Zweier-WG in Obermenzing: Rentner und Student
München - Ein paar dieser alten, nicht durchsanierten Häuser gibt es noch, im immer schicker werdenden Obermenzing. Nur selten fährt ein Auto vorbei am Eigenheim von Klaus Fuckerieder (69), zehn Fußminuten von der S-Bahn entfernt.
Der kleine Garten hinterm Holztor wuchert wild, nur die bauchige Hecke ist akkurat geschnitten. Es öffnet ein Mann mit wildem, schlohweißen Bart und freundlichen, wasserblauen Augen, ein promovierter Chemiker und pensionierter Bio-/Chemie-Lehrer vom Münchner Max-Gymasium.
Er führt durch einen schmalen, holzgetäfelten Flur ins Wohnzimmer. Wände voller Bücher und Zeitschriften, ein altes Klavier, eine Sammlung hochgewachsener Kakteen im Fenster und viele Kinderbilder erzählen von einem reichen Leben, das Fuckerieder mit seiner Frau und den zwei Töchtern hier über 20 Jahre geführt hat. Die Mädchen sind lang aus dem Haus. Vor zwei Jahren ist Fuckerieders Frau gestorben. Es war eine hässliche Stille, die sich danach über das Haus ausgebreitet hat.
Deshalb wohnt nun Daniel (24) mit im Haus, ein junger Student aus Mexiko. "Wohnen für Hilfe" nennen die beiden das. Daniel hilft, wenn er aus der Uni kommt, beim Einkaufen und Kochen, begleitet den alten Herrn zu Vorträgen oder Konzerten und leistet Gesellschaft, er wohnt dafür mietfrei.
AZ: Herr Fuckerieder, Sie waren 45 Jahre verheiratet. Wie haben Sie das geschafft, klarzukommen, nachdem Ihre Frau nicht mehr bei Ihnen war?
KLAUS FUCKERIEDER: Es hat mir schon sehr die Füße weggezogen, auf einmal allein zu sein. Meine Kinder, Nachbarn und Freunde haben viel geholfen. Ich habe dann relativ bald den ersten Studenten aufgenommen, das ist ein schönes Konzept, jemanden gegen Hilfe im Haus zu haben.
Jetzt führen Sie einen Zwei-Männer-Haushalt. Wie gut klappt das?
Einwandfrei. Der Daniel kocht mexikanisch. Das schmeckt mir gut, ich kann ja nur Leberkäs mit Ei. Und der Daniel studiert Biotechnologie, das ist artverwandt mit meinen Fächern. Wir diskutieren viel beim Abendessen, das fordert mein Hirnkastl.
Duzen Sie beide sich?
Ich habe ihm das angeboten, aber er sagt, er kann nicht Du zu mir sagen, weil man in Mexiko Respekt vor dem Alter hat. Jetzt duze halt nur ich ihn.
Sie sind auf Mieteinnahmen nicht angewiesen. Ist Ihre Pension so gut?
Ich habe das Glück, das Haus hier abbezahlt zu haben. Und ich habe ungefähr 4.000 Euro Pension netto im Monat inklusive der Witwenpension von meiner Frau, sie ist ja auch im Schuldienst gewesen.
Kommt Ihnen das viel oder wenig vor?
Ich würde sagen, ab 3.500 Euro ist man gut lebensfähig.
Viele Senioren in München müssen mit 900 Euro oder weniger auskommen.
Ich weiß. Da stimmen einfach die Relationen nicht mehr. Das darf einfach nicht sein, dass jemand, der das ganze Leben gearbeitet hat wie ich, am Ende fast verhungern muss.
Womit verbringen Sie so Ihre Tage, seit Sie nicht mehr in die Schule müssen?
Am Dienstag gehe ich zur Gymnastik im Postsportverein. Das ist lustig, da bin ich der einzige Herr unter lauter Damen. Samstags gehe ich mit Daniel einkaufen. Freitags ist mein Schreinerkurs bei der VHS.
Was schreinern Sie denn?
Schubladenschränke, Betten, Sofas. Ich wäre ja auch gern Schreiner geworden, aber ich war dann ja schon Lehrer.
Und jetzt Lehrling mit 69!
Portugiesisch lerne ich auch. Ich pauke jeden Tag 20 Minuten Vokabeln. Man muss das Nervensystem täglich anstrengen, sonst wird man doof. Mein Nachbar hat das jahrelang so gemacht: Der ist jeden Mittag in die Wirtschaft spaziert für die Bewegung. Und hat dann dort geratscht fürs Hirn.
Aha. Auch eine Art von Sport. Wie gesellig ist Ihr Leben in München?
Den Günter und den Hans aus meiner Schulzeit habe ich oft getroffen. Mit einer Kollegin rede ich täglich. Meine Kinder und mein Enkelkind sind viel da. Neulich war ich mit einem früheren Schüler essen. Da muss man schon Danke sagen, dass ich jeden Tag Leute sehe.
Nutzen Sie die Kulturangebote, die München bietet?
Ab und zu gehe ich in Konzerte, oft zu Vorträgen der Siemensstiftung, da kommt der Daniel mit. Und immer wieder in den Botanischen Garten, wenn es da etwas besonderes gibt.
"Ich weiß nicht, ob ich mir noch eine Partnerin suchen soll"
Kommen Sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln überall hin?
Theoretisch ja. Ich habe einen Bus ums Eck und die S-Bahn in der Nähe. Aber ich fahre meistens Radl und Auto. Ich mag meinen Skoda.
Ein Elektroauto wäre nichts für Sie?
Mich regt der Dreck in der Luft zwar als Biologe auf. Aber von den E-Autos halte ich nichts. Was macht man denn, wenn man unter der Fahrt stehen bleibt, weil der Strom ausgeht.
Vorher genug tanken?
Wissen Sie, was mich tröstet bei der CO2-Diskussion?
Was denn?
Dass in München der Wind meistens aus dem Westen kommt. Da nimmt er die ganze Luftverschmutzung in den Osten mit, und über mir in Obermenzing bleibt es sauber.
Waren Sie eigentlich wählen bei der Bundestagswahl?
Natürlich, ich bin ein alter Sozialdemokrat.
Warum?
Weil ich das immer schon war. Das waren meine Eltern schon. Ich ändere mich da nicht mehr.
Verfolgen Sie die Stadtpolitik?
Im Detail nicht mehr. Vielleicht geht’s mir zu gut, um mich noch über etwas Politisches aufzuregen.
Wie gut geht es Ihnen denn, auf einer Skala von eins bis zehn?
Wenn ich meinen Nachbarn besuche, sehe ich ihn immer ans Bett gefesselt. Rund um die Uhr. Wegen seines Krebsleidens. Dann denke ich mir: Fuckerieder, hör’s Jammern auf, dir geht es wirklich gut. Du hast Familie, einen netten Mitbewohner, du hast viel Glück gehabt im Leben und du hast finanziell keine Sorgen. Bei einer Frage bin ich halt noch nicht sicher.
Welche Frage?
Ich weiß nicht, ob ich mir noch eine Partnerin suchen oder ob ich alleine bleiben soll. Bekannte von mir haben sich noch spät über eine Anzeige gefunden und eine gute Zeit miteinander gehabt. Und ich bin ja noch nicht alt.
Wie alt möchten Sie denn werden?
So alt, dass ich selber entscheiden kann, wie es aufhört. Aber ich sage Ihnen was: Der Himmelvater hat noch keine Planstelle für mich.
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