Witwe klagt an: "Sie haben mein Leben ruiniert"
Im Prozess gegen den Dachauer Todesschützen erhebt die Mutter des erschossenen Staatsanwalts Vorwürfe gegen die Justiz – und die Witwe geht den Angeklagten an: „Sie haben mein Leben ruiniert!”
MÜNCHEN Ihre Stimme zittert. Die 31-jährige Witwe des im Dachauer Gerichtssaal erschossenen Staatsanwalts Tilman T. († 31) erhebt am Donnerstag schwere Vorwürfe und wendet sich dabei direkt an den Angeklagten Rudolf U. (55): „Sie haben ihn mir einfach weggenommen! Es gibt keine Rechtfertigung, und es tut Ihnen nicht einmal leid. Sie haben mein Leben ruiniert.” Später entschuldigt sich Rudolf U. bei der Familie: „Es tut mir leid als Mensch. Ich kann nicht mehr sagen.”
Der Transport-Unternehmer ist des Mordes sowie des dreifachen Mordversuchs angeklagt. Der beinamputierte Mann, der den Prozess vom Krankenbett aus verfolgt, hatte sich wegen nicht bezahlter Sozialversicherungsbeiträge in Dachau verantworten müssen. Bei der Urteilsverkündung zog er eine Pistole und traf den Staatsanwalt tödlich.
DER SCHMERZ DER WITWE
Die Familie nutzt am Donnerstag die Gelegenheit, um noch einmal an das mitfühlende und engagierte Wesen des Opfers zu erinnern. „Tilman war so voller Leben”, sagt seine Witwe. Und erzählt eine Anekdote: Eine Woche vor der Tat habe er den Christbaum abgeschmückt. Eine Stunde habe er gebraucht, um die verhedderte Lichterkette zu entwirren. Dann sei er freudestrahlend zu ihr in die Küche gekommen. „Gute Nachricht, Schatzi. Ich weiß jetzt, wie wir Weihnachten die Lichterkette aufhängen können, ohne dass sie sich verheddert”, habe er gesagt. „Wer hätte gedacht, dass es kein Weihnachten mehr mit ihm geben wird.”
Ihr Mann habe Richter werden wollen. „Es kam ihm darauf an, etwas Gutes, Sinnvolles mit seinem Leben anzufangen.” Die Tat sei besonders schwer zu verarbeiten, weil sie so sinnlos sei. „Er war ein Mann, der diesen Hass nie verdient hatte.”
DIE ANKLAGE DER MUTTER
Auch die Justiz habe versagt, findet die Mutter des Opfers. Tilmans Dienstherr habe es versäumt, seine Leute so zu schützen, wie es anderswo der Fall ist. Es habe weder Metalldetektoren noch eine Warnung vor dem Angeklagten gegeben. „Die schwarze Robe wurde sein Todeskleid”, sagt sie bitter. „Das ist eine Schande für Bayern.”
Mit Tilmans Namen verbinde sich heute „Todesgrauen und panisches Entsetzen”. Ihr Mitgefühl gelte auch der Adoptivmutter des Angeklagten: „Denn wir haben beide unsere Söhne verloren.”
DIE FORDERUNG: LEBENSLANG
Staatsanwältin Nicole Selzam fordert eine lebenslange Gefängnisstrafe und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Damit wäre eine vorzeitige Entlassung aus der Haft nach 15 Jahren nicht möglich.
Tilman T. sei „vom Angeklagten kaltblütig ermordet” worden”, sagt sie. Und: „Der Angeklagte war bei dieser Tat voll schuldfähig.” Nicole Selzam sagt in ihrem Plädoyer, der Angeklagte habe sich „in krasser Eigensucht” über das Lebensrecht Anderer hinweggesetzt. Er habe aus niederen Beweggründen und in „absolutem Vernichtungswillen” gehandelt und die Wehrlosigkeit seiner Opfer ausgenutzt.
„SCHAMLOS! UNWÜRDIG!”
Die Familienangehörigen treten in dem Prozess als Nebenkläger auf. Ihre Anwälte kritisieren die „Manöver” des Wahlverteidigers Maximilian Kaiser als „schamlos”, „geschmacklos” und „unwürdiges Schmierentheater”. Zuletzt hat dieser beantragt, den Richter Martin Rieder wegen Befangenheit abzusetzen. Was abgelehnt worden ist.
Pflichtverteidiger Wilfried Eysell plädiert dafür, seinen Mandanten wegen Mordes und versuchten Mordes in einem statt in drei Fällen zu verurteilen. Ohne besondere Schwere der Schuld. Eysell betont, der Angeklagte sei „kein herzloses Monster”.
Das Urteil wird am Donnerstag verkündet.
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