Verschärfung des Diesel-Verbots gekippt: Was die Anwohner in Münchens dreckigster Straße davon halten
Neuhausen - Läuft man die Landshuter Allee ab, von der Donnersbergerbrücke bis hoch zum Olympiapark, hört man vor allem eines: Verkehrslärm. Die, die hier wohnen, verstehen nicht, warum der Stadtrat die Verschärfung des Diesel-Fahrverbots am Mittwoch gekippt hat.
Zumal die Grenzwerte von 40 Mikrogramm Stickstoffoxid gerade an der Landshuter Allee noch überschritten werden. Alle, vom Radladenbesitzer zur Familie mit Kind und Vereinsvorstand, wünschen sich größere Anstrengungen für saubere Luft hier.
Luft an der Landshuter Allee am dreckigsten: Wie geht es den Menschen, die hier wohnen?
Michael Franke (57) leitet den Fußballverein, dessen Vereinsgelände sich direkt an die sechsspurige Fahrbahn der Landshuter Allee anschmiegt. Er ist Vorstand bei der FT Gern, ein lokaler Verein mit über 100-jähriger Geschichte.
Trotz Straßenlärm ein schmuckes Gelände, eingerahmt von hohen, sattgrünen Linden. Am Kopf der Rasenplätze steht ein kleines Wirtshaus mit Sitzgarnituren und Laternen im Freien.

Es sei eine gute Nachricht, dass die Luft am Mittleren Ring jetzt endlich besser werde. "Für alle, die hier wohnen und auch für Jugendliche, die hier Sport treiben."
Damit meint Franke, dass die gemessenen Stickstoffdioxid-Werte (NO2) an der Landshuter Allee im vergangenen halben Jahr zurückgegangen sind. Von 49 auf 44 Mikrogramm je Kubikmeter. Doch laut der städtischen Verordnung zum Diesel-Fahrverbot liegen die Grenzwerte bei 40 Mikrogramm.
Landshuter Allee in München: Verschärfung des Diesel-Fahrverbots "unverhältnismäßig"
Für 2023 wurden sie an den Messstellen Landshuter Allee und an der Tegernseer Landstraße nicht eingehalten. Der Münchner Stadtrat hat die Verschärfung des im Februar in Kraft getretenen Diesel-Fahrverbotes dennoch ausgesetzt. Ursprünglich sah die Stufe II vor, dass ab Oktober auch Diesel der Euro-5-Norm auf und innerhalb des Mittleren Rings nicht mehr fahren dürfen.
Doch bei Fortsetzung der Entwicklung der Immissionen würden die Grenzwerte 2024 eingehalten. Damit hielt das Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) eine Verschärfung sogar für "unverhältnismäßig".
Luft an der Landshuter Allee: "Als ich jung war, war es gefühlt noch weitaus schlimmer"
Wie empfinden das die Anwohner? Was sagen die Menschen, die täglich an der Straße mit der höchsten Schadstoffbelastung wohnen, arbeiten oder Sport treiben? Auf dem Gelände der FT Gern trainieren pro Woche 350 Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Vom Fünfjährigen bis zum Rentner.
Michael Franke hat hier Fußballspielen gelernt, war 15 Jahre Jugendtrainer und ist jetzt der Chef. Früher ist er die 1,5 Kilometer an der Landshuter Allee hochgeradelt. "Als ich jung war, war die Luft hier gefühlt noch weitaus schlimmer." Der Vorteil für ihn und die Vereinsmitglieder sei, dass sie nur temporär auf dem Gelände seien. "Aber für die Anwohner bleibt es ein Riesenproblem", sagt Franke. Das Diesel-Fahrverbot kritisiert er grundsätzlich als "zu kleinteilig". Es brauche insgesamt größere Maßnahmen, um die Luft sauberer zu bekommen und die Menschen so besser zu schützen.
Diesel-Fahrverbot für die Landshuter Allee? Zu kleinteilig und kaum Kontrollen
Das Diesel-Fahrverbot würde außerdem kaum kontrolliert. "Wo werden denn schon Autos angehalten und Fahrzeugscheine geprüft?" Damit spricht Franke eine weit verbreitete Verwechslung an: Ob ein Dieselauto die Euro-Fünf-Norm einhält, kann nur anhand der Prüfziffer auf dem Fahrzeugschein festgestellt werden. Es hat nichts mit der grünen Umweltplakette auf der Windschutzscheibe zu tun.
Ein kleines Tor führt vom Vereinsgelände der FT Gern auf den Gehweg. Zwei Reihen hohe Linden und Buchen säumen das breite Fahrbahnbett in Richtung Innenstadt. Sie nehmen ein bisschen die Hektik der schnell aufschließenden Fahrzeuge im Feierabendverkehr. Aber nicht den Lärm. Die Abgase riecht man nur leicht, nicht so deutlich wie zuvor. Zwei Tage hat es kräftig geregnet, die Luft ist gesäubert. Aber wie Mikroplastik und Feinstaub haben solche Kleinst-Partikel die Eigenschaft, dass man sie nicht sehen kann. Oder?
Setzt man den Rundgang stadteinwärts fort, kann man überall auf den Fensterbrettern eine dicke rußig-schwarze Schicht sehen. Nimmt man ein weißes Taschentuch und fährt darüber, färbt es sich sofort schwarz. Die Plexiglasvordächer sind von einer dunklen Schicht überzogen. An einem gelben Haus hängen bis zum zweiten Stock die schwarzen Schlieren im Putz.
Straße zu schmutzig und zu laut: "Die Fenster lassen wir tagsüber zu"
Kurz vor der Abbiegung Volkhardtstraße geht Eva L. mit ihrer zweijährigen Tochter spazieren. Die Kleine mit den hellblonden Haaren schiebt einen Kinderwagen. "Wir wohnen hier im ersten Stock", sagt die 40-Jährige, deutet auf einen Sechzigerjahre-Bau, rosa gestrichen. "Die Fenster zur Straße lassen wir tagsüber zu. Es ist zu schmutzig und zu laut." Aber ab und zu müssten sie sie zum Lüften öffnen. Eva L. lebt mit ihrer Familie schon seit sieben Jahren an der Landshuter Allee, im oberen Abschnitt. Wegziehen wolle sie schon. "Aber woanders ist es zu teuer", sagt sie.
Hier wohnen nicht unbedingt die Lehrer- und Ingenieursfamilien. Eher wohnen hier Arbeiterfamilien, in denen die Eltern schwer und häufig mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiten und schwierige Lebensumstände haben. Von den Menschen, die hier wohnen, besitzen viele gar kein Auto. Aber wie Eva L. sind es die Anwohner, die am meisten unter den Abgasen, dem Lärm und den Schadstoffen leiden.
Anna Hanusch (Grüne) kritisiert: "Die Anwohner-Interessen fallen durchs Raster"
Die Vorsitzende des Bezirksausschusses Neuhausen-Nymphenburg, Anna Hanusch, wohnt in der Schlörstraße, kurz bevor diese in die Landshuter Allee abzweigt.
Die Grünen-Politikerin kritisiert, dass der Bezirksausschuss "nicht einmal angehört wurde", bevor die geplante Verschärfung ausgesetzt wurde. Dabei verlaufe die Straße mit der meisten Schadstoffbelastung mitten durch ihr Viertel.

"Die Interessen der Anwohner fallen durchs Raster", sagt die 47-Jährige. Hanusch sieht es ähnlich wie Vorstand Franke: Es brauche konsequentere Maßnahmen, um wirklich etwas zu erreichen. "Die Bekämpfung der Luftverschmutzung wurde hier jahrelang verschleppt."
Dem Auto müsse weiter Platz entzogen werden, damit der Individualverkehr noch unattraktiver würde. Etwa durch neue Busspuren, wie jüngst auf der Landshuter Allee. Im Gegenzug müsse der Öffentliche Nahverkehr stärker ausgebaut werden.
Diesel-Fahrverbot? "Muss auch nicht verschärft werden"
Genau am anderen Ende der Landshuter Allee, Richtung Innenstadt, hat Anna Soller ihr Sportgeschäft Stumper. Obwohl es an einem der Hauptverkehrsknotenpunkte liegt, leitet die 63-Jährige es schon in zweiter Generation.

Von oben beugt sich die Fahrbahn der Donnersbergerbrücke herunter und unten, vor ihrem Geschäft, kreuzen Arnulfstraße und Landshuter Allee. Anna Soller sieht das Diesel-Fahrverbot eher wie die Stadtratsmehrheit: "Es ist doch gut, wenn die Luft jetzt sauberer ist, dann muss es auch nicht verschärft werden".
Aber sind 44 Mikrogramm Stickstoffdioxid wirklich sauberer? Während die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Grenzwert von zehn Mikrogramm empfiehlt.
Die Landshuter Allee ist ein städtebauliches Ungetüm
In einem markanten weißen Rondell schraubt Roman Kammerer (50) an einem Gravelbike. Er macht die Hände sauber, läuft die kleine Treppe zum Tresen runter.
Sein Geschäft Rad Kult Tour befindet sich 500 Meter oberhalb: "Ich finde, Stufe II des Verbots hätte eingeführt werden sollen." Auch Kammerer wünscht sich gegen die Luftverschmutzung "viel drastischere Maßnahmen". Schließlich gehe es um die Gesundheit der Bewohner.

Vor 30 Jahren wohnte er selbst in der Landshuter Allee und konnte die Fenster nur zum Innenhof öffnen. Ein "städtebauliches Ungetüm" sei die Allee. Heute würde man das nicht mehr zulassen, hofft er.
Dabei sei sie vor dem Umbau zu den Olympischen Spielen 1972 ja tatsächlich mal eine Allee gewesen: eine kleine Straße, zwei Spuren, mit Bäumen gesäumt.