Zweitwohnsitz-Steuer: Münchner Ehepaar klagt über Abzocke

Als ihr Sohn in die erste eigene Wohnung ziehen will, unterschreiben Claudia und Frank S. den Mietvertrag. Zweieinhalb Jahre später kommt die böse Überraschung: 2.300 Euro fordert die Stadt für ihren vermeintlichen Nebenwohnsitz.
Nina Job |
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Die Schwabinger Frank und Claudia S. fühlen sich von der Stadt abgezockt.
Nina Job Die Schwabinger Frank und Claudia S. fühlen sich von der Stadt abgezockt.

München - Die Zweitwohnsitzsteuer, die 2006 in München eingeführt worden ist, trifft auch die Falschen: Nämlich Eltern, die ihren Kindern helfen wollen, auf dem umkämpften Münchner Wohnungsmarkt eine Wohnung zu ergattern.

Auch Frank (54) und Claudia S. (58) aus Schwabing wollten nur ihren Sohn und dessen Freundin unterstützen. Nichts Böses ahnend setzten sie ihre Unterschrift unter den Mietvertrag für seine erste Wohnung. Welch teure Folgen das hatte, bekamen sie erst viel später zu spüren.

Der Vermieter fordert Sicherheiten

2016 hatten sich ihr Sohn und dessen Freundin für eine kleine Wohnung im Westend beworben. "Unser Sohn war damals Berufsanfänger, seine Freundin studierte noch", berichtet Ton-Ingenieur Frank S. (54) der AZ. Zwar hätte das Gehalt des Juniors ausgereicht, um die rund 1.000 Euro für die 50-Quadratmeter-Wohnung zu bezahlen, doch der Vermieter wollte eine Sicherheit.

"Wir wollten unseren Sohn unterstützen und haben uns nichts dabei gedacht. Zumal beide im Mietvertrag als Bewohner eingetragen waren", sagt der Vater. "Hinweise auf eine Zweitwohnungssteuer hat es nicht gegeben."

Die böse Überraschung kam zweieinhalb Jahre später: im Januar 2019. Da schickte die Stadtkämmerei an die Eltern einen Bescheid über die Zweitwohnungssteuer – rückwirkend bis zum Jahr 2016. "Wir sind aus allen Wolken gefallen", sagt Frank S.

Am Anfang ging der Vater von einem Missverständnis aus. "Wir wohnen in Schwabing. Eine Zweitwohnung im Westend ergibt ja überhaupt keinen Sinn. Dort haben ausschließlich mein Sohn und seine Freundin gewohnt", sagt der 54-Jährige.

Ein Münchner Anwalt betreut 50 bis 60 solcher Fälle – pro Jahr

Er ging davon aus, dass sich der Irrtum schnell klären ließe. Doch das war nicht der Fall. Frank S. telefonierte mehrmals mit dem Amt, schickte den Mietvertrag sowie einen Leihvertrag für die Wohnung, den die Eltern mit dem Sohn und der Freundin aufgesetzt hatten, Einschreiben gingen hin und her. Die Stadt blieb hart.

Schließlich schaltete Frank S. den Münchner Rechtsanwalt Patrick Hermes ein, dieser legte Widerspruch ein gegen den Bescheid. Es nutzte alles nichts. "Ich berate im Jahr etwa 50 bis 60 Eltern, die das gleiche Problem haben", sagt der Anwalt. "Aktuell habe ich 15 Verfahren."

Die Stadt kann nicht abschätzen, wie viele Fälle es gibt

Wie viele Münchner Eltern oder nahe Verwandte insgesamt betroffen sind, lässt sich laut Auskunft der Stadtkämmerei, nicht ermitteln. Eine Sprecherin sagte auf Nachfrage zur AZ: "Eine gesonderte Erfassung ist bei der Erhebung der Zweitwohnungsteuer nicht vorgesehen. Aus diesem Grund können hierzu weder genaue Angaben gemacht werden noch eine Schätzung der Fälle erfolgen."

Kulanz gegenüber ahnungslosen Eltern, denen gar nicht klar war, welche Folgen eine Unterschrift unter dem Mietvertrag für die Wohnung ihres Kindes hat, gibt es offensichtlich nicht. Rechtsanwalt Hermes ist sogar vom Gegenteil überzeugt: "Die Mitarbeiter der Stadtkämmerei lassen die Betroffenen in die Falle tappen: Sie fragen, ob es eine schriftliche Vereinbarung zwischen Eltern und Kind gibt und wenn die Eltern Nein sagen, sind sie voll drin in der Haftung."

Den Fall von Claudia und Frank S. will er nun vor Gericht ausfechten. Er hat Klage eingereicht gegen die Stadt.

Frank S. arbeitet als Ton-Ingenieur, seine Frau Claudia ist Flugbegleiterin. Die Schwabinger könnten sich eine zweite Wohnung gar nicht leisten im teuren München. Zweitwohnungssteuer zahlen mussten sie trotzdem.

Stadt droht mit der Pfändung des Gehalts und der Bankkonten

Mit Schreiben vom 2. September forderte die Stadt insgesamt 2.297 Euro inklusive Säumniszuschlägen und Mahngebühren. Das Schreiben war gleichzeitig eine Ankündigung der Zwangsvollstreckung. Die Pfändung von Bankkonten oder dem Einkommen stand unmittelbar bevor.

"Es kann doch nicht sein, dass man ein paar tausend Euro zahlen muss, nur weil man seine Kinder unterstützt", ärgert sich der Vater. Zu der Zweitwohnungssteuer kommen auch noch das Honorar für den Anwalt und 324 Euro Gebühren für den Prozess vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht. Diese werden nach dem Streitwert berechnet und müssen im Voraus gezahlt werden.

"Ich möchte betonen, dass ich eigentlich ein großer Freund der Zweitwohnungssteuer bin", sagt Frank S. "Und ich bin auch für ein Vorgehen der Stadt gegen Wohnraummissbrauch, Leerstand, Fehlbelegung und illegale Weitervermietung über diverse Portale. Aber das hier kann man nur als ungerechtfertigte Abzocke Münchner Eltern bezeichnen."

Den Mietvertrag für die Wohnung im Westend hat die Familie mittlerweile auf den Sohn und dessen Freundin umschreiben lassen – zwei Jahre nach dem Einzug, so wie es von Anfang an geplant war.
Die Freundin ist inzwischen ebenfalls mit ihrem Studium fertig und arbeitet.

Lesen Sie hier: Zweitwohnungen - Wie Reiche Wohnraum in München vergeuden

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