Zwei Löcher in der Wand – für zusammen 1102,38 Euro

Der kleine Leon (11) kracht daheim mit dem Radl gegen die Hauswand. Als seine Eltern die Rechnung für den Schaden bekommen, sind sie sprachlos.
von  Nina Job
Zwei hellere Flecken (siehe Kreise) zeugen – kaum sichtbar – vom Unfall.
Zwei hellere Flecken (siehe Kreise) zeugen – kaum sichtbar – vom Unfall. © Daniel von Loeper

München - Leon ist ein aufgeweckter, fröhlicher Bub. Er geht in die fünfte Klasse, spielt beim TSV Großhadern Fußball und schwimmt sehr gern. Manchmal kommt es vor, dass es beim Spielen auch mal etwas wilder zugeht. So geschehen an einem Nachmittag vor ein paar Wochen.

Der Elfjährige hatte sich das Fahrrad seiner jüngeren Schwester ausgeliehen und kurvte damit im Innenhof an der Sauerbruchstraße herum. Leons Familie stammt aus dem Kosovo. Seit sechs Jahren wohnt sie hier in einer 58 Quadratmeter großen Drei-Zimmer-Wohnung.

Leon hatte einen Moment lang nicht aufgepasst und schon war’s passiert: Der Bub prallte frontal gegen die Hauswand und stürzte zu Boden. Er schrammte sich das Knie auf und die rechte Hand – keine große Sache.

Der kleine Unfall wäre schnell vergessen gewesen, wenn der Zusammenstoß an der Hauswand nicht Spuren hinterlassen hätte, die die Familie jetzt teuer zu stehen bekommen. Sehr teuer. Viel zu teuer, sagen Nachbarn.

 

Der Vater bot an, den Schaden selbst reparieren zu lassen

 

Der Lenker des Kinderfahrrades hatte zwei Löcher in den Putz gerissen, etwa so groß wie Tischtennisbälle.

„Zwei Mäuselöcher“, sagt Leons Vater Sadri D. Der 44-Jährige nahm’s zunächst nicht tragisch. Er dachte, er könne die Löcher selbst zuspachteln – und bot an, den Schaden sofort zu beheben. „Wenn das nicht professionell genug gewesen wäre, hätte ich einen befreundeten Handwerker beauftragt“, sagt der Vater. Doch die Hausverwaltung lehnte diese unkonventionelle Schadensregulierung ab. „Das ist ein sehr gepflegtes Haus, in das viel Geld investiert worden ist. Ein Schaden muss professionell behoben werden – auch wegen der Garantie“, sagte Elisabeth Merkl von der zuständigen Hausverwaltung zur AZ.

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Leons Vater wartete ab. „Ich habe mit einer Rechnung von ein paar hundert Euro gerechnet. So hoch wurde die Reparatur von meinem Bekannten, einem Handwerker, geschätzt“, sagt Sadri D. Doch die Hausverwaltung beauftragte eine andere Firma, die ihren Sitz nördlich von Augsburg im rund 90 Kilometer entfernten Pöttmes hat.

Sieben Wochen nach dem Unfall bekam der Vater die Rechnung für die Reparatur der Hauswand: satte 1102,38 Euro sollte er überweisen.

Sadri D. fiel aus allen Wolken: „Ich dachte, ich seh’ nicht richtig!“ Er und seine Frau Fatime haben inzwischen bitter bereut, dass sie keine private Haftpflichtversicherung abgeschlossen hatten.

Auf Nachfrage der AZ erklärte der Chef der Fassaden-Firma die hohen Kosten vor allem damit, dass die Löcher im Putz nicht in einem Arbeitsgang geschlossen werden konnten. „Wir mussten drei Mal nach München fahren, da das Glasfasergewebe unter dem Putz beschädigt war. Die Stelle musste freigelegt und gesäubert werden, dann mussten die einzelnen Schichten erst aushärten und trocknen. Der Oberputz musste vor dem Anstrich ebenfalls erst trocknen. So etwas geht leider nicht in einem Rutsch. Und von Pöttmes nach München braucht man mindestens eine Stunde.“

So berechnete die Firma für ihre Arbeitszeit einschließlich An- und Abfahrtszeit sowie Rüstzeit insgesamt 12 Stunden à 48,65 Euro. Das macht zusammen allein 538 Euro. Dazu kommen noch drei Fahrzeugkosten für den Transporter à jeweils 75 Euro. Das Werkzeug und Kleinmaterial für die Reparatur fällt dagegen marginal aus: mit nur 87,57 Euro. Macht alles zusammen plus 19 Prozent Mehrwertsteuer 1102,38 Euro.

Sowohl die Hausverwaltung als auch die Fassadenfirma finden die Rechnung nicht überzogen. „Reparaturen dieser Art müssen professionell ausgeführt werden, sonst entstehen später Risse im Putz, und es dringt Feuchtigkeit ein“, sagt Elisabeth Merkl von der Hausverwaltung. Und warum beauftragte sie eine Firma, die zum Einsatzort und zurück insgesamt fast 360 Kilometer zurücklegen musste? „Diese Firma hat seinerzeit die komplette Fassade gemacht.“

Sadri M. und seine Frau Fatime sind ratlos. Sie wissen nicht, wie sie die hohe Rechnung bezahlen sollen. Beide sind zur Zeit arbeitslos.

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