Einsamer Inselbewohner: Leben wie Robinson Crusoe

Morgens gegen 5 Uhr beginnt der Tag für Michael Zobel: „Mit Vogelgezwitscher werde ich wach.“ Er hat die Nacht auf der Festungsinsel Wilhelmstein im Steinhuder Meer verbracht. Zobel ist Inselvogt auf dem winzigen Eiland, das wie ein dunkler Klecks in den größten Binnensee Niedersachsens gefallen zu sein scheint. Im Auftrag seines Herrn und Inselinhabers, Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe aus Bückeburg, verwaltet Zobel seit elf Jahren das Inselchen, dessen Ausmaße mit 107 mal 109 Meter berechnet sind.
Zobels morgendlicher Rundgang führt ihn vorbei an den Gästehäusern, der Wasseraufbereitung und der Kläranlage. Alles in Ordnung? Dann in den Turm des ab 1765 erbauten Festungsbauwerkes, vorbei an den Räumen mit der historischen Waffensammlung, dem Trauzimmer des Standesamtes Wunstorf und hinauf zur Aussichtsterrasse.
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„Zwei bis drei Mal pro Tag geht’s hinauf, das hält fit“, sagt der 55-Jährige, der sich auf eine Zeitungsanzeige für einen der ungewöhnlichsten Jobs weit und breit beworben hatte. Tischler, Kommunikationsorganisator und Kulturmanager war Zobel in der Vergangenheit, bevor er sich zusammen mit seiner Frau Heidrun„für das Stück andere Welt mitten in Deutschland entschied“.
Diese andere Welt wollen auch die Besucher erleben: Rund 60 000 kommen jährlich per Schiff auf das Eiland im Privatbesitz der Adelsfamilie Schaumburg-Lippe. Die meisten bleiben nur wenige Stunden: Einmal rund um die Insel spazieren, das ist in zehn Minuten erledigt.
Deutschlands erstes Tauchboot von 1771 bestaunen
Dann noch hinein in das trutzige Festungsbauwerk mit dem Museum, das eine Rarität zeigt: das Modell von Deutschlands erstem Tauchboot, dem Steinhuder Hecht. Das U-Boot wurde ab 1771 nach Ideen des Ingenieurs, Geografen und Offiziers Jakob C. Praetorius für Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe gebaut. Überliefert sind zwei Zeichnungen, auf denen das U-Boot eine Fischform hat: Unter Wasser sollte es durch Schläge des Fischschwanzes angetrieben werden, bewegt von der Besatzung.
Für Übernachtungsgäste wurden ab 2008 sieben Zimmer in den einstigen Unterkünften der Soldaten eingerichtet. „Wir haben Gäste von nah und fern, die einmal in ihrem Leben im Steinhuder Meer sehr ruhig übernachten wollen“, sagt Zobel. Wenn das letzte Linienschiff um 17.30 Uhr nach Steinhude abgelegt hat, schließt bald darauf auch das Inselgasthaus. Zurück bleiben nur Inselvogt Zobel und die Übernachtungsgäste. Sie erfreuen sich an der Stille des winzigen Eilandes und dem Untergang der Sonne, die über der Naturschutzzone Meerbruchswiesen versinkt.
In diesem Naturschutzgebiet ist Wolfgang Nülle häufig mit Besuchergruppen unterwegs. Über den Steinhuder Meer Rundweg kommt der Diplom-Biologe per Fahrrad in das weitläufige Naturschutzgebiet, wo Besucher auf dem Meerbrucherlebnisweg die Natur erkunden. Von Beobachtungshütten sind Wasser- und Watvögel im Schilf zu erkennen: Entenfamilien führen ihren Nachwuchs aus, Fischreiher lauern im Sumpf auf Beute. Fisch- und Seeadler brüten in dem ausgedehnten Gebiet zwischen Mardorf, Winzlar und Hagenburg.
„Von der sandigen Geest über Grünlandzonen, Niedermoore und Sumpfwälder haben wir viele Landschaften auf kleinem Raum“, erklärt Nülle. Ein schmaler Holzsteg führt Besucher zum Winzlarer Turm. Von dort schweift der Blick weit über die offene Wasserfläche und zur Festungsinsel Wilhelmstein.
Ein Paradies für Radler und Wanderer
Acht Kilometer lang von Osten nach Westen und etwas mehr als vier Kilometer breit in der Nord-Süd-Richtung ist das Steinhuder Meer, das vor etwa 14 000 Jahren nach der letzten Eiszeit entstand. Radtouristen und Wanderer umrunden das Gewässer auf dem 32 Kilometer langen Rundkurs, der durch dichte Laubwälder führt, im Westen die Meerbruchwiesen und im Osten das Tote Moor durchquert.
„Fünf Stunden sollte man für die Radtour einplanen“, rät Nülle. Rastmöglichkeit gibt es bei Mardorf in der Alten Moorhütte. Das Lokal war früher eine kleine Schutzhütte der Torfstecher vom Toten Moor. Am Nordufer gibt es zahlreiche Ferienhäuser und private Wochenendhütten. Das Steinhuder Meer ist seit vielen Jahren Reiseziel für Kurzurlauber und Tagestouristen. Besonders an den Wochenenden konzentrieren sich die Besuchermassen auf den Hauptort Steinhude.
Wasserratten zieht es zum feinen Sand der Weißen Düne in Mardorf und auf die autofreie Badeinsel vor Steinhude. Sie ist per Fahrrad oder zu Fuß über eine Brücke erreichbar. Segelsportler schwärmen von der frischen Brise am Steinhuder Meer. „Selbst im Sommer haben wir hier häufiger Wind als etwa auf dem Bodensee“, sagt Stefan Ibold von der Wettfahrtvereinigung Steinhuder Meer.
Mehr als 3000 Segelboote – vor allem Jollen – sind nach Angaben der Touristikzentrale verzeichnet. „Für Dickschiffe ist der See mit der mittleren Wassertiefe von nur 1,35 Meter viel zu flach.“ Zum Umrunden der überschaubaren Festungsinsel braucht es natürlich auch nicht viel mehr als eine Jolle.