Vor allem für Männer geplant? Warum diese Kreuzung nicht "gendergerecht" ist

Von der Stadtplanung haben lange nur die Männer profitiert. Doch das soll sich ändern. Wie eine Stadt aussieht, in der sich alle wohlfühlen, zeigt eine Führung.
Autorenprofilbild Christina Hertel
Christina Hertel
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
66  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Auf der Schleißheimer Straße in München haben Autos viel Platz - und die längste Grünphase. Für Fußgänger ist die so kurz, dass sie es oft nicht ganz über die Straße schaffen. Auch der Radweg ist schmal.
Auf der Schleißheimer Straße in München haben Autos viel Platz - und die längste Grünphase. Für Fußgänger ist die so kurz, dass sie es oft nicht ganz über die Straße schaffen. Auch der Radweg ist schmal. © Bernd Wackerbauer

Milbertshofen - Über Jahrzehnte hinweg wurden Städte so geplant, dass man möglichst bequem mit dem Auto umher fahren kann. Davon haben vor allem Männer profitiert, die von ihrem Wohnort zu ihrem Arbeitsplatz im Zentrum mussten. Natürlich hat sich inzwischen vieles verändert. Trotzdem können sich immer noch nicht alle gleich gut in Städten fortbewegen.

Gendergerechte Stadtplanung: Alle kommen gleich sicher und gut ans Ziel

Bei einer Führung, die das Mobilitätsreferat gemeinsam mit dem Verein Frauenstudien organisiert hat, erklärten eine Geografin und ein Architekt, wie eine "Stadt für alle" aussehen müsste.

"Gendergerechte Stadtplanung" heißt das Konzept offiziell. Dahinter steckt die Idee: Alle – egal, ob Mann oder Frau, Senior oder Kind, Mensch mit Migrationshintergrund oder mit Einschränkungen – kommen gleich sicher und gut ans Ziel. Das erklärt Geografin Janina Laube gleich zu Beginn der Führung am U-Bahnhof Milbertshofen. Diesen Stadtteil hat sie mit Architekt Tristan Nigratschka genauer analysiert.

Frauen fahren mehr Fahrrad und nutzen den ÖPNV

Die Zeiten, in denen bloß Männer im Dienstwagen zur Arbeit rollten und Frauen zu Hause die Kinder hüteten, sind zwar vorbei. Allerdings gibt es noch immer Unterschiede im Mobilitätsverhalten. Analysen zeigen: Frauen legen im Vergleich zu Männern mehr Wege pro Tag zurück, die Strecke ist aber in der Regel kürzer. Frauen fahren weniger Auto, gehen häufiger zu Fuß, nutzen mehr das Fahrrad und eher den ÖPNV. Laut Statistik des Kraftfahrt-Bundesamtes gehen nicht mal ein Drittel der Pkw-Neuzulassungen an "weibliche Halter".

Gleichzeitig wenden Frauen pro Tag im Durchschnitt 52,4 Prozent mehr Zeit für die Kinderarbeit, die Pflege von Angehörigen, die Hausarbeit oder das Ehrenamt auf. Alles Tätigkeiten, die sich eher daheim und in der Nachbarschaft erledigen lassen.

Zu der Führung sind auch Mitarbeiterinnen der Stadt gekommen. Aber keine Männer.
Zu der Führung sind auch Mitarbeiterinnen der Stadt gekommen. Aber keine Männer. © Bernd Wackerbauer

Aber auch in München sind die Straßen und U-Bahnverbindungen eher darauf ausgelegt, ins Stadtzentrum zu kommen. "Radiale Verbindungen sind schlechter ausgebaut", sagt Laube. An der Schleißheimer Straße zeigt die 30-Jährige, was "autogerecht" konkret bedeutet: Autos haben hier vier Spuren für sich. Es gibt zwar einen Radweg, aber bloß einen schmalen. "An Ampeln haben Fußgänger die kürzeste Grünphase", sagt Laube. Manche schaffen es während einer Ampelschaltung nicht mal über die Straße und müssen dann auf der Insel in der Mitte warten. Aber auch die ist eng.

Bei der Stadtplanung geht auch um das Sicherheitsgefühl

Doch nicht nur die Mobilität spielt eine Rolle, wenn man eine Stadt für alle schaffen möchte. Es geht auch darum, wie wohl und sicher sich die Menschen fühlen. Ein paar Mal auf ihrer Führung zeigen Tristan Nigratschka (25) und Janina Laube (30) Straßen, die gut beleuchtet sind, aber nicht die Gehwege.

Sie erzählen, dass Pissoirs oft kostenlos seien, aber nicht die Toiletten. Sie führen auf Plätze, wo Bäume und Sitzgelegenheiten fehlen – oder so angeordnet sind, dass man sich dort nicht mit anderen unterhalten kann: Bänke stehen oft nebeneinander und nicht gegenüber, Tische fehlen.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Wien als Vorreiter bei gendergerechter Stadtplanung 

Dass es auch anders geht, zeigt Wien. Dort wurde schon in den 90er Jahren eine Leitstelle für "Alltags- und frauengerechtes Planen und Bauen" eingerichtet. Damals stellte eine Studie fest, dass sich Mädchen ab etwa zehn Jahren fast komplett aus Parkanlagen zurückziehen, weil sie sich auf umzäunten Basketball- oder Fußballfeldern nicht wohlfühlten.

Wien hat darauf hin Sportflächen offener gestaltet, auch Volleyballplätze und Sitzmöglichkeiten wurden geschaffen. Heute gilt Wien als Vorreiter, wenn es darum geht, eine Stadt zu schaffen in der sich alle wohlfühlen. Denn es gibt auch Leitlinien für den Wohnungsbau oder die Mobilität.

Grüne und SPD haben ein Hearing beantragt

Auch Grüne und SPD im Stadtrat wollen dem Thema "Gender Planning" einen größeren Fokus geben. Im Herbst 2021 haben sie ein Stadtratshearing beantragt. Dabei kommen auch immer Wissenschaftler und Fachleute zu Wort. Im Juli soll es stattfinden.

Daraus soll die Stadt konkrete Kriterien ableiten und diese bei ihren Planungen berücksichtigen. Bei der Führung sind deshalb auch einige Fachleute aus der Verwaltung dabei. Allerdings: keine Männer.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
66 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • Ironü am 21.06.2023 23:32 Uhr / Bewertung:

    Dicker Drücker!

  • Besserwisser*Innen am 20.06.2023 21:00 Uhr / Bewertung:

    Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob eine Unterscheidung Mann/Frau hier wirklich angebracht ist - vielleicht fahren z.B. Leute nur Auto, wenn sie sich eines leisten können.
    Zu diesem Thema hätte ich dann aber noch Fragen:
    Wenn eh nur Männer Auto fahren, muß man also nicht "Autofahrer*Innen" sagen, oder?
    Darf ich mich als männlicher Radfahrer auch über längere Grünphasen für Radler freuen, oder bleibt das Frauen vorbehalten?

  • OnkelHotte am 20.06.2023 22:37 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Besserwisser*Innen

    Du bist mit Deinem Genderanspruch nicht (der Radfahrer), sondern (der Radfahrende) … wenn schon gendern dann bitte auch bei sich selber richtig ….
    Ich hoffe, Du wirst nicht erschrocken sein, wenn man Dich nicht mehr persönlich anspricht sondern als neutrale Instanz … 🤪

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.