Was ist typisch München?

Die Stadt wächst rasant. Ästheten treibt deshalb die Angst um ihre Attraktivität um – verliert München durch Abrisse und Neubauten sein Gesicht?
Joachim Goetz |
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Gleich nach dem Krieg hat Sep Rufs Neubau auf dem Platz der zerstörten Maxburg Maßstäbe gesetzt. Geblieben ist nur er mittelalterliche Turm.
Joachim Goetz 3 Gleich nach dem Krieg hat Sep Rufs Neubau auf dem Platz der zerstörten Maxburg Maßstäbe gesetzt. Geblieben ist nur er mittelalterliche Turm.
Identitätsstiftend ist das BMW-Hochhaus samt Museums-Salatschüssel am Mittleren Ring geworden.
Joachim Goetz 3 Identitätsstiftend ist das BMW-Hochhaus samt Museums-Salatschüssel am Mittleren Ring geworden.
München, die nördlichste Stadt Italiens? Die Lenbachgärten vermitteln das zumindest mit einem Hauch Toskana-Style und teuren Materialien.
Joachim Goetz 3 München, die nördlichste Stadt Italiens? Die Lenbachgärten vermitteln das zumindest mit einem Hauch Toskana-Style und teuren Materialien.

München - Die zahlreichen Wohnquartiere, die derzeit entstehen, widersetzen sich jedenfalls selten diesem Eindruck. Dort findet man kaum gebaute Substanz, die einem den Ausruf: „Aha, wir sind in München!“ entlockt. Austauschbar nennt man solche Siedlungen, die wir ja schon aus früheren Wachstumszeiten kennen und die als gesichts- und seelenlose Satellitenstädte der 60er und 70er Jahre in die Architekturgeschichte eingegangen sind: Neuperlach in München, Marzahn in Berlin, Chorweiler in Köln.

Gut, dass bei den meisten Architekten und Planern die Erkenntnis vorhanden ist, dass viele Neubauten, zumal wenn sie wie bei der Münchner „Nachverdichtung“ auf die ganze Stadt verteilt werden, ein Stadtbild ziemlich zerstören können. So machen sich viele Baukünstler Gedanken um das Erscheinungsbild der Stadt und wollen „identitätsstiftend“ bauen. Beim genauen Hinschauen lässt sich das mitunter erkennen – besonders im Zentrum, aber nicht nur. Hier wird häufig versucht, besonders viel Stadtbild prägende originale Bausubstanz zu erhalten.

Beim Alten Hof, der alten Wittelsbacherresidenz, haben die Architekten (Peter Kulka, Auer + Weber) das ursprüngliche Volumen exakt nachgezeichnet. Mit Materialien und teils befremdlich glatt wirkenden konstruktiven Details machten sie jedoch ihre Handschrift klar und zeigen, aus welcher Zeit das am Marienhof noch von Planen verhüllte ursprünglich uralte Bauensemble nun neuerdings stammt.

In der Sendlinger Straße wurde beim Bau der „Hofstatt“ (Meili & Peter) die markante Fassade des Süddeutschen Verlags erhalten, obwohl das ganze ehemalige Verlagsgelände mit einer noblen Einkaufspassage sowie noch nobleren Wohnungen neu bebaut wurde. Auch bei der Traditionsgaststätte Donisl (Hild und K) am Marienplatz, die im Dezember nach Restaurierung wieder eröffnet wird, diffundiert die Stadt in Zukunft ins Gebäude hinein. Die Rundbogenfenster der erhaltenen historischen Fassade werden zu offenen Arkaden, durch die man in den glasüberdeckten Innenhof gelangt.

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Auch Leo von Klenzes ehemalige Residenzpost behielt trotz neuer Bestimmung mit Geschäften und Wohnen ihre historische Fassade (Umbau: Hilmer & Sattler) am Max-Joseph-Platz. Der öffentlich zugängliche Innenhof erinnert an früher, als man noch in die riesige Schalterhalle der Post marschieren konnte. Keine Frage: Hinter all dem steckt die tiefe Überzeugung, dass in einer Zeit des schnellen Umbruchs möglichst viel historisch bedeutendes Kulturgut – gerade in unseren vom Zweiten Weltkrieg zerstörten Städten – erhalten werden sollte.

Freilich: je wichtiger Gebäude sind, desto mehr tragen sie zur Identität der Stadt bei. Wichtig werden Gebäude, wenn sie viel angeschaut, viel gesehen, viel zur Kenntnis genommen, viel fotografiert und publiziert werden, von Einheimischen wie von Touristen. Beste Beispiele: die Residenz, die Klenze- und Gärtner-Bauten der Ludwigstraße, das Ensemble Königsplatz, oder verschiedene, auch neue Museen.

Wolkenkratzer gehören zur Identität einer Großstadt

Für die urbane Identität wichtig sind aber auch hohe Häuser, Wolkenkratzer. Sie werden schon von weither wahrgenommen. Sie beeinträchtigen, wenn’s dumm geht, auch eine uralte, historisch beeindruckende Silhouette. So trüben am Odeonsplatz etwa die – obwohl kilometerweit entfernt – optisch über dem Siegestor thronenden Munich Highlight Towers (des in Nürnberg geborenen Chicagoer Architekten Helmut Jahn) die erhabene klassizistische Szene gewaltig.

Ähnliches lässt sich inzwischen in vielen Straßen in München erleben, da die meist aus Stahl und Glas konstruierten Riesen über die ganze Stadt verteilt sind. So gesehen ist die Hochhausplanung der Stadt doch ein wenig fragwürdig. Denn mit der Qualität der geziegelten Zwiebeltürme der Frauenkirche, die sich immer noch an vielen Einfallstraßen ins Blickfeld schieben, können die wenigsten Hochhäuser mithalten. Und eine faszinierende Skyline wie sie etwa Frankfurt am Main charakterisiert wird an der Isar nun noch eine Weile auf sich warten lassen.

Ebenfalls stadtbildprägend sind architektonische Eyecatcher – ob gelungen oder nicht. Der Kaufhof am Marienplatz (Josef Wiedemann), der Neubau an der Kunstakademie (Coop Himmelblau), das Museum Brandhorst und das farbige ADAC-Hochhaus (beide: Sauerbruch Hutton) zählen dazu. Einer der überzeugendsten Hingucker, der inzwischen zu München gehört wie der einst ebenso „fremde“ Eiffelturm zu Paris, ist das BMW-Hochhaus (Karl Schwanzer).

Dem Vierzylinder nachempfunden und von oben mit dem Firmenlogo versehen ist es außerdem ein selten gelungenes Beispiel für „corporate architecture“ und ein Symbol für das in den 60er Jahren gültige Stadt-Motto: „München wird moderner“. Olympiastadion, -halle und -schwimmhalle sowie olympisches Radstadion (wird gerade abgebrochen) oder extravagantes orangegelbes Schwabylon (konnte sich nur wenige Jahre halten) sind weitere extrovertierte Zeugen dieser Zeit des Aufbruchs.

Zu viel architektonisches Spektakel ist jedoch der Feind des Münchnerischen. Über die Jahrhunderte gesehen hat die Stadt keine Tradition des Außergewöhnlichen und Spektakulären. Gebäude des Exotismus, wie sie etwa Stuttgart mit der orientalisch inspirierten Wilhelma oder Dresden mit der Yenidzde Tabakfabrik in Form einer Moschee besitzen, fehlen in München. Bei der Planung von Ludwigstraße und Königsplatz lehnte man sich an griechische und römische Vorbilder an: Klassizismus eben, der im damals noch mittelalterlich geprägten Stadtbild vor allem monumental daherkam.

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In den 20er-Jahren entstanden auch keine Quartiere im modernen Bauhausstil wie etwa in Frankfurt mit den Siedlungen von Ernst May oder in Dessau und Berlin. Weiß und schmucklos präsentierten sich hier einzig Robert Vorhoelzers epochale Postbauten an der Tegernseer Landstraße, am Goetheplatz oder am Harras. Sogar Theodor Fischer griff beim Ledigenheim im Westend auf das Material des Ziegels und traditionelle Strukturen zurück. Die Wohnbauten von Hans Döllgast blieben meist wie auch die dekorierten Schulbauten Fischers der Tradition verpflichtet. Auch an solche Bauten knüpfen heute einige Fassaden an, die mit Betonfertigteilen verkleidet sind. An der Bayerstraße hat die Aloft-Hotelkette ihr Gebäude (Hild und K) mit Betonfertigteilen überzogen, die eine feine Profilierung besitzen und an den Stuck-Dekor der letzten Jahrhundertwende erinnern. An der Theresienhöhe wurden auffällige Bruchsteine ins Gemäuer integriert. Besonders raffiniert: Die Isarkiesel-Fassade am Wohnhaus an der Urban-, Ecke Bruderhofstraße (Robert Meyen, Victoria von Gaudecker; Kunst: Sabrina Hohmann).

Ob man dies alles passend und gut findet, bleibt einem selbst überlassen. Hoffen darf man, dass Münchens bauliche Identität so schnell nicht zerstört wird. Und sicher ist: München wird sich ändern. Aber das passierte auch schon 1830 oder 1970. Joachim Goetz

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