Debra Milke: Aus der Todeszelle in die Freiheit

Das juristische Drama um die in Berlin geborene Debra Milke steht kurz vor dem Ende. Nach 22 Jahren kam sie 2013 aus der US-Todeszelle frei. Doch nicht jeder glaubt, dass sie mit der Ermordung ihres Sohnes nichts zu tun hat.
dpa |
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Das juristische Drama um die in Berlin geborene Debra Milke steht kurz vor dem Ende. Nach 22 Jahren kam sie 2013 aus der US-Todeszelle frei. Vielleicht schon Montag wird das Verfahren ganz eingestellt. Doch nicht jeder glaubt, dass sie mit der Ermordung ihres Sohnes nichts zu tun hat.

Phoenix - Das große weiße Kreuz in einem trockenen Flusslauf nicht weit entfernt von Phoenix im US-Staat Arizona markiert bis heute ein unvorstellbares Verbrechen: Hier starb in der Adventszeit 1989 der vierjährige Christopher Milke.

Seine in Berlin geborene Mutter Debra hatte ihm seine liebste Kleidung angezogen, in der er aussah wie ein Cowboy. Sie setzte ihn zu ihrem Mitbewohner und dessen Kumpel ins Auto. Der Junge freute sich darauf, den Weihnachtsmann im Einkaufszentrum zu besuchen. Stattdessen fuhren die Männer mit Christopher in die Wüste, schossen ihm dreimal in den Hinterkopf und ließen seinen Körper im Staub liegen.

Der Mord machte die Menschen im tiefen Südwesten der USA wütend. Die beiden Täter Roger Scott und James Styers verwickelten sich in Widersprüche, gestanden schließlich und wurden zum Tode verurteilt. Einen Exekutionstermin gibt es derzeit noch nicht.

Auch die alleinerziehende Mutter Debra Milke kam schnell ins Visier der Ermittler. Die Tochter eines Amerikaners und einer Deutschen soll die Männer angestiftet und ihnen einen Anteil aus einer Lebensversicherung für Christopher als Lohn versprochen haben, hieß es. Sie kam 1991 ebenfalls in die Todeszelle.

Die Anklage zählte Gründe auf: Der Junge habe ihrer Beziehung zu einem neuen Freund im Wege gestanden. Die damals junge Frau sei mit der Erziehung überfordert gewesen. Ihr Sohn habe sie an seinen Vater, ihren verhassten Ex-Mann, erinnert.

Doch Beweise konnte die Staatsanwaltschaft kaum aufbringen. Milkes Schwester, mit der sie sich nicht gut verstand, belastete sie. Ihr Ex-Mann, ein verurteilter Schwerverbrecher, auch.

Letztlich genügte den Geschworenen für die Verurteilung die Aussage eines einzigen Belastungszeugen. Der Polizist Armando Saldate erklärte, Milke habe ihm die Tat gestanden. Eine Tonaufnahme hatte er entgegen der Anweisung seiner Vorgesetzten nicht gemacht, auch kein Protokoll. Er berief sich auf sein Gedächtnis.

Niemand hatte der Jury gesagt, dass der Ermittler bereits schwere disziplinarische Vergehen begangen hatte. Später wurde er in anderen Fällen als Lügner überführt, sogar eines Meineides. Ein mit dem Fall Milke befasstes Berufungsgericht betrachtete ihn 2013 als unglaubwürdig. "Kein zivilisiertes Justizsystem sollte auf solch zweifelhafte Beweise angewiesen sein, wenn es über Tod oder Freiheit eines Menschen urteilt", meinte Richter Alex Kozinski damals.

Debra Milke saß da schon 22 Jahre im Todestrakt des Staatsgefängnisses von Perryville. Einmal hatte sie die Exekution bereits im Probelauf durchspielen, ihre Henkersmahlzeit wählen müssen. Nach dem Urteil von 2013 kam sie gegen eine sehr hohe Kaution und mit strengen Auflagen frei. Ihre Freude war gewaltig. Doch sie wollte keinen erneuten Prozess und echte Freiheit.

Vielleicht schon an diesem Montag könnte ihr Traum wahr werden. Nachdem der Oberste Gerichtshof von Arizona vergangene Woche den letzten Versuch der Staatsanwaltschaft abschmetterte, die 51-Jährige nochmals für die Ermordung ihres Sohnes vor Gericht zu bringen, kann die zuständige Richterin Rosa Mroz nur noch die Einstellung des Verfahrens bekanntgeben. Eine Anhörung dazu ist für 16.30 Uhr deutscher Zeit angesetzt.

Milke äußerte sich laut ihrem Anwalt Michael Kimerer "erleichtert, dass ihr endlich Gerechtigkeit widerfährt". Die Gerichte hätten "diesem schrecklichen Justizirrtum ein Ende bereitet". Die vielen Unterstützer jubelten in sozialen Medien. Mit ihrer deutschen Mutter, die sie stets unterstützte, konnte sie die gute Nachricht nicht mehr teilen. Sie ist kürzlich an Krebs verstorben.

Doch in Arizona selbst wird das Ende der dramatischen Justiz-Saga nicht nur positiv aufgenommen. Der ehemalige Ermittler Antonio Morales bezeichnet das Verfahren mit dem guten Ende für Milke in einem Kommentar für die Zeitung "The Arizona Republic" als ekelerregende Schmierenkomödie. "Ich habe keinen Zweifel, dass Milke genau das tat, wofür die Jury sie schuldig befunden und zum Tode verurteilt hat."

Viele Bürger regen sich auch über eine potenziell millionenschwere Schadenersatzklage gegen den Staat und die Polizei auf, die Milke wegen ihrer ungerechtfertigten Inhaftierung eingereicht hat. "Schulden wir ihr wirklich etwas?", fragt die Kommentatorin einer Zeitung. Beweise für ihre Unschuld am schrecklichen Tod des kleinen Christopher gebe es schließlich auch nicht.

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