keiner der Häfen kommt um Umbau- oder Baggerarbeiten für die Schifffahrtsruine herum.

Die Zukunft des größten verkehrswidrig abgestellten Fahrzeugs der Welt ist weiter ungewiss.Matthias Maus

 

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