Das Internet als Staatsfeind Nummer 1

Der türkische Ministerpräsident blockiert den Nachrichtendienst Twitter – Facebook und Youtube sollen folgen. In Sachen Zensur steht sein Land auf einer Stufe mit China – Firmen helfen ihnen dabei.
Sophia Boddenberg |
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Hohn und Spott hat das Netz für die Internetzensur in der Türkei übrig. Niemand kann Premier Erdogan und seinen Feldzug gegen Twitter verstehen. Er sagt: "Dieses Twitter werden wir jetzt ausradieren. Wie die internationale Gemeinschaft darauf reagieren wird, das ist mir komplett egal. Alle werden sehen, wie mächtig die türkische Republik ist."
twitter.com Hohn und Spott hat das Netz für die Internetzensur in der Türkei übrig. Niemand kann Premier Erdogan und seinen Feldzug gegen Twitter verstehen. Er sagt: "Dieses Twitter werden wir jetzt ausradieren. Wie die internationale Gemeinschaft darauf reagieren wird, das ist mir komplett egal. Alle werden sehen, wie mächtig die türkische Republik ist."

Der türkische Ministerpräsident blockiert den Nachrichtendienst TwitterFacebook und Youtube sollen folgen. In Sachen Zensur steht sein Land auf einer Stufe mit China – Firmen helfen ihnen dabei.

 

Es gibt einen neuen Feind für autokratische Regierungschefs: das Internet. „Ich werde nicht zulassen, dass unsere Nation Facebook und YouTube geopfert wird“, poltert Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im türkischen Fernsehen. Er hat persönlich die Sperrung von Twitter angeordnet, Facebook und Youtube sollen nach den Kommunalwahlen am Sonntag folgen.

Trotz Twittersperre: Der Präsident twittert einfach weiter

Erdogan fürchtet das gewaltige Potenzial, das soziale Medien bei Unruhen und Protesten haben. Als im Frühjahr 2011 hunderttausende Menschen auf die arabischen Straßen gingen, war schnell die Rede von einer „Facebook-Revolution“. Der Hashtag #OccupyGezi wurde bei den Protesten um den Gezi-Park in Istanbul fast eine Million Mal beim Kurznachrichtendienst Twitter verwendet.

Richard Gutjahr im AZ-Interview: "Erdogan ist ein Amateur"

Der Trend ist klar: Soziale Netzwerke, Blogs und Online-Plattformen haben sich zu wichtigen Instrumenten im Kampf für Demokratie und Freiheit entwickelt. Einige Staaten zensieren und sperren deshalb Inhalte, um ihre Bevölkerung zu kontrollieren. In der Türkei gibt es seit Februar ein Gesetz, das der Regierung erlaubt, Internetinhalte ohne richterlichen Beschluss zu sperren. Diese Entscheidung gab der türkische Staatspräsident Abdullah Gül übrigens per Twitter bekannt.

Die Video-Plattform YouTube war bis 2010 drei Jahre lang gesperrt, jetzt ist es Vimeo. Die türkische Regierung forderte den Internetkonzern Google nach eigenen Angaben bereits 1673 Mal auf, Inhalte zu löschen. Kein anderes Land stellte so viele Anfragen. In seinem Transparenz-Bericht stellt Google die Türkei bei der Internet-Zensur auf eine Stufe mit China.

In China sind Facebook, Twitter und YouTube hinter der sogenannten „Great Firewall“ gesperrt. Das Gesetz gegen „die Verbreitung von Internetgerüchten“ besagt, dass jeder, der 500 Mal eine falsche Nachricht verbreitet, für drei Jahre ins Gefängnis muss. China bekommt bei der Internet-Zensur außerdem Hilfe von Microsoft. Die Website Greatfire.org kritisiert, dass die chinesische Version der Suchmaschine Bing mehr Inhalte zensiert als die landeseigene Suchmaschine Baidu.

In Russland gibt es eine „schwarze Liste“ für Internetseiten. Eigentlich soll sie Seiten enthalten, auf denen etwa Kindesmissbrauch dargestellt wird. Mittlerweile werden aber vor allem kremlkritische Websites gesperrt. Aufgrund der Krim-Krise stehen jetzt vier Internetseiten auf der Liste, die sich gegenüber der Eingliederung kritisch geäußert hatten.

Besonders Syrien, Vietnam, Turkmenistan und Bahrain kontrollieren Online-Informationen stark. In Syrien und im Iran wird das Internet gedrosselt, um bei Demonstrationen die Verbreitung von Bildern zu erschweren. Das „Dekret 72“ in Vietnam verbietet die Verbreitung von Nachrichten oder Kommentaren zum Zeitgeschehen in Blogs und sozialen Netzwerken. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlicht jedes Jahr einen Bericht über die „Feinde des Internets“. Bei der Untersuchung von Regierungen und Institutionen wird unterschieden zwischen Überwachung, Zensur, Gefängnisstrafe und Desinformation. Heuer wurden vor allem die Geheimdienste NSA und GCHQ kritisiert. Deren Ausspähungen würden die westliche Kritik an der Internet-Zensur autoritärer Staaten unglaubwürdig erscheinen lassen.

Auch Überwachungsmessen werden von der Organisation zu den „Feinden des Internets“ gezählt. Denn auf ihnen werden Behörden repressiver Staaten mit Anbietern von Überwachungstechnologien zusammengebracht. Firmen wie Hacking Team, Gamma International oder Blue Coat verdienen ihr Geld auch mit der Überwachung von Bürgern. Ebenso wie der US-Konzern Cisco, der laut Berichten des „Guardian“ 60 Prozent der chinesischen Überwachungs-Technik liefert.

Das Internet hat viele Feinde – und die haben viele Helfer. Aber ihre Gegner, die Verteidiger des Netzes, sind in der Überzahl.

 

 

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