Zweite Stammstrecke für Münchner S-Bahn: Alle Infos im Überblick

Mehr als 800.000 Pendler fahren täglich mit der Münchner S-Bahn, die längst an ihre Grenzen stößt. Seit Jahrzehnten wird eine zweite Stammstrecke geplant – die wichtigsten Fragen und Antworten.
München - Etwa 800.000 Menschen benutzen täglich die Stammstrecke, alle S-Bahnen fahren durch denselben Tunnel. Eine Störung ist deshalb immer fatal – Schimpfen auf die Stammstrecke gehört zum Münchner Lebensgefühl. Jetzt scheint die Lösung in Form einer Zweiten Stammstrecke zum Greifen nah. Alle Fragen und Antworten zum Jahrhundertprojekt:
Wie ist der aktuelle Stand zur Zweiten Stammstrecke?
Seit Dienstag steht die Finanzierung offiziell. Insgesamt ist jetzt von 3,84 Milliarden Euro Baukosten die Rede. Im April hatte das Eisenbahnbundesamt den lang erwarteten Planfeststellungsbeschluss für das letzte der drei Teilstücke erlassen, seitdem gibt es Baurecht für die gesamte Strecke. Sie soll zwischen den Bahnhöfen Laim im Westen und Leuchtenbergring im Osten verlaufen. Kernstück der zehn Kilometer langen Strecke ist ein Tunnel (etwa sieben Kilometer lang) zwischen dem Haupt- und dem Ostbahnhof. Aufgrund der Vorgaben des Brand- und Katastrophenschutzes werden die beiden neuen Gleise in getrennten Röhren geführt.
Wie sieht der Zeitplan aus?
Wie am Dienstag verkündet wurde, soll der Spatenstich im April 2017 erfolgen. Die Staatsregierung geht jetzt offiziell von einer Bauzeit bis 2026 aus.
Wie lange plant man eigentlich schon an der zweiten Strecke?
Schon seit den 90er Jahren wird das Thema in München intensiv diskutiert. Es gab dafür mehrere Machbarkeitsstudien und Untersuchungen, die unter anderem eine Tunnel- und eine Südring-Variante geprüft haben. Nach den ursprünglichen Planungen des damaligen bayerischen Verkehrsministers Otto Wiesheu (CSU) sollte die Strecke schon 2010 fertig sein. Seine Nach-Nachfolgerin Emilia Müller nannte als Baubeginn 2009. Der frühere Verkehrsminister Martin Zeil (FDP) gab Mitte Mai 2009 die Prognose 2010 ab und änderte die Prognose später auf 2020. Der aktuelle Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) rechnete noch Ende 2013 mit einer Eröffnung im Jahr 2022.
Warum hat das so lange gedauert?
Gebremst haben das Projekt vor allem Diskussionen über die Finanzierung, die sich Bund, Freistaat, Stadt und Deutsche Bahn teilen. Anfang 2010 beschloss die Bayerische Staatsregierung ein Entwicklungskonzept für den Bahnknoten München. Kernstück: eine neue innerstädtische Verbindung. Die Gesamtkosten veranschlagte man auf 1,76 Milliarden Euro. Das Ende 2012 beschlossene – und bis Dienstag offizielle – Finanzierungskonzept sieht Kosten von rund 2 Milliarden Euro vor. 1,274 Milliarden Euro zahlt demnach der Freistaat, 493 Millionen Euro der Bund, 133 Millionen die Deutsche Bahn und (freiwillig) 113 Millionen die Stadt München. Schon kurz darauf listete die Bahn in einer internen Übersicht Gesamtkosten von 2,237 Milliarden Euro auf. 2013 zeigte eine weitere interne Übersicht Kosten von 2,433 Milliarden.
Endlich! S-Bahn auch am Freitag im 10-Minuten-Takt
Zwischendurch sorgte der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) für Wirbel: Sei die Münchner Bewerbung für Winter-Olympia 2018 erfolglos und blieben damit zusätzliche Olympia-Gelder aus, werde die Finanzierung aus Bundesmitteln schwierig, erklärte er – die Röhre könne dann „erst in Zeiträumen bis 2025, wenn nicht sogar darüber hinaus verwirklicht werden“. Im Jahr 2014 begründeten Planer die Bau-Verzögerungen nicht nur mit stockenden Genehmigungsverfahren – sondern auch der „noch offenen Finanzierung“. Mitte 2015 ging die Bahn intern dann von Gesamtkosten bis zu 3,12 Milliarden aus.
Gab’s da nicht auch noch Klagen?
Es klagten Anwohner und Anlieger. Zuletzt hatte sich das Planfeststellungsverfahren für den letzten Streckenabschnitt in die Länge gezogen, weil an der entsprechenden Stelle viele Anwohner betroffen waren und der Streckenverlauf mehrmals geändert werden musste. Außerdem klagten in diesem Sommer knapp 40 Parteien vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gegen die geplante Zweite Stammstrecke. Dabei ging es überwiegend um Beeinträchtigungen, die durch die Baustelle des Milliardenprojekts entstehen. Der VGH wies die Klagen zum Großteil ab. Die Bahn muss Schutzauflagen während der Bauphase ergänzen. Ähnlich endete ein früherer Prozess der Besitzer von Läden am Marienhof.
Wegen Zweiter Stammstrecke: Backstage gegen Bahn-Baustelle
Könnte das Projekt noch kippen?
Möglich ist alles. Die „Bürgerinitiative S-Bahn-Ausbau“ aus Haidhausen will den Tunnelbau weiterhin verhindern und klagt. Auch der Chef des Club-Komplexes „Backstage“, Hans-Georg Stocker klagte wie berichtet am vergangenen Montag vorm VGH gegen die Baugenehmigung, die das Eisenbahnbundesamt erlassen hat, weil die Bahn quer übers Backstage-Gelände an der Reitknechtstraße eine Baustellenstraße führen will. Außerdem erklärte Architekt Jürgen Rauch 2009, der Tunnel-Bau könne die Statik der Frauenkirche gefährden, da die Trasse an manchen Stellen nur in zehn Metern Entfernung verlaufen würde.
Löst die Röhre alle Münchner Verkehrsprobleme?
Natürlich nicht. Es steht die dringend benötigte Innenstadtlinie U9 aus, die das U-Bahn-Netz entlasten soll, eine Express-Verbindung zum Flughafen fehlt weiterhin, bei der Tram-Westtangente gibt es im Rathaus noch keinen Durchbruch. Und wie steht’s mit einem S-Bahn-Ring?
<img alt=Die geplante Streckenführung der Zweiten Stammstrecke. Um das Bild größer zu sehen, klicken Sie bitte auf die Grafik. Grafik: AZ
Weitere Informationen zum Streckenverlauf und den Umbauarbeiten finden Sie hier.