"Wie ganzes Stadtviertel, das leer ist und immer weiter kaputt geht": Bekanntes Areal in München verkommt
München - Die meisten kennen wahrscheinlich das ikonische Siemens-Hochhaus in Obersendling mit seinen 22 Stockwerken. Dessen Sanierung war immer wieder Thema in der Öffentlichkeit. Zunächst wollte der Immobilien-Entwickler und Ex-Rennfahrer Hubert Haupt das Hochhaus zum Wohnturm umbauen. Das war laut Stadt "nicht realisierbar". Nun soll ein Büroturm mit zwei Anbauten entstehen, allerdings ohne die ursprünglich denkmalgeschützte, markante Fassade.

Weitaus weniger Beachtung erhält das benachbarte ehemalige Siemens-Areal. Seit 2010 hat Siemens nämlich Stück für Stück den gesamten Standort in Obersendling aufgegeben und Teilflächen verkauft. Seit 2014 gibt es Pläne, dort ein Wohn- statt einem Büroviertel zu bauen. 2017 hat schließlich die Grünwalder Rock Capital Group das rund zehn Hektar große Areal westlich des Turms gekauft, auf dem bis zu achtstöckige Siemens-Bürogebäude, eine alte Kantine und auch ein Beachvolleyballplatz stehen.

Ehemaliges Siemens-Areal in Obersendling: Zehn Hektar Leerstand
Der Immobilienentwickler hat große Pläne mit dem riesigen Gelände – das Grundstück hat Baurecht für insgesamt 155.000 Quadratmeter Fläche. Nach aktuellstem öffentlich bekanntem Stand (2021) sollen 1.370 Wohnungen, großzügige Grünflächen, Kindertagesstätten und auch Geschäfte gebaut werden. Unter dem Namen "Hofmann Höfe". Das städtische Planungsreferat bestätigt auf Anfrage, dass der Bebauungsplan dafür am 2. Mai 2023 in Kraft getreten ist.

Passiert ist in den vergangenen Jahren und Monaten baulich aber nichts. Zwar wurden einige der Bürogebäude zwischendurch von der Stadt als Unterkunft für Geflüchtete oder als Büros genutzt, zum Beispiel für Flixbus. "Bis Ende 2022 wurde das Areal zwischengenutzt, dann sind alle Mieter ausgezogen und die Gebäude medial getrennt", sagt Stephan Rothenburg, Geschäftsführer Projektentwicklung bei Rock Capital. Es wurden also Strom-, Wasser- und Gasleitungen abgestellt.
Ehemaliges Siemens-Gelände: Verwucherte Bürogebäude, Graffiti und verbarrikadierte Zugänge
Aktuelle Fotos vom Gelände, die der AZ zugespielt wurden, zeigen eine verwucherte Gegend, die seither sich selbst überlassen wurde. Und viele Graffiti sowie zugeschüttete und verbarrikadierte Zugänge.

Denn das Areal und dessen Tiefgarage waren immer wieder beliebte Orte für illegale Partys bei der hiesigen Untergrund-Technoszene. Ein "riesiges Vandalismus-Problem" nennt das Rothenburg. Gleichzeitig der Hauptgrund, warum das Areal abgesperrt ist.

Beim Besuch vor Ort mit dem Münchner Bündnis Freiräumen zeigt sich das riesige, abgesperrte Gelände. "Für mich wirkt es von außen wie ein ganzes Stadtviertel, das leer ist und immer weiter kaputt geht", sagt Andrea Kramer.

"Es wäre großes Potenzial da": Freiräumen-Aktivisten kritisieren Leerstand
Gleichzeitig gebe es in der Stadt enormen Raummangel. Absurd findet sie das, denn: "Es wäre wahnsinnig großes Potenzial da." Auch wenn es vielleicht zu gefährlich wäre, die Gebäude einfach so freizugeben, so hätte man doch wenigstens die Fläche davor freigeben können, "zum Beispiel als Spielplatz", findet sie.

So schnell wird sich vor Ort auch nicht viel ändern: Man arbeite darauf hin, das erste Baufeld mit rund 500 Wohnungen zu realisieren, erklärt Rock-Capital-Chef Christian Lealahabumrung der AZ. "Die Planung dauert sechs bis neun Monate", dann rechne man mit weiteren neun Monaten bis die Baugenehmigung der Stadt komme. Bis Bagger anrollen, wird es nach den aktuellen Plänen mindestens Sommer 2025 sein. Dafür macht Rock Capital vor allem die Stadt verantwortlich.
Ehemaliges Siemens-Areal: Bagger fahren frühestens 2025 auf
Der mit der Stadt abgestimmte Zeitplan habe zunächst einen "früheren Zeitpunkt" vorgesehen, so Lealahabumrung. "Dann hat es bis zur Rechtskraft aber doch knapp zwei Jahre länger gedauert, als gedacht."

Inzwischen vergeht viel Zeit, in der die vielen Gebäude einfach leer stehen: "Für manche Firmen ist so ein Leerstand einfach ein Wert in einer Excel-Tabelle", sagt Joshua Neumann vom Bündnis Freiräumen. Das bedrücke ihn, denn es "fehlt die Perspektive, was ein Areal sein soll, dass es eine Nachbarschaft gibt mit Bedürfnissen und Ideen".
Mehrere Anfragen blieben laut Freiräumen von Rock Capital unbeantwortet. Die wiederum sagen, sie seien durchaus "offen für Ideen". Im konkreten Fall in Obersendling ist es allerdings komplizierter: "Auf der einen Seite befürworte ich Zwischennutzungen, auf der anderen Seite habe ich Bauchschmerzen, weil das Areal so groß ist. Nur Teilbereiche zu öffnen, ist darum schwierig", sagt Rothenburg.

Ein Problem, dem das Bündnis Freiräumen immer wieder begegnet. "Über den Tellerrand zu schauen ist schwieriger in solchen Firmen", sagt Leonie Krüger vom Bündnis. Es sei häufig so, dass niemand Verantwortung übernehmen "und einen Schritt aus dem bekannten Rahmen heraus machen möchte".
Gerade für private Immobilienbesitzer wäre es allerdings noch leichter, solche Nutzungen zu ermöglichen: Es gibt keine Kommunalpolitik, die mitredet und etwas dagegen haben könnte. So bleibt auch hier in Obersendling noch über Jahre vor allem viel ungenutztes Potenzial – während anderswo händeringend nach Räumen gesucht wird.
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