Zum 175. Geburtstag von Herzogin Sophie Charlotte: Heiße Tränen, hartes Schicksal
München - Stets erschien der bayerische König in den späten Abendstunden auf Schloss Possenhofen. Die Besuche von Ludwig II. galten seiner Verlobten, Herzogin Sophie Charlotte in Bayern, der jüngsten Tochter des Hauses.
Den Konventionen entsprechend konnten sich die beiden nicht alleine treffen. So platzierte man im Salon, hinter einem rankenden Efeu versteckt, eine Hofdame, die den Spitznamen "die Königswache" erhielt.
Sie beobachtete, wie der König lange wortlos seiner Braut gegenüberstand, ihr die Stirn küsste und sagte: "Du hast so schöne Augen". Eines Abends erschien der König in Begleitung eines Herren, der die Krone der bayerischen Königinnen aus der Schatzkammer mit sich führte. Sophie Charlotte sollte sie Probe tragen. Als der König wieder weg war, fiel die junge Frau der "Königswache" weinend um den Hals und schluchzte: "Er liebt mich nicht, er spielt nur mit mir."
Sophie Charlotte kommt im Herzog-Max-Palais zur Welt
Herzogin Sophie Charlotte in Bayern, damals 20 Jahre alt, entstammte einer wohlhabenden Nebenlinie des Hauses Wittelsbach, der Herzöge in Bayern.
Diese residierten in einem der prächtigsten Gebäude Münchens, dem Herzog-Max-Palais in der Ludwigstraße, wo Sophie Charlotte am 22. Februar 1847 das Licht der Welt erblickte. Ihre Eltern, Herzog Max und Herzogin Ludovika, führten - trotz vieler Nachkommen - ein Leben auf Distanz.
Genügend Platz dafür war vorhanden, denn neben dem Palais in der Stadt gab es einen Landsitz: Schloss Possenhofen am Starnberger See, in der Familie von allen liebevoll "Possi" genannt. In den Fokus der Öffentlichkeit geriet die Familie, als die zweitälteste Tochter Elisabeth - die unter ihrem Kosenamen "Sisi" weltberühmt wurde - 1854 den Kaiser von Österreich heiratete. Mit ihren blauen Augen und ihrem langen, weizenblonden Haar stand Sophie Charlotte ihrer älteren Schwester in puncto Schönheit in nichts nach, sie liebte die Musik und bezauberte mit einer klaren Sopranstimme.
Ludwig II. galt als umschwärmter Junggeselle
Die Liebe zum Werk von Richard Wagner bildete die Grundlage ihrer Freundschaft mit dem nur wenig älteren Ludwig II., der im Alter von nur 18 Jahren bayerischer König geworden war. Aufgrund seines attraktiven Äußeren galt er als umschwärmter Junggeselle, zeigte jedoch wenig Interesse an weiblichen Bekanntschaften.
Überraschend hält Ludwig II. in einem Brief um Sophie Charlottes Hand an
Daher überraschte es alle Beteiligten, als der König am 22. Januar 1867 per Brief um die Hand von Sophie Charlotte anhielt: "Willst Du meine Gattin werden? Genossin meines Throns? Königin von Bayern? Ich glaube fest und sicher: Wir werden miteinander glücklich werden."
Allerdings dauerte es nicht lange, bis der König diesen Schritt bereute und merkte, dass er gar nicht heiraten wollte. Die zukünftige Königin dürfte dies schon früh gespürt haben: Bereits kurz nach der Verlobung hatte Sophie Charlotte Zweifel an der Ernsthaftigkeit von Ludwigs Zuneigung angemeldet, die der König nur halbherzig vom Tisch wischte.
Nach acht Monaten wird die Verlobung gelöst
Das Desinteresse des Königs an seiner Braut wurde für die Öffentlichkeit sichtbar, als Ludwig II. den Ball zu Ehren seiner Verlobung frühzeitig wieder verließ - um das Ende eines Stückes im Theater sehen zu können. Angeblich verabschiedete er sich nicht einmal von Sophie Charlotte, die an diesem Abend ein Kleid in den bayerischen Nationalfarben trug.
Es dauerte lange acht Monate, bis der König sich dazu durchringen konnte, die Verlobung zu lösen. Schriftlich ließ er seine Verlobte wissen, dass er doch nur "Bruderliebe" für sie empfände. Einer Vertrauten teilte der König mit: Hätte er die Verbindung nicht lösen können, wäre er bereit gewesen, "mittels Blausäure" seinem Leben ein Ende zu setzen.
Sophie Charlotte: Kurze Affäre mit Edgar Hanfstaengl
Die Zeit als Ludwigs Verlobte war für Sophie Charlotte eine emotionale Achterbahn. Ausgerechnet bei ihrem ersten Fototermin als zukünftige Königin traf sie einen Mann, der ihr Herz entflammte. Edgar Hanfstaengl hieß der attraktive junge Herr.
Als das Interesse des Königs an seiner Braut immer mehr abflaute, ließ Sophie Charlotte sich auf eine kurze Affäre mit Edgar ein. Nur ein paar Mal trafen sich die beiden, dann war wieder Schluss. Sophie Charlotte hatte die wahre Liebe geschmeckt und seufzte in ihrem Abschiedsbrief an Edgar: "O könnten meine heißen Thränen das harte Schicksal erweichen, kann ich nie nie mehr die deine werden!"
Heirat mit Herzog Ferdinand von Alencon
Die Aussichten für eine sitzengelassene Braut waren denkbar schlecht, daher suchte die Familie nach der Entlobung schnell nach einem Ersatz. Ein knappes Jahr später wurde Sophie Charlotte mit Herzog Ferdinand von Alencon verheiratet, einem Enkel des letzten französischen Königs. Ein Gast der Hochzeit berichtete, das "ja" der Braut habe geklungen wie ein "meinetwegen" oder wie "von mir aus, ja". Der tief religiöse Herzog, der keine Musik mochte, galt Zeitgenossen mehr als "Heiliger" denn als Ehemann. In den ersten Ehejahren brachte Sophie Charlotte zwei Kinder zur Welt, eine Tochter und einen Sohn.
Die Absetzung und der gewaltsame Tod Ludwigs II. im Starnberger See im Juni 1886 bildete eine Zäsur im Leben von Sophie Charlotte. Zusammen mit ihrer Familie reiste sie umgehend nach Bayern. Emotional erschüttert geriet sie in eine schwere gesundheitliche Krise. Ihr wurde ein Arzt aus München empfohlen: Dr. Franz Glaser.
Sophie Charlotte gegen ihren Willen in ein Sanatorium eingewiesen
Nun passierte, was eigentlich nicht passieren durfte. Zum zweiten Mal in ihrem Leben verliebte sich die Herzogin in einen Bürgerlichen. Die Zuneigung war so tief, dass Sophie Charlotte entgegen aller Konventionen ihres Standes die Scheidung von ihrem Ehemann verlangte, um einen Mann ihrer Wahl heiraten zu können.
Die Aufregung war groß und der entsetzten Familie fiel nur ein Mittel ein, die Herzogin zur Räson zu bringen. Man ließ ein ärztliches Gutachten erstellen, das bei Sophie Charlotte eine Krankheit namens "moral insanity" diagnostizierte. Gegen ihren Willen wurde sie in ein Sanatorium eingewiesen.
Krankenakten aus dem Sanatorium Maria Grün bei Graz nicht erhalten
Allerdings leistete die Herzogin Gegenwehr: "Wollen sie es mit mir machen wie mit dem König?", hielt Sophie Charlotte den Ärzten entgegen. Damit spielte sie auf das Schicksal ihres ehemaligen Verlobten an, der auf Grund eines psychiatrischen Gutachtens abgesetzt worden war. Missliebige Personen mit Hilfe der Psychiatrie aus dem Verkehr zu ziehen, war ein probates Mittel im ausgehenden 19. Jahrhundert.
Und so fand sich die Schwester der Kaiserin von Österreich im Sanatorium Maria Grün bei Graz wieder, in der Obhut des auf sexuelles Fehlverhalten spezialisierten Arztes Richard von Krafft-Ebing. Welche Mittel man dort genau anwendete, um den Willen der Herzogin von Alencon zu brechen, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, da die Krankenakten nicht erhalten geblieben sind.
Sophie Charlotte kehrt zu ihrem Ehemann zurück
Aus Dokumenten ist folgendes überliefert: Man isolierte die Herzogin und nahm ihr jegliche Möglichkeit, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Spitzel wurden in ihrer Nähe installiert, deren Aufgabe es war, ihre Briefe abzufangen. Da man Sorge hatte, die internierte Herzogin könne einen Fluchtversuch wagen, durfte sie sich nur zu Fuß und in der nächsten Umgebung bewegen. Ausfahrten mit der Kutsche waren ihr verboten.
Der Aufenthalt in Maria Grün dauerte mehrere Monate, erst als Sophie Charlotte ihr Vorhaben aufgeben hatte und bereit war, zu ihrem Ehemann zurückzukehren, entließ man sie wieder in die Freiheit.
Sophie Charlotte kommt bei Feuer in Paris ums Leben
Das Ehepaar pendelte in den folgenden Jahren zwischen Innsbruck und Paris. Sophie Charlotte war Mitglied des Dritten Ordens der Dominikaner, in dieser Funktion nahm sie am 4. Mai 1897 an einem Wohltätigkeitsbasar in Paris teil.
Mitten im Getümmel fing ein als Attraktion aufgebauter Kinematograph der Gebrüder Lumière Feuer und setzte in kürzester Zeit den leicht entflammbaren Basar in Brand. Das Unglück forderte weit über 100 Todesopfer, meist Frauen und Kinder. Auch Sophie Charlotte gehörte zu den Personen, die nur noch tot geborgen werden konnten.
Der Autor hat mehrere Bücher zu Sisis Familie geschrieben. Mehr Infos unter christian-sepp.de
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