Was für den Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner in München gar nicht geht: "Dann ist die City total unattraktiv"

München - Clemens Baumgärtner (CSU) ist seit 2019 ist als Referent bei der Stadt dafür verantwortlich, die Münchner Wirtschaft zu fördern. Die AZ hat mit ihm darüber gesprochen, wie die Stadt eine Verödung der Innenstadt verhindern kann – angesichts der vielen Baustellen und Pleiten. Vom Techno-Club bis zur Tiefgarage hat er einige Ideen.
AZ: Herr Baumgärtner, was haben Sie zuletzt in einem Galeria Kaufhof eingekauft?
CLEMENS BAUMGÄRTNER: Ein Parfüm und Tintenpatronen für meinen Füller.
Sie sind da also regelmäßig?
Im Galeria Kaufhof hat schon meine Großmutter eingekauft, wenn sie eine Unterhose oder ein Gwand gebraucht hat. Der Galeria Kaufhof am Marienplatz ist super sortiert und liegt zentral. Genauso war früher der Karstadt an der Silberhornstraße. Da habe ich als Schüler im Keller an der Kasse gearbeitet. Im Kaufhof am Stachus habe ich auch mal in der Abteilung für Glas und Porzellan gearbeitet. Ich hatte die einfachste Aufgabe, das Einpacken. Aber da lernt man, wie Verkaufen geht.

Hat Sie die Pleite überrascht?
Mich überrascht gar nichts mehr. Als Anwalt habe ich mich mit Insolvenzen von der strafrechtlichen Seite her beschäftigt. Also Verschleppungen und Anfechtungen. Für mich ist eine Insolvenz nichts Negatives, sondern ein Neuanfang.
Das ist ja jetzt schon die dritte Insolvenz, der dritte Neuanfang.
Ein Neuanfang ist immer etwas holprig und der Innenstadt-Handel ist unter Druck, viele Läden haben zugemacht.
Clemens Baumgärtner zur Innenstadt in München: "Warenhäuser können noch funktionieren"
Aber kann so ein Warenhaus wie Galeria in Zeiten, wo man online immer eine größere Auswahl hat, noch funktionieren?
Ja. Ganz klar. Schauen Sie nach London. Wenn das so wäre, dass der Online-Handel Warenhäuser kannibalisiert, dann gäbe es Selfridges und Harrods auch nicht mehr.
Harrods ist schick und mondän. Ein Kaufhof oft eher staubig und altbacken.
Aber kaufen Sie bei Harrods ein, weil er so schick ist – oder weil er ein breites Sortiment hat?
Wir würden behaupten: Die Leute gehen zu Harrods, weil es eine Touristenattraktion ist.
Von den Touristen-Waren lebt Harrods nicht. Trotzdem existiert er.
Also muss sich bei Galeria nichts ändern?
Na klar muss sich etwas verändern. Das Problem war da ja, was man so gehört hat, dass die Zentrale oft stark das Sortiment vorgegeben hat und die Geschäftsführung lokal wenig bestimmen konnte. Das scheint einer der Schlüsselpunkte zu sein. Denn die Standorte - jedenfalls der am Marienplatz - sind attraktiv.

In der Innenstadt reiht sich eine Baustelle an die nächste. Wie groß ist Ihre Sorge, dass keiner mehr zum Einkaufen kommt, wenn es dort eben nicht mehr so attraktiv aussieht?
Baustellen sind per se etwas Gutes. Weil das immer heißt: Jemand investiert was und es wird etwas neu gemacht. Eine Baustelle wird dann negativ, wenn sie stillsteht.
Ist ja grad so.
Bei der Alten Akademie ist die Gesellschaft in die Insolvenz gegangen. Jetzt muss sich der Insolvenzverwalter einen Überblick verschaffen und dann müssen sich die Gläubiger einigen, wie es weitergeht. Baut man weiter? Verkauft man? Macht der Freistaat den Heimfall geltend?
Jetzt braucht es erst mal einen neuen Investor. Denken Sie, dass das ein Münchner Family-Office im Kreuz hätte?
Ich habe weder mit Schörghubers oder Inselkammers drüber gesprochen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn es jemand wird, der München kennt und mag. Denn es macht einen Unterschied, ob das irgendein luxemburgischer Immobilienmanager ist, der auch in Zürich und New York Objekte verwaltet oder jemand, der eine persönliche Verbindung hat. Beeinflussen kann ich das nicht. Aber man muss die Kirche im Dorf lassen. Es ist nicht so, dass die ganze Innenstadt nur aus stillgelegten Baustellen besteht und wir eine Situation wie in Gelsenkirchen haben. Alles ist verrammelt und kein Mieter möchte mehr rein.
Ist der Verkehr für München schlimmer als René Benko?
Wie groß ist Ihre Sorge, dass die verbliebenen Händler rund um die Baustellen pleite gehen?
Meine Sorge, dass die Händler pleite gehen, ist keine, die sich auf den Benko-Baustellen gründet. Meine Sorge ist, dass die Passantenfrequenz zurückgeht. Denn die sorgt für den Umsatz. Und die Passantenfrequenz wird durch die Erreichbarkeit bestimmt. Wenn die Innenstadt von Verkehrsbaustellen umrandet ist, die es schwierig machen, in die Innenstadt zu kommen, dann wird es schwierig.
Was kann die Stadt tun, um die Situation zu verbessern?
Auf jeden Fall sollte die Stadt die Erreichbarkeit vereinfachen und nicht erschweren. Die Stadt muss sich fragen: Nehme ich dem Individualverkehr noch das Letzte zum Atmen? Es gibt halt Menschen, die mit dem Auto in die Stadt fahren.
Clemens Baumgärtner Parkgaragen schaffen und Stellplätze erhöhen
Eine autofreie Altstadt ist also keine clevere Idee?
Ich finde das gar keine clevere Idee. Man könnte sie clever machen, wenn man an mehreren Stellen Parkgaragen schafft und die Stellplätze erhöht. So wie die Hofbräu-Garage. Das war eine private Investition, die Stadt hat dafür nichts bezahlt.
Wo könnten neue Tiefgaragen entstehen?
Auf der Fläche zwischen Isartor und Viktualienmarkt gibt es eine große Grünfläche, die baulich gut erschlossen werden könnte. Da werden jetzt gleich wieder alle aufschreien. Aber wenn sich kein Investor findet, der das machen will, können wir's eh vergessen. Denn wir als Stadt werden das sicherlich nicht machen.
Könnte man die Attraktivität der Innenstadt nicht einfacher erhöhen, wenn man die Öffnungszeiten verlängert? Als Berufstätiger kommt man ja kaum zum Einkaufen.
Bis dato wurde immer über Sonntagsöffnung diskutiert. Da muss man zur Kenntnis nehmen, dass Gewerkschaften, Kirchen und eine breite Mehrheit in der Politik keine Sonntagsöffnung wollen. Der Handel wünscht sich mehrere verkaufsoffene Sonntage und das sollte man wirklich überdenken. Attraktiv fände ich, wenn freitags die Geschäfte mal bis 22 Uhr öffnen. Wenn der Handel das wünscht, dann können wir das gerne ein halbes Jahr ausprobieren.
In den Kaufhof am Stachus sollte eine Zwischennutzung mit Kunst, Sport und Gastro rein. Das scheiterte. Was lief schief?
Da fragen Sie am besten die Beteiligten, ich misch mich da nicht ein. Fakt ist, es ist schief gelaufen. Wir wollen als Stadt keine leerstehende Ruine. Das ist übrigens auch der Wille des Eigentümers, der Familie Zechbauer. Und jetzt wollen wir gemeinsam herausfinden, was der Eigentümer machen will und was genehmigungsfähig ist.
Für das Projekt flossen 300.000 Euro Steuergeld. Ist das jetzt alles futsch?
Wir prüfen zur Zeit, ob wir das Geld zurückverlangen können. Wir haben in dem Bescheid, mit dem das Geld ausgegeben wurde, klare Vorschriften gemacht. Ins Detail will ich da ungern gehen, weil das seine Sache ist, die wahrscheinlich vor Gericht auszufechten sein wird. Richtig finde ich, dass der Eigentümer nach wie vor eine Zwischennutzung haben will.
Wann eröffnet sie?
Wenn alles wie geplant zugeht, müsste im Februar ein Teil aufmachen.
Die Schützenstraße vergammelt immer mehr. Einige Händler mussten bereits schließen. Die verbliebenen fühlen sich von der Stadt alleine gelassen. Wie können Sie verhindern, dass noch mehr dicht machen?
Ich habe ein Problem mit dem Satz: Die Händler fühlen sich im Stich gelassen. Das suggeriert, dass die Stadt verpflichtet wäre, den Händlern einen Umsatz zu garantieren. Das ist sie nicht. Natürlich ist unser Wille, dass wir dort für Ordnung sorgen. Wir wollen nicht, dass dort eine Frankfurter Hauptbahnhof-Szene entsteht.
Also sollte die Polizei härter durchgreifen?
Kann Sie das? Jemanden, der auf der Straße lebt, vertreiben?
Welche Ansätze gibt es dann?
Da könnten Musiker auftreten. Wir könnten die Gastro beleben, indem wir ihr mit den Freischankflächen entgegenkommen. Man könnte dort Food-Trucks anbieten oder mit einer Lichtinstallation arbeiten. Es gab ja auch mal eine Diskothek im Karstadt. Die sorgt natürlich auch dafür zu beleben.
Also Techno im leeren Karstadt?
Ich kann's mir gut vorstellen. Ich hab da keine Denkverbote. Dass das kein Kunstpark Ost wird, ist klar. Aber solange das eine coole Zwischennutzung ist, ist mir das allemal lieber als ein leerstehendes Gebäude.
"Die Gastro in der Innenstadt ist total gut"
Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen: Wie sieht die Innenstadt in zehn Jahren aus?
Die Kaufingerstraße wird weiterhin eine Spitzenstraße mit hohen Frequenzen sein. Es wird eine Mischung aus Handel und Kultur, Büros und Wohnen geben. Es wird eine wieder erkennbare Innenstadt sein, die gastronomisch vorzeigbar ist.
Wünschen Sie sich mehr Gastro?
Ne, ich wünsch mir die Gastronomie, so wie sie heute ist. Ich finde die Gastronomie in der Innenstadt total gut. Man kriegt von der Tüte Pommes bis zum Sterne-Essen, vom Irish-Pub bis zur Tee-Zeremonie, alles.
Sie wollen also, dass in der Innenstadt alles bleibt, wie's ist?
Ich wüsste nicht, was sich verändern müsste, um die Innenstadt attraktiver zu machen.
Und trotzdem verändert sie sich. Zum Beispiel eröffnen in besten Lagen immer mehr Autohäuser.
Das finde ich ganz schrecklich. Ein Autohaus hat in der Innenstadt nichts verloren. Aber ich kann da null vorschreiben. Ich kann nur versuchen, den Eigentümern klar zu machen: Wenn da nur noch lauter Autohäuser sind, ist die Innenstadt total unattraktiv. Aber ich krieg bei den Autohäusern keine Schnappatmung. Irgendwann werden die Händler feststellen, dass man nur damit, indem man ein Auto in einen Showroom stellt, kein Geld verdient. Ich kauf mein Auto in einem Autohaus, wo ich ein paar Runden Probe fahren kann. Ich wüsste nicht, wie ich aus der Fußgängerzone rausfahren könnte.