Interview

Weg mit dem Smartphone: "Das kleine Gerät hat keine Macht über uns"

Im Restaurant, an der Kasse, im Schlafzimmer: Das Smartphone ist ein ständiger Begleiter. Wann ist es zu viel? Und warum kann bewusstes Reduzieren glücklich machen? Christoph Koch zeigt den Weg zu digitaler Balance - in 30 Tagen.
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So mag es einem manches Mal vorkommen: Das Handy vereinnahmt uns regelrecht.
So mag es einem manches Mal vorkommen: Das Handy vereinnahmt uns regelrecht. © imago images

AZ: Herr Koch, erst einmal Respekt: Sie haben Ihr Smartphone im Griff und nicht es Sie. Wie oft schauen Sie denn am Tag so auf Ihr Handy?
Christoph Koch:
Wahrscheinlich trotzdem zu oft - ich bin als Journalist in gewisser Weise darauf angewiesen. Aber privat habe ich Twitter deaktiviert, auch Facebook habe ich nicht mehr als App auf dem Handy und bei WhatsApp war ich noch nie angemeldet. Ich kann bestätigen: Man kommt auch ohne klar.

Der Durchschnitt allerdings nutzt das Smartphone täglich rund 3,5 Stunden. Ab wann ist es zu viel und problematisch?
Es ist schwierig, eine feste zeitliche Grenze zu ziehen. Das sehen auch Experten so. Aber es gibt Situationen, ähnlich wie bei einem Alkoholproblem, an denen man erkennen kann, ob es möglicherweise schon krankhaft ist.

Koch: "In der Krise sind die Alternativen einfach sehr eingeschränkt" 

Zum Beispiel?
Habe ich schon mehrmals versucht, den Konsum zu reduzieren, aber es nicht geschafft? Verheimliche ich oder lüge ich, wie oft ich am Smartphone bin? Bin ich schon von anderen aufgefordert worden, die Nutzung zu reduzieren? Leiden andere Lebensbereiche wie die Familie darunter? Diese Fragen können dabei helfen, ein Problembewusstsein dafür zu entwickeln. Ich möchte dazu sagen: Momentan sind wir wohl alle mehr vor Bildschirmen als sonst, und das ist auch nicht schlimm. In der Krise sind die Alternativen einfach sehr eingeschränkt. Aber wenn wieder mehr möglich sein wird, sollte man versuchen, wieder in digitale Balance zu kommen.

Denken Sie, die Pandemie verschärft das Verhalten von Smartphone-Junkies, die vorher schon nicht ohne ihr Handy leben konnten?
Die Befürchtung habe ich. Menschen, die vorher schon auf der Kippe standen oder Probleme damit hatten, fehlt jetzt die soziale Kontrolle. Sie gehen nicht mehr ins Büro, treffen keine Freunde. Die Nutzung und die Zeit können sich stark erhöhen, ohne dass es jemand mitbekommt.

Die Sache mit der geschönten Scheinwelt

Wir zücken das Handy in der Warteschlange an der Kasse, im Restaurant oder mancher schaut sogar beim Sex aufs Handy, listen Sie auf. Wie wirkt es sich aus, wenn wir zu viel am Handy hängen?
Es wirkt sich direkt auf unseren Dopamin-Spiegel aus. Die Ausschüttung dieses Glückshormons wird durch die Benachrichtigungen von Apps ständig getriggert.

Aber es heißt Glückshormon - kann das so schlecht sein?
Es versetzt uns jedes Mal in einen euphorischen Moment - aber nicht nachhaltig. Es passiert ja in der Regel bei Benachrichtigungen von Social-Media-Apps nichts Großartiges. Vielmehr finden wir dort oft eine geschönte Scheinwelt vor und der Gedanke liegt nah: Warum haben alle so ein tolles Leben, und ich sitze hier daheim...

Koch: "Die Apps wollen uns jederzeit anstupsen"

Man vergleicht sich also?
Ja, und diese scheinbaren Erfolge anderer wirken sich auf die Psyche aus und können negative Gefühle auslösen. Und meist stimmt das ja nicht mal, es ist eine verzerrte Wahrnehmung. Wir bekommen nur einen Ausschnitt präsentiert. Niemand postet schließlich, dass er sich gestern mit der Familie gestritten hat. Diese Apps sind jedoch so gestaltet, dass wir möglichst viel Zeit damit verbringen wollen.

Welche Tricks werden zum Beispiel angewandt?
Als Erstes: Benachrichtigungen! Die Apps wollen uns jederzeit anstupsen und mitteilen: Es gibt etwas Neues! Es gibt zudem ausgeklügelte Algorithmen, die wissen, wie sie uns kriegen. Meist geht es dabei um emotionale Inhalte. Auf diese wird tendenziell häufiger reagiert, und sie werden geteilt. Und darum geht es diesen Anwendungen letztendlich.

Christoph Koch, Autor und Journalist.
Christoph Koch, Autor und Journalist. © Verlag

Koch: "Man muss nicht auf einen Tag alles anders machen"

Wird man auch süchtig nach Likes ?
Absolut, der Mensch sehnt sich evolutionär nach Bestätigung und will spüren, dass er in der Gemeinschaft sicher und gut aufgehoben ist. Das ist immer noch in uns drin. Bekommen wir weniger Likes, sind wir traurig und hinterfragen sofort uns selbst. Doch wir sollten unser Glück nicht davon abhängig machen, ob 20, 50 oder 100 unserer digitalen Kontakte "Gefällt mir" drücken. Denn dahinter steckt ein Algorithmus, und es ist künstlich konstruiert, wer den Beitrag angezeigt bekommt.

Für Ihr Vorgänger-Buch haben Sie sechs Wochen lang komplett auf Handy und Internet verzichtet. Sagen Sie bitte, dass es in Ihrer neuen 30-Tage-Challenge nicht so extrem sein muss.
(lacht) Das war damals ein radikaler Selbstversuch. Mit meinem neuen Buch möchte ich den Menschen ein besseres Gleichgewicht näherbringen: Wofür möchte ich das Handy nutzen? Wo bringt es mir etwas? Und wo stresst es mich eher oder stiehlt mir Zeit? Ich vergleiche es mit Essen: Es bringt nichts, sechs Wochen gar nichts zu essen. Die Änderung sollte schrittweise und dafür nachhaltig sein. Das ist die Idee hinter der 30-Tage-Challenge: Man muss nicht auf einen Tag alles anders machen, sondern Schritt für Schritt über einen längeren Zeitraum. Mir war auch wichtig, dass es nicht nur über Verbote funktioniert, sondern es sollen auch positive Anregungen gegeben werden: Was kann ich denn stattdessen machen? Was kann ich mit der freien Zeit anfangen, die ich vorher etwa mit Candy Crush verbracht habe?

Eine Aufgabe lautet zum Beispiel: Einen längeren Spaziergang unternehmen, das Handy bleibt zu Hause.
Eine Aufgabe lautet zum Beispiel: Einen längeren Spaziergang unternehmen, das Handy bleibt zu Hause. © dpa

Mit welchen zentralen Fragen muss ich mich in dem gesetzten Zeitraum auseinandersetzen?
Die ganz wichtige Frage: Wo nutze ich das Smartphone zu meinem Vorteil und wo bin ich ihm unterworfen? Was ist mir wichtig und womit möchte ich meine Zeit verbringen? Jede Stunde, die ich mit Facebook oder Twitter verbringe, geht mir für etwas anderes verloren. Welches Leben möchte ich führen und welcher Mensch möchte ich sein? Es ist sozusagen eine Bestandsaufnahme und eine Möglichkeit, seine Prioritäten kennenzulernen.

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Muss ich mich auch fragen, warum ich so viel am Handy hänge? Ist mein Leben vielleicht zu langweilig oder was steckt dahinter? Unter anderem soll man überflüssige Apps löschen, einen langen Spaziergang ohne Handy unternehmen, aber auch eine Todesanzeige für eine geliebte Tätigkeit, die man aus den Augen verloren hat, schreiben. Eine kleine Motivation, bitte: Warum lohnt sich all das am Ende der 30 Tage?
Das ist ebenfalls ein wichtiger Schritt: In welchen Situationen greife ich zum Handy? Öffne ich Instagram, wenn ich gestresst oder gelangweilt bin? Spiele ich mein Lieblingsspiel, um mich vor etwas anderem zu drücken? Oder weil ich nichts mit mir anzufangen weiß? Bin ich auf Social Media, um mir Bestätigung zu holen, die ich woanders nicht zu bekommen glaube? Das sind Fragen, die durchaus ans Eingemachte gehen. Aber ich denke, das ist notwendig und lohnend. Wir fühlen uns befreit, weil wir merken: Dieses kleine Gerät hat nicht die Macht über uns, wie wir früher dachten. Wir können uns sehr wohl davon lossagen und selbst entscheiden, wann wir es nutzen und wann nicht. Man muss nicht auf sein Smartphone verzichten und zurück in die Steinzeit. Ich kann die positiven Errungenschaften, wie ein Bahnticket buchen oder sich mit Google Maps orientieren, weiterhin nutzen. Aber man verzichtet auf die negativen Seiten des Smartphones. Dazu kommt ein Zeitgewinn für Dinge, die uns Freude machen.

Christoph Koch: Digitale Balance: Mit smarter Handynutzung leichter leben; Wilhelm Heyne Verlag, 12,99 Euro.
Christoph Koch: Digitale Balance: Mit smarter Handynutzung leichter leben; Wilhelm Heyne Verlag, 12,99 Euro. © Wilhelm Heyne Verlag

Haben Sie Tipps, wenn sich der Smartphone-Schweinehund zwischendurch doch meldet?
Wenn man einmal doch unbedingt auf eine gelöschte App zugreifen will, darf man sich auch mal den Zugang über den Browser gestatten. Das kann ein guter Mittelweg sein, ohne wieder die ständigen Benachrichtigungen der Apps zu bekommen. Man kann auch die Gesichts- oder Fingererkennung deaktivieren und sich wieder einen Pin zulegen. Dann ist es gleich mühesamer, wenn man das Handy rausholen will. Man kann sich auch eine niedrigere Daten-Flatrate buchen, dann haushaltet man etwas besser damit.

Sollte man seinen Freunden Bescheid geben - nicht dass die sich noch Sorgen machen, wenn man plötzlich auf Social Media abtaucht?
Im Idealfall überzeugt man sie sogar mitzumachen. Es funktioniert einfacher, wenn man es nicht alleine durchhalten muss. Und wer nicht mitmacht, ist danach vielleicht sogar neidisch, weil er sieht: Am Ende der Challenge ist man glücklicher und zufriedener. Das wäre jedenfalls meine Hoffnung.

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