BGH-Urteil: Richter schützen ältere Mieter

Die Vermieter-Familie will selbst mehr Platz und ein Rentnerehepaar (78 und 87) vor die Tür setzen. Doch ein neues Urteil stellt sich hinter die beiden Senioren.
von  AZ
Eine Frau packt ihre Sacken in Kartons und Tüten. Ist Mietern im hohen Alter ein Umzug zuzumuten?
Eine Frau packt ihre Sacken in Kartons und Tüten. Ist Mietern im hohen Alter ein Umzug zuzumuten? © Ole Spata/dpa

Eine junge Familie will nicht länger vermieten, um mehr Platz im eigenen Haus zu haben. Aber kann man einen 87-Jährigen mit seiner Frau einfach vor die Tür setzen? Darüber hat gestern der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden müssen.

Das Urteil: Der BGH stärkt besonders schutzwürdigen Mietern den Rücken, die sich gegen ihre Kündigung wehren. Bringen sie schwere gesundheitliche Probleme oder gar Lebensgefahr vor, müssen Gerichte dem besonders sorgfältig nachgehen.

Das heißt: Bevor ein Richter der Räumungsklage stattgibt, hat er sich sehr genau anzuschauen, welche Folgen der Umzug für den Betroffenen haben könnte und wie wahrscheinlich es ist, dass diese eintreten.

Die Karlsruher Richter hatten über einen Streit aus Sinzheim bei Baden-Baden zu entscheiden. Dort will eine junge Familie mit zwei kleinen Kindern ihr Haus aus Platzgründen für sich allein und hat einem betagten Ehepaar im Erdgeschoss die Wohnung gekündigt.

Eigenbedarf ist prinzipiell ein legitimer Kündigungsgrund

Eigenbedarf ist prinzipiell ein legitimer Kündigungsgrund. Eine Sozialklausel im Mietrecht (§ 574 BGB) sieht aber vor, dass Mieter unter Umständen trotzdem nicht weichen müssen – nämlich dann, wenn der Umzug eine nicht zu rechtfertigende Härte bedeuten würde. Bei der Abwägung sind auch die Vermieter-Interessen zu berücksichtigen.

Unter Verweis auf diese Klausel wehren sich der 87 Jahre alte Mann und seine 78-jährige Frau gegen die Räumungsklage. Sie sagen: Zumindest dem Mann, der an einer beginnenden Demenz leide, sei kein Wohnungswechsel mehr zuzumuten. Vor dem Amts- und Landgericht hatten sie keinen Erfolg. Mit dem BGH-Urteil gibt es jetzt neue Hoffnung.

Denn das Landgericht Baden-Baden ist nach Auffassung des Senats vorschnell zu dem Schluss gelangt, dass die Vermieter-Interessen hier Vorrang haben. Die Vorsitzende Richterin Karin Milger kritisierte in der Verhandlung beispielsweise, dass es gar keinen Ortstermin gegeben habe. Ob die Wohnsituation der Familie wirklich katastrophal beengt sei oder es nur um mehr Komfort gehe, lasse sich deshalb also gar nicht sagen. Das Landgericht muss sich jetzt noch einmal gründlich mit dem Fall beschäftigen und dann neu entscheiden. Solange können die Mieter erst einmal in ihrer Wohnung bleiben.

Der Deutsche Mieterbund nannte die Entscheidung „ein gutes Urteil“. „Letztlich muss das Mieterrecht auf körperliche Unversehrtheit dem Vermieterinteresse auf freie Lebensgestaltung in derartigen Fällen vorgehen“, erklärte Bundesdirektor Lukas Siebenkotten zu der Entscheidung.

Die Rechtslage bei Eigenbedarf: Von Formalien bis Frist

Eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ist oft ein Schock. „Sie sollten aber nicht den Kopf in den Sand stecken“, rät Wibke Werner vom Berliner Mieterverein. Wann eine solche Kündigung wirksam ist:

  • Formalien: Die Kündigung muss in Schriftform erfolgen – sie muss handschriftlich unterschrieben und nachweisbar zugestellt worden sein.
  • Begründung: „Außerdem muss der Eigenbedarf hinreichend begründet werden“, erklärt Werner. Das heißt: Im Schreiben muss konkret benannt werden, für wen die Räumlichkeiten benötigt werden. Grundsätzlich darf der Vermieter für sich selbst oder nahe Verwandte wie Kinder, Eltern, Enkel, Großeltern, Geschwister, Nichten und Neffen, Partner, Ehegatten oder Schwiegereltern Eigenbedarf anmelden.
  • Frist: Der Vermieter muss sich an die Kündigungsfristen halten: Drei Monate sind es bei einer Mietdauer bis zu fünf Jahren. Nach fünf und acht Jahren verlängert sich die Frist um je drei Monate.
  • Nur vorgetäuscht? Ist der Eigenbedarf nur vorgetäuscht? „Das lässt sich oft erst im Nachhinein feststellen“, sagt Werner. Nämlich dann, wenn jemand ganz anderes als angekündigt einzieht. Kann eine Täuschung rechtlich nachgewiesen werden, muss der Vermieter Schadenersatz zahlen. Der Mieter kann dann etwa Kosten für den Umzug, Maklergebühren oder eine erhöhte Miete geltend machen.

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