Vor Gericht: Kinderlärm? Kein Thema mehr
Weil seine Kinder zu laut sind, wurde Stephan S. die Wohnung gekündigt. Bei der mündlichen Verhandlung am Amtsgericht wissen die Zeugen plötzlich nicht mehr so genau, wo der Lärm herkommt
MÜNCHEN „Plötzlich geht es gar nicht mehr um Kinderlärm“, wundert sich Lisa Matuschek, Anwältin von Stephan S. „Dabei hat sich doch der Eindruck aufgedrängt, genau das sei der Punkt“. Tatsächlich klingen die Zeugenaussagen in der mündlichen Verhandlung am Montag vor dem Amtsgericht so, als wäre der Lärm von S.s Kindern im Haus nie das große Problem gewesen.
Wegen des Kinderlärms aber war Stephan S. im Mai fristlos seine Dachgeschosswohnung in der Wohnanlage „Am Perlacher Forst“ gekündigt worden (die AZ berichtete). S. ist geschieden, seine Kinder leben nur zeitweise bei ihm – ansonsten in der Wohnung der Mutter in derselben Siedlung.
Mehrere Nachbarn hatten sich beschwert und Lärm-Protokolle geführt. Wegen Formfehlern hatte der Vermieter, die Bundesagentur für Immobilienaufgaben (BImA) weitere Male fristlos gekündigt, die Güteverhandlung am 17. Oktober endete ergebnislos.
Typische Kindergeräusche seien nicht zu hören
Als erste Zeugin spricht Simone A. (Name geändert) Sie wohnt mit ihrem Mann im 2. Stock direkt unter Stephan S. und hat über Monate hinweg die Lärmprotokolle geführt: „Es ist immer sehr laut, egal, ob die Kinder da sind oder nicht“, sagt sie. Es mache auch keinen Unterschied, ob S.’s Freundin mit ihrem Hund da sei oder nicht. „Es knallt und kracht einfach häufig.“
Was genau den Lärm verursache, wisse sie nicht. Nur das: Typische Kindergeräusche wie Lachen oder Weinen hörten sie nicht. Auch die Nachbarin im Erdgeschoss will sich nicht festlegen: „Ich hüte mich davor, zu sagen, es handle sich um Kinderlärm“.
In den Lärmprotokollen hatte sich das noch anders angehört: Von „ununterbrochenem Hin- und Herrennen“ ist da an vielen Stellen die Rede, von „lautem Toben“, „Springen, Sich-Fallen-Lassen“. Die oft genannte Lärmquelle: „Kinder S.“ Wenn sie unter demselben Lärm zu leiden haben, unterschreiben die Nachbarn inzwischen Simone A.s Protokolle. Die BImA habe ihnen das geraten.
„Häufig“, sagt Simone A., „ist es so laut, dass man den Lärm, auch in Ruhezeiten, über drei Wohnungen hinweg bis ins Erdgeschoss hört.“ Wie wenn ein Schrank umfalle, höre sich das oft an, bestätigt die Nachbarin direkt unter ihr. Am ärgsten fühlt sich die Nachbarin gestört, die im Erdgeschoss wohnt: „Ich will, dass meine Wohnung wieder lebenswert wird“, sagt sie.
Die Quelle des Lärms ist unumstritten
Dass der Lärm aus S.s Wohnung kommt, da sind sich alle einig. „Man merkt das, wenn man direkt darunter wohnt“, sagt Simone A. Außerdem sei es vor Stephan S.’s Einzug, als noch ein älterer Polizist dort wohnte, „nie übermäßig laut oder störend“ gewesen. Von anderen Mietern, wenn überhaupt, höre man nur „ganz normale Wohngeräusche“. Dass das Haus besonders hellhörig sei, könne man generell eigentlich nicht sagen.
„Wir haben auch versucht, zu reden“, sagt die Frau aus dem Erdgeschoss. Man habe sich sogar an eine Mediatorenstelle gewandt. „Aber von S. kam einfach nichts“.
Eine vergleichsweise angedachte Lösung fällt flach. Weil die BImA Stephan S. keine andere Dreizimmerwohnung anbieten könne, wie Fachgebietsleiter Jürgen Ziegler sagt. „In der Größe ist derzeit nichts verfügbar.
Urteil fällt 2013
Man könne nur wiederholen, sagt die Anwältin des Angeklagten abschließend, dass seitens ihres Mandanten ein normales Wohnverhalten vorliege. Die Lärmübertragung könne nur an der Dämmung liegen und sei auf Baumängel zurückzuführen,. „Wenn eine Kündigung wegen Lärm gerechtfertigt ist, dann diese“, sagt hingegen BImA-Anwalt Jobst Zillich.
Am 16. Januar 2013 will Richterin Cornelia Stark verkünden, wann das Urteil gesprochen wird. „Nicht jeder Lärm rechtfertigt eine Kündigung, resümiert sie. „Geht er aber übers übliche Maß hinaus und ist keine Einsicht da, dann vielleicht schon.“
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