Zum Christopher Street Day: Journalist Robert Andreasch über Homophobie von rechts
Andreasch ist Rechercheur der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle a.i.d.a.
AZ: Herr Andreasch, die extreme Rechte war schon immer homophob. Trotzdem sprechen Experten von einer neuen Intensität. Warum?
ROBERT ANDREASCH: Sie trägt derzeit viel stärker als in den letzten Jahren homophobe Hetze, Antifeminismus und eine Ablehnung all dessen nach außen, was den Begriff gender im Wort hat. Das ist – neben der Hetze gegen Geflüchtete – das zweite große Kitt-Thema, das alle rechten Gruppen von Konservativen bis Neonazis verbindet und das die Kluft zwischen extremer Rechten und Bevölkerung überwinden helfen soll.
Seit wann beobachten Sie diese Tendenz?
Im publizistischen Bereich erscheinen seit etwa zehn Jahren viele Artikel gegen Geschlechtergleichstellung, gegen Feminismus – und Artikel, in denen eine offene Diskriminierung von nicht heterosexuellen Lebensformen dominiert. Seit einigen Jahren äußert sich diese Entwicklung auch auf der Straße: durch Initiativen, Organisationen, Gruppen und Kundgebungen – und seit kurzem durch Übergriffe, etwa auf Beratungsstellen wie unlängst auf ein LSBTI-Zentrum in Halle.
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Eine neue Qualität?
Ja, neben den Morddrohungen, den Hate-Mails, dem Hass und der Hetze auf Facebook, diesem ganzen Shitstorm eben, der in der Sexualpädagogik oder in Beratungsstellen aktive Menschen trifft.
Wer sind die Hauptakteure?
Als Kampagnen-Thema ist homophobe Hetze in der gesamten Rechten aufzufinden, sowohl bei Neonazis als auch bei Rechtspopulisten. Die AfD setzt stark auf antifeministische und homophobe Inhalte, sie sind aber auch im Bereich des christlichen Fundamentalismus rechtsklerikaler und evangelikaler Gruppen das Top-Thema. Und sie waren es oft bei Pegida.
Wie wird gehetzt?
Das ist bei den einzelnen Gruppen ein bisschen unterschiedlich, aber letztendlich geht es darum, dass eine "natürliche" Form von Sexualität konstruiert wird und eine "natürliche", angeblich normale Form von Geschlechterrollen, sehr traditionell und unflexibel, auf zwei Geschlechter aufgeteilt. Das wird manchmal demografisch begründet, manchmal biblisch, aber letzten Endes wird eine Norm konstruiert und Abweichendes diffamiert. Es geht immer darum, dass es widernatürlich sei, nicht heterosexuell zu leben, eine Ausnahme. Und dass dadurch eine Dekadenz, eine Gefährdung der Gesellschaft, des Vaterlandes, der Nation zu besorgen sei.
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Bei der aktuellen Mitte-Studie haben 40 Prozent der Befragten angegeben, sie fänden es "ekelhaft", wenn sich Homosexuelle auf der Straße küssen. Ist das die Folge dieser Propaganda?
Es gibt eine Verrohung von Bürgerlichkeit, das Koordinatensystem verschiebt sich nach rechts – und es ist immer mehr sagbar im öffentlichen Raum. Was vor einem Jahr noch als massive Hetze abgelehnt worden wäre, das trauen sich heute immer mehr Menschen zu äußern. Und tatsächlich ist die Zahl derer, die der zitierten Aussage zugestimmt haben, über die Jahre gestiegen. Dieser Satz wird in Studien von zwei deutschen Universitäten seit 2009 untersucht und die Zustimmung ist von 27 Prozent damals auf heute 40 Prozent angestiegen. Ein Drittel der Bevölkerung sagt außerdem, Homosexualität sei unmoralisch und 36 Prozent sagen, Ehen zwischen zwei Frauen oder zwei Männern sollten nicht erlaubt werden. Die Abwertung von Homosexuellen bewegt sich heute auf einem viel höheren Niveau. Das zeigt, dass viele Kämpfe, die zu Liberalisierung oder Toleranz geführt haben oder führen sollten, noch weitergeführt werden müssen.
Aber viele Menschen, die sich entsprechend abwertend äußern, kennen doch vermutlich gar keine Homosexuellen.
Das ist ja meistens so, dass keinerlei Kontakt besteht – auch beim Rassismus oder Antisemitismus: Es braucht keine Kontakte mit Migrantinnen, um Rassist zu sein – und es braucht keine Kenntnis über Juden und Jüdinnen, um Antisemit zu sein. Ganz im Gegenteil: Reale Kontakte könnten ja Ressentiments vorbeugen und abschwächen. Tatsächlich handelt es sich hier sozialpsychologisch um puren Hass: Man will diese Toleranz, diese Modernisierung nicht mitmachen.
Was lässt sich dagegen tun?
Angesichts des Hasses und der Eskalation, aber auch angesichts dessen, welchen Raum die Gegner von Vielfalt und Toleranz sich schon erkämpft haben, ist es schwierig. Ich will nur daran erinnern, dass erst am 29. Juni die homophobe Autorin Birgit Kelle ("Gender Gaga", d. Red.) von der CSU München eingeladen wurde. Damit verlässt das Thema den Raum von Rechtspopulisten und AfD. Es ist eine Gefahr, wenn die Grenzen da nicht hochgezogen werden. Trotzdem bin ich jemand, der daran glaubt, dass mit weiterer Aufklärung doch noch etwas im Sinne von Toleranz, Gegenwehr und Vielfalt bewirkt werden kann.
Im Rahmen der CSD-Pride-Week hält Robert Andreasch am Donnerstag um 19 Uhr einen Vortrag über "LSBTI-Feindlichkeit in der extremen Rechten", Studio, Lindwumstraße 71