Wenn's in der U-Bahn funkt: Neues Flirt-Portal des MVV

Nächster Halt: Obandln. Der MVV hat eine Seite für Fahrgäste, die ins Flirten kommen und sich verlieren. Über ehrliche, romantische und oft liebenswürdig-lustige Suchanzeigen.
von  Christian Pfaffinger
Ein Lächeln und ein neckischer Blick: Maria und Francesco am Sendlinger Tor. Ob sie einander wiedersehen? Der MVV mag ihnen dabei helfen.
Ein Lächeln und ein neckischer Blick: Maria und Francesco am Sendlinger Tor. Ob sie einander wiedersehen? Der MVV mag ihnen dabei helfen. © Daniel von Loeper/AZ-Screenshot/MVV

München - Tatort: Ostbahnhof. Der Tatzeitpunkt: gegen 19.10 Uhr. Verdächtigte Person: männlich, schwarze Haare, Bart. Kleidung: Jeans und schwarze Jacke, mit schwarzem Rollkoffer unterwegs. Zeugin: weiblich, halblange blonde Haare. Kleidung: heller Trenchcoat und Jeans, Umhängetasche und unterwegs mit einer Tüte Feigen, von denen sie eine aß.“

So rekonstruiert sie später die Szene. Immer noch ist die Frau aufgewühlt, als sie diese Zeilen niederschreibt. Dann kommt sie zur Tatwaffe: „Diese unglaublichen Augen! Und das umwerfende Lächeln dazu!“

Ein gewöhnliches Verbrechen ist das nicht. Und die Frau sucht auch keinen richtigen Verbrecher, sondern eher, nun ja, einen Gangster of Love. Sie hat sich da verschaut, am Bahnsteig, auf dem Sprung in die S-Bahn. „Ihre Blicke konnten gar nicht mehr von ihm lassen“, schildert sie den Tathergang. „Er hat ihr ebenso viele Blicke geschenkt. Schon zu bald ist er in die S-Bahn nach Grafing (glaubt sie) eingestiegen. Sie hat ihm noch gewunken; er hat beim Abfahren der S-Bahn zurückgewunken.“ Und weg ist er.

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Manchmal hat das Leben ja Laune, die Menschen zweimal zusammenzuführen. Und falls nicht? Dann hilft der MVV. Der Münchner Verkehr- und Tarifverbund hat offensichtlich erkannt, dass es in seinen Gefährten oftmals erhöht amourös zugeht. Auf der Webseite des Verbunds findet sich nämlich unter der Sparte „Unterwegs im MVV“ die Seite „Flirtwillige“. Dort kann man einen Aufruf veröffentlichen, wenn man jemanden im Öffentlichen Personennahverkehr gar bezaubernd fand, aber irgendwie versäumt hat, was draus zu machen.

 

„Du warst ein Stück größer als ich, hat mich aber nicht gestört“

 

Auf der Seite heißt es: „Ein kurzer Flirt, eine flüchtige Berührung in Bus, Bahn oder Tram – und schon geht Ihnen die Person von heute Morgen nicht mehr aus dem Kopf?“ Mit ein bisschen Glück könne man hier die verlorene Liebe wiederfinden. Das Prinzip ist ähnlich dem der „Spotted“-Seiten (engl. für „entdeckt“), die vor einiger Zeit sehr beliebt waren. Die AZ berichtete etwa über ein Flirt-Feuerwerk, das so eine Seite für ein paar Wochen unter Studierenden in der Staatsbibliothek ausgelöst hat. Aber nicht nur zwischen Anatomie-Lehrbuch und philosophischer Schriftensammlung knistert’s, sondern eben auch zwischen Fröttmaning und Laim. Nächster Halt: Obandln.

Lächeln, Blicke, ein paar nette Worte, umsteigen, Anschluss verpasst – die Hoffnung auf ein Wiedersehen bringt die Münchnerinnen und Münchner dazu, ihre angebrochenen Romanzen für die Flirtseite des MVV aufzuschreiben. Oft romantisch und kreativ, wie die Zeugin vom Ostbahnhof.

Neben den Romantikern gibt es dann noch jene, die eher nüchtern an die Sache rangehen, wie etwa dieser Fahrgast aus der U3 Richtung Obersendling: „Du warst ein Stück größer als ich, hat mich aber nicht gestört.“ Das wär also schon mal kein Problem. Und die Basis ist offenbar da: „Wir haben uns gegenseitig deutliches Interesse bekundet (mehrfachen langen Blickkontakt).“ Da scheint man sich also einig zu sein, von daher: „Wenn Du das hier liest und immer noch Interesse hast, wäre ich froh um eine Nachricht.“

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Meistens sind die Aufrufe schlicht: bestechend ehrlich. Wie etwa der Mann, der eines Vormittags mit der U2 von der Fraunhoferstraße nach Giesing fährt und da einer Frau gegenübersitzt. Seine Komplimente sind vielleicht auf den ersten Blick eher semischmeichelhaft, aber eigentlich meint er es wohl schon nett: „Du, mit zwei Kids, hast mir fast schon psycho tief in die Augen gestarrt – und sahst so aus, als könntest Du mal wieder eine Pause von allem gebrauchen.“ Er habe dann einen Zettel mit seinen Kontaktdaten geschrieben, ihn aber wegen der Kids nicht übergeben wollen. Ob’s so tragisch ist? Vielleicht war sie ja gar nicht auf der Suche nach einer Umsteigemöglichkeit? Manchmal soll das Leben ja auch Missverständnisse bereithalten, sogar in „psycho-tiefen“ Blicken.

 

„Habe desinteressiert getan, weiß aber nicht, wieso. Bereue es jetzt“

 

Bloß: Es könnte halt auch eine jener Geschichten sein, die man so schön mit einem Hauch romantischen Glaubens an eine Fügung erzählen könnte. Etwa die Geschichte von der Semmelromanze. Höflich und distinguiert schreibt ein Mann über eine knusprige Fahrt im 185er Bus vom Arabellapark bis zur Hultschinerstraße: „Sie aßen bereits im Bus genüsslich Ihr Gebäck aus der Hofpfisterei.“ Nach kurzer Schwärmerei über die Qualitäten dieser Backwaren besagten Bäckers habe einander die Idee gefallen, sich am nächsten Dienstag um dieselbe Uhrzeit wieder im Bus zur gemeinsamen Brotzeit zu treffen. Aber auweh: „Leider blieben Sie dem Event fern.“ Jetzt würde der Mann, ein blonder Musiker, es gerne nachholen.

Darum geht es ja schließlich bei diesen Texten: Den Wunsch, etwas nachzuholen, was man aufs erste Mal versäumt hat. Da darf man dann auch nicht nachtragend sein und anfängliches Desinteresse gleich sanktionieren. Das weiß der Herr, der einer Frau, die mit schwarzem Koffer in der S2 Richtung Petershausen fuhr, schreibt: „Beim Hinsetzen haben wir uns beide kurz in die Augen geschaut, dann warst du leider längere Zeit mit deinem Handy beschäftigt.“ Aber mei, Tippserei hin oder her: „Ich werde nicht vergessen, als du dann doch noch zu mir rübergeschaut und mir zugelächelt hast.“

Sogar zweifach vertane Chancen tun sich auf, Déjà-vus perdus quasi. Er sucht eine junge Frau, auf etwa 25 schätzt er sie, dunkelhaarig, Kurzmantel, aus der U2 zum Scheidplatz: „Wir haben uns schon einmal in der S4 gesehen, leider fiel mir das erst später ein.“ Verspätungen im Nahverkehr sind ja immer ärgerlich, aber diese persönliche Erinnerungsverspätung stinkt ihm wohl besonders.

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Manch einer übt da auch schon mal ganz offen ein wenig Selbstkritik. So schreibt eine Frau über eine Bekanntschaft in der U2 am Frankfurter Ring: „Ich stand am Freitagabend gegenüber von dir in der U-Bahn. Dein süßes Lächeln ist mir sofort aufgefallen. Habe desinteressiert getan, weiß aber nicht mehr wieso. Bereue es jetzt.“

Aber auch die Herren üben sich in tadelnder Selbstreflexion: „Bin der 30-jährige Vollidiot mit braunen mittelkurzen Haaren in der grünen Jacke und schwarzen Hose, welcher routiniert an der Untersbergstraße raus musste“, schreibt ein Mann, der eine „aufmerksame strumpflose blonde Dirndlträgerin“ aus der U2 sucht.

Einem anderen steht die Gram ebenso zwischen die Zeilen geschrieben: „In der U-Bahn fragtest du mich nach dem Weg, leider habe ich dich nicht auf Anhieb verstanden.“ Außer einem Lächeln und der Sehnsucht nach einer Unbekannten blieb ihm halt dann auch nichts.

 

„Ich würde mich gerne mal wieder von dir fahren lassen“

 

Freilich bezaubern nicht nur die Fahrgäste, sondern auch das Personal: „Es war leider nur ein sehr, sehr kurzer Augenblick, den ich auf dich erhaschen durfte, als du mit deiner U3 in den Bahnhof eingefahren bist“, schreibt ein Mann nach einer nachmittäglichen Fahrt. „Die netten Durchsagen, weil wir vor der Haltestelle warten mussten, waren wie Musik in meinen Ohren.“ Sie habe eine sehr schöne Stimme, schreibt er weiter, und dass er nun ein U3-Fan sei: „Würde mich Freude, mich mal wieder von Dir fahren zu lassen.“

Funkenflug im U-Bahntunnel, Bauchkribbeln im Bus – so viel Amore steckt also hinter der täglichen Fahrerei im Münchner Verliebten-Verbund. Mal romantisch, mal schüchtern, mal kreativ.

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Gradaus charmant, also auf lustige und zugleich rührende Weise direkt, ist schließlich der Aufruf einer Sie, die schreibt: „Alex aus Wien, ich wart noch immer von dir zu hören. Du hast mich Freitagabend auf der Rolltreppe zur S-Bahn am Hauptbahnhof angesprochen. Ich war unterwegs zu einem Konzert im Milla und etwas sprachlos. Kann jetzt wieder sprechen! Bitte melde dich!“


Einige Beispiele der MVV-Flirtbörse

 

 

Der Schreiber dieser Zeilen hat offenbar ein Herz für Frauen südländischen Typs. Foto: AZ-Screenshot/MVV

 

Selbst Verspätungen können Menschen verbinden, wie dieser Eintrag beweist. Foto: AZ-Screenshot/MVV

 

Nicht nur Fahrgäste werden auf dem neuen Portal gesucht.                                Foto: AZ-Screenshot/MVV

 

"Psycho tief in die Augen gestarrt" - und das im positiven Sinn.                           Foto: AZ-Screenshot/MVV

 

AugenBlick(e): Fast schon poetisch.                                                                    Foto: AZ-Screenshot/MVV

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