Zoff zwischen Knobloch und Hallervorden: Keine gemeinsame Aktion gegen rechts

Noch immer erhitzt das Gaza-Gedicht von Dieter Hallervorden die Gemüter. Die Holocaust-Überlebende Charlotte Knobloch will mit dem bekannten Schauspieler kein gemeinsames Zeichen gegen den Rechtsruck setzen.
Alexander Spöri
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Dieter Hallervorden will bei der Produktion eines besonderen Musikvideos teilnehmen. Dabei entbrennt ein Streit mit einer Holocaust-Überlebenden.
Dieter Hallervorden will bei der Produktion eines besonderen Musikvideos teilnehmen. Dabei entbrennt ein Streit mit einer Holocaust-Überlebenden. © dpa/Hannes P. Albert

München – Bekannte Künstler – darunter die Schlagersängerin Katja Ebstein, DSDS-Gewinner Prince Damien und der aus den USA stammende Sänger Ron Williams – haben einen Protestsong aufgenommen. Darin machen sich die Promis gegen die AfD stark. Der Name des am vorletzten Samstag veröffentlichten Werks: "Nicht mit uns!"

Der Text und die Botschaft des rockigen Songs sind eingängig: Die Menschen sollen nicht schweigen, sondern lautstark gegen Extremisten das Wort erheben. Doch im Musikvideo fehlen zwei Protagonisten, die zuvor noch an der Produktion beteiligt waren: die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch (91) und die Schauspiellegende Dieter Hallervorden (88).

Beide wurden aus dem rund dreiminütigen Clip herausgeschnitten, weil Knobloch offenbar nicht im selben Video wie Hallervorden erscheinen will. Der Grund: Meinungsverschiedenheiten zum Gaza-Krieg.

Musikprojekt sollte Promis vereinen – Dieter Hallervorden und Charlotte Knobloch aus Clip herausgeschnitten

Die zwei Münchner Ideengeber, Tobias Irl und der Musiker Ron Williams, sind deswegen enttäuscht. Ihr Ziel war es, bekannte Persönlichkeiten aus Deutschland im demokratischen Kampf gegen den Rechtsruck zu vereinen.

Dafür telefonierten die Verantwortlichen ihre Kontakte ab und konnten Schauspieler wie Ottfried Fischer, Uschi Glas und Politiker – darunter Dieter Reiter (SPD) – überzeugen. Sie ließen sich mit Papierschildern ablichten. Darauf steht der Name des Protestsongs.

Der frühere Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) trat unter anderem für ein politisches Statement vor die Kamera: "Wir Demokraten müssen zusammenhalten", sagt der ehemalige Rathauschef im Musikvideo.

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Ein solches Statement haben auch Dieter Hallervorden und Charlotte Knobloch abgegeben – bis der Pressesprecher der Holocaust-Überlebenden kurz vor der Veröffentlichung eingriff. "Er sagte, dass nur einer im Video erscheinen darf – entweder Hallervorden oder Knobloch", erzählt Ron Williams im Gespräch mit der AZ.

"Völkermord": Hallervorden-Gedicht über Situation in Gaza ist Auslöser des Streits

Der Auslöser dieser Reaktion ist wohl das vor wenigen Wochen veröffentlichte Gaza-Gedicht von Hallervorden. Darin verurteilt der Schauspieler die Angriffe der Hamas und setzt sich für das Ende der Gewalt in Israel, die Freilassung der Geiseln und für eine Zweistaatenlösung ein. Mittendrin fällt aber auch das Wort "Apartheid", zum Ende des Videos sagt der Schauspieler: "Ich frag' mich immer wieder: Und das soll kein Völkermord sein?"

Bis heute treffen den deutschen Schauspieler für diese Äußerungen massive Antisemitismus-Vorwürfe. Der Zentralrat der Juden bezeichnet die Aussagen als "wirr" und "fragwürdig".

Die Holocaust-Überlebende Charlotte Knobloch erscheint nach Meinungsverschiedenheiten nicht in der Münchner Protesthymne.
Die Holocaust-Überlebende Charlotte Knobloch erscheint nach Meinungsverschiedenheiten nicht in der Münchner Protesthymne. © imago

Trotzdem ließen Irl und Williams nicht locker. Die beiden versuchten Charlotte Knobloch trotzdem vom Mitmachen zu überzeugen. "Ich habe gesagt, dass Hallervorden ein bekannter Künstler ist, der gegen Ungerechtigkeit kämpft", so Williams. Doch die Bemühungen waren vergeblich.

Sänger Ron Williams wünscht sich deutlichere Kritik von jüdischer Gemeinde am Kurs von Netanjahu

Ähnlich wie Hallervorden blickt auch Williams mit großer Skepsis auf die angespannte Situation in Gaza. "Wir beide sind sehr israelkritisch – aber nicht gegenüber dem Volk, sondern der Regierung", betont der Entertainer.

Laut Williams müssten die Hamas und Hisbollah ausgeschaltet werden, "aber man kann dafür nicht Tausenden Kindern und Frauen die Existenz rauben", sagt er weiter. "Ich verstehe nicht, warum die jüdische Gemeinde nicht lautstark etwas gegen diese Politik sagt."

Tobias Irl, der unter anderem für die Produktion des Videos zuständig war, blickt nüchtern auf die Meinungsverschiedenheiten: "Wir wollen uns in diesen Streit nicht einmischen", sagt er zur AZ. "Ich finde das Gedicht von Dieter Hallervorden gar nicht so schlimm. Doch als Deutscher Juden einen Völkermord vorzuwerfen, ist kritisch."

Trotzdem hätte ihm zufolge Knobloch "vielleicht darüber hinwegsehen können", weil diese "Streitigkeit" nichts mit dem Projekt zu tun habe.

"Habe ich nicht verstanden": Hallervorden bemängelt Knoblochs Reaktion

Hallervorden bedauert es, dass er aus dem Video herausgeschnitten wurde. "Ich habe nicht verstanden, warum Frau Knobloch meint, mich ausschließen zu können, wenn ich mich deutlich gegen rechts ausspreche", sagt der Schauspieler zur AZ. Bei diesem Thema sei es wichtig, sich "nicht aufgrund von Meinungsverschiedenheiten in anderen Gebieten" gegenseitig mundtot zu machen.

Mit Blick auf den Krieg in Gaza haben sich Hallervordens Ansichten nicht geändert: "Es wird Hunger als Kriegswaffe eingesetzt, Kinder sterben an Unterernährung. Es liegt tatsächlich der Verdacht nahe, dass es wirklich ein Völkermord ist", so seine Einschätzung. "Mit diesem Gedanken war ich fast schon ein bisschen voraus, denn der Chefermittler des Internationalen Strafgerichtshof hat ja nun einen Strafbefehl gegen Netanjahu beantragt. Dann liege ich offenbar nicht so falsch."

Der 88-Jährige ist starker Kritiker des israelischen Ministerpräsidenten: "Wenn man noch einen Funken Menschlichkeit im Herzen hat, dann kann man die Politik von Netanjahu nicht gutheißen." Stattdessen stehe Deutschland in der Pflicht, eine befreundete Nation wie Israel auf Fehler hinzuweisen – trotz der moralischen Schuld, die aus den Verbrechen des Nazi-Regimes resultiert. "Ein kollektiver Schulterschluss mit Israel hat doch auch Grenzen."

Judenfeindliche Äußerungen? "Wenn ich Antisemit bin, dann ist Netanjahu der Papst"

Die Antisemitismus-Vorwürfe bezeichnet Hallervorden als "unverschämt" – auch aufgrund seiner eigenen familiären Vergangenheit. Sein Großvater rettete 1938 die von Nazis in Brand gesetzte Synagoge in Wörlitz.

"Außerdem bin ich so erzogen worden, dass ich mich anderen Religionen gegenüber neutral verhalte und keine Fronten aufbaue", sagt der Schauspieler. "Wenn ich Antisemit bin, dann ist Netanjahu der Papst."

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Aufgrund der Streitigkeiten mussten Irl und Williams schließlich eine Entscheidung treffen. Hallervordens Rolle wurde komplett gestrichen. Anstelle von Knobloch sprang spontan der Münchner SPD-Stadtrat und frühere Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde Marian Offman ein.

Letztlich konnte der Protestsong, der laut Williams an den "dreckigen Sound der 1970er-Jahre" erinnert, dann veröffentlicht werden. Aufgenommen wurde das Stück unentgeltlich von Foroud Saraji. Uli Eisner mischte das Werk.

Schauspieler zeigt sich gesprächsbereit: "Bin nicht nachtragend"

Wie es jetzt nach dem Projekt mit dem Streit weitergeht? "Ich bin jemand, der nicht nachtragend ist. Wenn Frau Knobloch das ähnlich sehen würde, könnte man sich zusammensetzen und eruieren, ob es eine Linie gibt, auf der man wieder zusammenkommen kann – das würde sich unter erwachsenen Leuten, die ab und zu mal ihr Gehirn einschalten, eigentlich gehören."

Unklar ist, ob sich die Holocaust-Überlebende gesprächsbereit zeigt. Bislang wies Knobloch auf Anfrage der AZ nur darauf hin, "dass sie sich gerne in Medienprojekten einbringt, sofern alle Beteiligten gewisse Grundsätze einhalten".

Vergangene Woche reagierte sie zudem in einer Erklärung auf die beantragten Haftbefehle gegen Benjamin Netanjahu sowie drei Hamasführer und bezeichnete die Gleichsetzung von Terroristen und dem israelischen Staatschef als "Schlag ins Gesicht der jüdischen und der demokratischen Welt".

Ex-Vizepräsident Marian Offman kann Knoblochs Reaktion nachvollziehen – Kritik an jüdischer Gemeinde

Der für Knobloch eingesprungene Marian Offman kann die Reaktion der 91-Jährigen nachvollziehen. "Wenn er die Vorgehensweise Israels – die ich persönlich auch nicht in allen Bereichen gutheiße – als Völkermord bezeichnet, dann ist das in meinen Augen eine Aussage, die antisemitisch interpretiert werden kann", sagt er zur AZ. Man müsse bei aller Kritik besonders auf die Rhetorik achten. "Ich würde mal gerne mit Hallervorden darüber reden, ob er wirklich weiß, was Völkermord oder Apartheid ist."

Insgesamt erhofft sich Offman einen kritischen und differenzierteren Blick auf die Lage in Gaza – auch von der jüdischen Gemeinde in München. "Ich habe Frau Knobloch gesagt, dass die deutsche Regierung sehr stark auf die jüdischen Gemeinden hört", sagt Offman. "Vielleicht hätte es geholfen, wenn sich Deutschland kritischer gegenüber der Justizreform von Netanjahu geäußert hätte."

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31 Kommentare
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  • Der Pipopax am 30.05.2024 10:54 Uhr / Bewertung:

    Das extrem ausgeprägte Interesse der Deutschen Bevölkerung an der Lage in Israel/Palästina sagt mehr zu ihrer allgemeinen Ablehnung alles israelisch/jüdischen aus, als zu einer (gar nicht vorhandenen) Affinität zu den Palästinensern. Wäre Israel nicht Israel sondern ein gewöhnlicher arabischer halffailed state wie sonst üblich in der Gegend, und sonst alles gleich, würde in Deutschland kein Hahn nach den Palästinensern krähen.

  • Geo+++60 am 29.05.2024 17:18 Uhr / Bewertung:

    Die überwiegende Mehrheit in Deutschland sind gegen rechte Regierungen. Wieso dann nicht gegen die rechtsnationale israelische Regierung??
    Bedeutet nicht, antisemitisch zu sein. Schließlich hat die Hamas mit dem Terror am 7. Oktober begonnen. Da beide - Hamas und Netanjahus - gegen eine Zweistaatenlösung sind, wird das Leiden der Palästinenser vor allem im Gazastreifen und teils auch im Westjordanland (bedingt durch den sich ausweitenden Siedlungsbau der Israelis) leider weitergehen.

  • Der Pipopax am 30.05.2024 10:47 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Geo+++60

    Die Deutsche Bevölkerung hat nicht "für" oder " gegen" demokratisch gewählte Regierungen anderer Länder zu sein.

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