Interview

Mit Kindern über Krieg sprechen: "Die Bilder machen fürchterliche Angst"

Wie erklärt man Kindern den Krieg? Psychiaterin Schlüter-Müller hat Tipps für den Umgang damit - und rät dazu, Hoffnung zu machen.
Leonie Fuchs |
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Eine geflüchtete ukrainische Frau und ein Kind - realistische Bilder und Videos vom Krieg können kleine Kinder noch nicht verarbeiten.
Eine geflüchtete ukrainische Frau und ein Kind - realistische Bilder und Videos vom Krieg können kleine Kinder noch nicht verarbeiten. © picture alliance/dpa

Eine offene und kindgerechte Herangehensweise an das Thema Krieg ist wichtig im Gespräch mit Kindern und Jugendlichen, sagt die Psychiaterin Susanne Schlüter-Müller. Sie mahnt zugleich: Eltern sollten ihre eigenen Ängste dabei im Griff haben.

AZ: Frau Schlüter-Müller, sprechen Kinder und Jugendliche Sie aktuell auf den Krieg in der Ukraine an?
SUSANNE SCHLÜTER-MÜLLER: Wie bei allen schwierigen Themen fangen Kinder nicht von sich aus an, davon zu erzählen. Ich frage gezielt nach: "Sag mal, wie ist denn das mit deiner Angst?", oder: "Wieso bist du denn so sauer?" Je kleiner Kinder sind, desto weniger erzählen sie von ihren Ängsten, weil sie das rein kognitiv noch nicht verarbeiten können. Mit Jugendlichen kann man bereits reflektieren.

Psychiaterin Schlüter-Müller: "Viele Jugendliche sind sehr reflexiv"

Wie machen Sie das?
In den Psychotherapien frage ich etwa, ob in der Schule darüber gesprochen wird, oder ob russische Kinder in den Klassen sind. Viele haben russische Freunde. Jugendliche reflektieren auch selbst. Sie sagen dann: Verantwortlich sind ja nicht "die Russen", sondern Putin. Viele sind sehr reflexiv. Ich finde es toll, dass man offenbar an den Schulen sehr behutsam mit dem Thema Krieg umgeht.

Was bewegt die Jugendlichen?
Viele haben Angst davor, wie der Krieg weitergeht. Und ob der Angriff über die ukrainische Grenze hinaus fortgesetzt wird. Auch die Angst vor dem Atomkrieg ist ein Thema.

Die Fachärztin Dr. Susanne Schlüter-Müller (68) für Kinder- und Jugendpsychiatrie ist auch Komitee-Mitglied bei Unicef. Ihre Praxis befindet sich in Frankfurt am Main.
Die Fachärztin Dr. Susanne Schlüter-Müller (68) für Kinder- und Jugendpsychiatrie ist auch Komitee-Mitglied bei Unicef. Ihre Praxis befindet sich in Frankfurt am Main. © privat

Wie reagieren Sie?
Ich sage nicht, dass ich ausschließen kann, dass etwas Schlimmes passiert. Wissen tut das ja keiner genau. Ich vermittle ihnen, dass ich ihre Ängste verstehe. Aber ich erkläre ihnen auch, dass alles dafür getan wird, damit der Krieg deeskaliert. Ich prüfe zudem die Resilienzen: Kann sich der Jugendliche ablenken? Ist er im Fußballverein, viel mit Freunden unterwegs? Oder aber ist er den ganzen Tag am Smartphone auf TikTok? Da würde ich dann dazu raten, eine Nachrichtensperre einzurichten oder mal eine Pause einzulegen und keine Kriegsnachrichten mehr zu schauen.

"Russische Jugendliche haben oft Angst vor Schubladen-Denken"

Kommen betroffene junge Erwachsene zu Ihnen?
Ich habe einige russische Jugendliche bei mir in der Praxis. Viele schämen sich ganz arg. Oder sie sprechen darüber, jetzt in Schubladen - etwa "die Russen" - gesteckt zu werden. Wenn es um Feindbilder geht, ist es wichtig, dass Jugendliche von uns lernen zu differenzieren, zu kontextualisieren und Dinge nicht nationalistisch einzuordnen. Darüber spreche ich mit ihnen. Das geht mit jungen Erwachsenen, weil eine hohe Reflexions- und Abstraktionsfähigkeit vorhanden ist. Sie gehen auch in einen Perspektivenwechsel - schauen also von Außen auf eine Situation und nicht vom Ich-Aspekt aus. Das machen eher kleinere Kinder.

Ab welchem Alter sollten Eltern anfangen, mit Kindern über den Krieg zu sprechen?
Ab dem Kita-Alter. Kinder merken, wenn ihre Eltern verängstigt und in Sorge sind. Sie haben unglaublich feine Antennen. Nichts ist schlimmer, als Kindern ihren Fantasien zu überlassen, denn die sind oft viel schlimmer als die Realität.

Wie findet man die richtigen, altersgemäßen Worte?
Die Wahrheit muss unbedingt dem Alter, also der kognitiven und somit emotionalen Bewältigungsmöglichkeit der Kinder angepasst werden. Mit Pubertierenden kann über Krieg rational, offen und differenziert gesprochen werden, etwa: "So ist das in Diktaturen. In ihnen werden Nachrichten verschwiegen, und die Menschen in Russland erfahren gar nicht, was wirklich passiert."

"Kinder sind noch sehr egozentrisch"

Und bei kleineren Kindern?
Kindern im Kita-Alter kann man beispielsweise sagen, dass es in der Ukraine gerade einen großen Streit gibt und einen Bestimmer, der immer Recht behalten möchte. In dem Alter sind sie sehr konkretistisch, das bedeutet, sie benötigen konkrete Beispiele. Wichtig ist, zu vermitteln, dass der Streit nichts mit ihnen zu tun hat. Sie sind noch sehr egozentriert.

Was bedeutet das genau?
Sie beziehen die Welt auf sich. Wenn Eltern sich streiten, oder trennen, denken kleine Kinder, dass sie schuld sind. Genauso merken sie, dass sich ihre Eltern Sorgen machen - und Suchen die Ursache bei sich.

Wann ändert sich das?
Entwicklungspsychologisch ist der Übergang fließend - diese Form des Erklärens würde ich deshalb etwa bis zur dritten Grundschulklasse fortsetzen. Ab der vierten Klasse kann man den Krieg auch beim Namen nennen. Da wissen Kinder, was dies in etwa bedeutet, und auch, was Waffen sind.

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"Kinder haben genau die Bilder im Kopf, die ihre Seele verträgt"

Es kursieren schlimme Bilder und Videos in den Nachrichten. Wie geht man damit um?
Auf keinen Fall zeigen, zumindest nicht im Kita- und Grundschulalter. Es ist wie bei einer Buchverfilmung: Wenn man ein Buch liest, hat man eigene Bilder im Kopf und ist dann vielleicht von der Verfilmung enttäuscht. Kinder haben genau die Bilder im Kopf, die ihre Seele verträgt - und die zu ihrer Entwicklungsstufe passen. Da müssen Eltern extrem vorsichtig sein. Realistische Bilder und Videos vom Krieg zu sehen, ist wahnsinnig erschreckend für Kinder. Sie bekommen fürchterliche Angst und können das nicht verarbeiten.

Was ist zu tun, wenn die Medien dennoch genutzt werden?
Manchmal lässt es sich nicht vermeiden. Dann muss man besonders viel mit ihnen darüber sprechen. Wichtig ist auch, dass die Eltern ihre eigene Angst im Griff haben. Besser ist es, man schaut zu einem bestimmten Zeitpunkt Nachrichten und macht dann eine Pause. Da sollte man sich selbst schützen.

Man sollte den Kindern also eine gewisse Sicherheit vermitteln.
Ja, genau wie Geborgenheit. Und zudem sollten Eltern auf das Schöne im Leben hinweisen - die Blumen und den Frühling zum Beispiel. Man darf den Kindern auch erklären, dass es ein großes Glück ist, dass es uns hierzulande so gut geht. Hoffnung zu vermitteln ist das Wichtigste.


Weitere Tipps und Hilfe für Betroffene gibt es unter: servicestelle-jugendschutz.de

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6 Kommentare
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  • Der Münchner am 24.04.2022 09:23 Uhr / Bewertung:

    Trifft aber nicht nur auf die momentanen Kriege auf dem Globus zu!
    Geht schon in unserer Medien- und Reklamewirtschaft los!
    Brutale Aktionfilme und distrahierende Pornos sind für alle Kinder über das Internet frei zugänglich!
    Sportler werden bei der Vorstellung wie Krieger dargestellt!
    Reklame eines sehr bekannten Wettanbieters vor dem Bayernspiel gestern sehr auf Härte ausgelegt!
    Trainer, wie Klopp, aber auch Streich, die sich mit entsetzlicher Mimik über Schiedsrichter Entscheidungen aufregen!
    TV Reporter, die mit Ihren immer wiederkehrenden negativ kritisch angehauchten Fragen, nur provozieren wollen!
    Sogenannte Fan`s, auch Ultras genannt, die Pyros zünden und sich gegenseitig die Rübe vollhauen, ja jetzt sogar Spieler nötigen! (Hertha)
    Und überall schauen die Kinder zu!
    Dagegen ist ein kriegerischer Konflikt, weil eben real, noch recht einfach einem Kind zu Erklären.

  • loewenhund am 23.04.2022 17:44 Uhr / Bewertung:

    müssen die kinder die bilder sehen ich finde nicht

  • BBk am 23.04.2022 15:35 Uhr / Bewertung:

    „Wie erklärt man Kindern den Krieg? Psychiaterin Schlüter-Müller rät dazu, Hoffnung zu machen.“
    Womit Frau Schlüter-Müller? Die Bilder sind echt. Der mörderische Krieg ist so…

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