Erforschung des Alters: "Fahrtests sind diskriminierend"
München - Senioren im Straßenverkehr, da sind viele schnell bei Fahrverboten und Führerscheinentzug - unberechtigterweise, sagt Stefan Arend. Der Wissenschaftler hat untersucht, wie sicher sich Menschen über 80 fühlen, wenn sie unterwegs sind. Und er sagt: Viele Vorurteile gegen ältere Verkehrsteilnehmer sind unberechtigt. In der AZ erklärt er, warum.
AZ: Herr Arend, Sie haben eine Studie zur Mobilität von Senioren durchgeführt. Wie kam es dazu?
STEFAN AREND: In der Gesellschaft gibt es viele Vorurteile gegenüber älteren Menschen. Viele denken, dass hochbetagte Menschen nicht mehr mobil sind, nicht mehr Auto fahren und das Leben an sich vorbeiziehen lassen. Ich habe mich also gefragt, wie man das Bild vom Altern geraderücken und realistisch darstellen kann.

"Alle Befragten waren über 80 Jahre alt"
Sie sind Sozialmanager. Was versteht man darunter?
Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit dem Altern und allem, was damit einhergeht. Relevante Themen sind für mich der demografische Wandel, neue Wohnformen für ältere Menschen und eine wissenschaftliche Erforschung des Alterns.
Wen haben Sie für Ihre Studie eigentlich befragt?
Die Studie beschäftigt sich mit den wirklich hochbetagten, ältesten Menschen der Gesellschaft. 960 Personen aus Senioreneinrichtungen haben den Fragebogen ausgefüllt und gaben Auskunft darüber, wie mobil sie sind. Die Befragten waren alle über 80 Jahre alt. So einen Datenkorpus gab es vorher noch nicht.
"Senioren wissen mit Herausforderungen umzugehen"
Und zu welchem Ergebnis ist Ihre Studie gekommen?
In erster Linie, dass auch hochbetagte Personen sehr mobil sind und regelmäßig am Straßenverkehr mit dem eigenen Pkw teilnehmen. Dadurch fühlen sie sich selbstständig und autonom. Sie sagen außerdem, dass sie sich den Anforderungen auf der Straße weitestgehend gewachsen fühlen, nicht zuletzt aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung. Sie wissen, welche Situationen im Straßenverkehr für sie herausfordernd sind und haben Strategien entwickelt, wie sie damit umgehen können. 99 der 960 Teilnehmer hatten in den vergangenen fünf Jahren einen Autounfall. Interessant ist auch, dass die Studienteilnehmer durchaus junge Autos fahren, denn die Pkw waren im Durchschnitt nur neun Jahre alt. Diese Autos haben dann oft auch integrierte Assistenzsysteme, die den älteren Fahrern sehr helfen können.
In anderen europäischen Ländern muss der Führerschein ab einem gewissen Alter regelmäßig erneuert werden. Was halten Sie davon?
Wenn jemand im hohen Alter von einer schweren Erkrankung betroffen ist, ist er der Herausforderung vermutlich nicht mehr gewachsen, am Straßenverkehr teilzunehmen. Das kann aber auch jungen Menschen passieren. Ich trenne Fahruntüchtigkeit vom Alter!
Und was halten Sie von regelmäßigen Prüfungen?
Generelle Tests, die an das Alter gekoppelt sind, finde ich diskriminierend. Sowas sollte auf freiwilliger Basis geschehen. Ich befürworte Fahrsicherheits-Trainings.
"Alle Verkehrsteilnehmer sollten aufeinander Rücksicht nehmen"
Wie schätzen Sie die Situation in München ein?
Es gibt große Unterschiede zwischen Stadt und Land. Hochbetagte Menschen, die auf dem flachen Land leben, sind häufig auf ihr Auto angewiesen. In Städten wie München ist der ÖPNV gut ausgebaut und wird laut meiner Studie regelmäßig von Senioren benutzt. Als Herausforderung in der Stadt nennen die Studienteilnehmer den Berufsverkehr, die Parkplatzsuche und die Fahrradfahrer. Im Grunde genommen sollten hier einfach alle am Straßenverkehr beteiligten Personen Rücksicht aufeinander nehmen.
Was ist Ihr Fazit zu den Ergebnissen?
Ich schätze, dass in Deutschland zirka eine Million Menschen ab 80 noch mit dem eigenen Auto unterwegs sind. Da muss man sich fragen, was gibt es da für Trainings, wie kann man das berücksichtigen? Ich hoffe, dass ich mit meiner Studie das Bild vom Altern ein wenig ins rechte Licht rücken konnte.
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