Elmar Giemulla: „Von Großzügigkeit ist nichts mehr zu spüren“

Luftverkehrsrecht-Experte Elmar Giemulla vertritt die Angehörigen von 40 Germanwings-Opfern bei ihren Schadenersatz-Forderungen. In der AZ wirft er der Lufthansa eine Ermüdungstaktik vor.
von  Verena Lehner

München - Der 54-jährige Jurist Elmar Giemulla ist Experte für Luftverkehrsrecht und ist auch Anwalt der Hinterbliebenen der deutschen Opfer des Germanwings-Flugs MH17. Die AZ hat ihm zum Interview getroffen.

AZ: Herr Giemulla, wie geht es den Hinterbliebenen jetzt sechs Monate nach dem Unglück?

Elmar Giemulla: Wirklich verarbeitet hat das noch niemand. Ich befürchte auch, dass manche von ihnen nie wieder ein normales Leben werden führen können. Vor allem für diejenigen, die ein Kind verloren haben, ist es extrem schwer. Ich vertrete ein Paar, das jahrelang keine Kinder bekommen konnte. Dann kam endlich ein Sohn. Dieser Sohn saß am 24. März in der Unglücksmaschine.

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Hat die öffentliche Anteilnahme geholfen?

Anfangs schon. Mittlerweile haben die Hinterbliebenen allerdings mit vielen Anfeindungen und Hass zu kämpfen. Sie können sich nicht vorstellen, was diese Menschen – zusätzlich zu ihrer ohnehin schon enormen emotionalen Belastung – alles erleben müssen.

Anfeindungen in welcher Hinsicht?

Es wird ihnen vorgeworfen, sich am Tod ihrer Angehörigen bereichern zu wollen, weil sie Schadenersatzansprüche stellen. Manche bekommen sogar Droh- und Hassbriefe. Einer Frau wurde gar unterstellt, dass sie lügt und ihr Sohn gar nicht tot ist, sondern dass der putzmunter herumläuft und erst kürzlich in einem Club gesehen wurde.

Sie haben einmal gesagt, Sie wollen den emotionalen Schaden der Angehörigen aufgewogen sehen. Von welcher Summe sprechen wir hier?

Es ist immer schwierig, so etwas materiell oder finanziell aufwiegen zu müssen. Aber ich bleibe bei der Summe, die ich bereits kurz nach dem Unglück genannt habe. Wir fordern von der Lufthansa eine Million Euro Entschädigung pro Opfer.

Sie und die Anwälte anderer Hinterbliebener sind alles andere als zufrieden mit dem Verhalten der Lufthansa. Was läuft falsch?

Von der anfänglichen Großzügigkeit, die das Unternehmen kurz nach dem Unglück gezeigt hat, ist jetzt, da es um die tatsächlichen Schadenersatzansprüche geht, nicht mehr viel zu spüren. Im Gegenteil. Sie macht es den Angehörigen mittlerweile sehr schwer.

War die Lufthansa anfangs wirklich so großzügig?

Ja, doch, das muss man sagen. Die 50 000 Euro Soforthilfe, die die Angehörigen bekommen haben, waren gut berechnet für den Aufwand, den sie hatten. Auch dass sie die Verwandten kostenlos nach Frankreich fliegt und das auch immer noch tut, ist nicht selbstverständlich.

Warum dieses Umschwenken?

Wir haben mittlerweile tatsächlich den Eindruck, dass diese Großzügigkeit kurz nach dem Unglück mehr für die Öffentlichkeit bestimmt war. Ganz nach dem Motto: Guckt mal, was wir alles machen. Jetzt geht es um größere Summen, da hat die Großzügigkeit anscheinend ein Ende.

Wie bekommen die Angehörigen das zu spüren?

An vielen Kleinigkeiten. Da könnte ich Ihnen unzählige Geschichten erzählen. Da geht es teilweise um Summen, da müssten Sie lachen.

Bitte erzählen Sie.

Da gibt es einen jungen Mann, dessen Lebensgefährtin bei dem Unglück ums Leben gekommen ist, und der daraufhin für längere Zeit krank geschrieben war. Die Krankenkasse zahlte ihm den Verdienstausfall zu 90 Prozent. Die restlichen zehn Prozent wollte er von der Lufthansa erstattet bekommen. Die weigerte sich zunächst und forderte von ihm ein psychiatrisches Gutachten, das bestätigte, dass es wirklich nötig war, dass er zu Hause geblieben ist.

Aber er war doch bereits von einem Arzt krankgeschrieben.

Natürlich. Das reichte der Lufthansa aber nicht. Er musste noch mal zu einem anderen Arzt gehen und sich das bestätigen lassen. Und jetzt kommt’s: Es ging hier um einen Betrag von 340 Euro. Da sehen Sie mal, wie kleinlich die Lufthansa jetzt plötzlich ist. Das ist ein lächerlicher Betrag, den winkt man doch durch.

Wie empfinden das die Angehörigen?

Der junge Mann, der in diesem konkreten Fall betroffen war, konnte das so gar nicht fassen. Er sagte zu mir, dass es ihm gar nicht um diese 340 Euro gehe. Aber diese Unterstellung, die da mitschwingt, dass er die Situation irgendwie ausnutzen würde, das war für ihn das Allerschlimmste. Und solche Geschichten sprechen sich bei den Hinterbliebenen jetzt natürlich herum. Die Empörung wird immer größer.

Was würden Sie – und Sie sprechen ja im Namen der Angehörigen – sich seitens der Lufthansa jetzt wünschen?

Dass sie das einhält, was gleich zu Beginn versprochen wurde: Nämlich dass sie die Ansprüche unbürokratisch und großzügig regelt. Das heißt natürlich auch, dass mal etwas durchgeht, das vielleicht nicht bis zur letzten Kommastelle gerechtfertigt ist. Das Wichtigste ist allerdings, dass die Lufthansa aufhört, die Glaubwürdigkeit der Hinterbliebenen infrage zu stellen.

Tut sie das?

In gewisser Weise ja. Wenn ich jemanden noch mal zum Arzt schicke, heißt das: Ich glaube dir eigentlich nicht. Damit muss die Lufthansa aufhören. Sie unterstellt den Angehörigen unterschwellig, dass sie betrügen wollen. Sowas wie mit diesen 340 Euro, das sind Unverschämtheiten und es grenzt an Ermüdungstaktik.

Aber bei den Schadenersatzansprüchen geht es ja dann um Summen im sechsstelligen Bereich pro Hinterbliebenem.

Ja, natürlich. Ich sage nicht, dass die Lufthansa nichts mehr überprüfen und nachrechnen darf. Aber sie muss ihre Einstellung grundsätzlich umdrehen und einem Angehörigen signalisieren: Wir glauben dir. Und nicht: Wir glauben, du willst betrügen. Das ist das falsche Signal an diese Menschen.

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