Verruchter Fasching im Biedersteiner Wohnheim

Verrucht, geheimnisvoll und anders: Seit den 60er Jahren wird im Biedersteiner Wohnheim ein besonderer Fasching gefeiert.
Sven Geißelhardt
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Für 4 Euro bekommen die Feierwütigen einen Longdrink, das Helle kostet nur 2,50 Euro.
privat 3 Für 4 Euro bekommen die Feierwütigen einen Longdrink, das Helle kostet nur 2,50 Euro.
Auf verschiedenen Areas kann zu Helene Fischer bis Goa abgetanzt werden.
privat 3 Auf verschiedenen Areas kann zu Helene Fischer bis Goa abgetanzt werden.
Wer auf den "Atriumfasching" will, muss verkleidet sein.
privat 3 Wer auf den "Atriumfasching" will, muss verkleidet sein.

"Solange der Fasching währt, verehren wir die Lüge, der Rolle treu mit lächerlichem Ernst, den süßen Rausch des Haufens nicht zu stören", schrieb einst Friedrich Schiller. München gilt ja nicht unbedingt als Hochburg der Narren. Statt durch die Straßen zu ziehen, feiern die Faschingswütigen in München vorzugsweise auf Bällen und Partys. Trotzdem gibt’s auch hier Veranstaltungen, die auf eine jahrzehntelange Tradition zurückblicken können und sich mittlerweile zu einer Institution der Narren entwickelt haben – wie der Biedersteiner Fasching.

Party mit 68er-Ikone Uschi Obermaier

Die Bewohner des Biedersteiner Wohnheims in Schwabing organisieren schon seit 1966 ihre legendären Faschingspartys – von Studenten für Studenten. Das denkmalgeschützte Wohnheim, das aus fünf Häusern besteht, steht auf dem Gelände der ehemaligen Wittelsbacher Sommerresidenz und galt lange Zeit als Münchens letzte Kommune. Angeblich soll 68er-Ikone Uschi Obermaier, die zu dieser Zeit im Biedersteiner Wohnheim lebte, dort Fasching gefeiert haben.

Heute gibt es insgesamt vier Veranstaltungen im Jahr, die sich in den "Kellerfasching" und den "Atriumfasching" aufteilen und in der Hochzeit der Faschings-Saison stattfinden. Bei der Planung und Durchführung sind fast alle Bewohner des Wohnheims involviert. Organisator Vadim Goryainov erklärt der AZ: "Wir schaffen es jedes Jahr wieder, dass sich fast jeder Bewohner an der Faschingsparty beteiligt. Wir pochen da auch drauf, dass sich jeder Zeit für seine Schichten nimmt." Der "Kellerfasching" wird von Haus eins und zwei, der "Atriumfasching" von Haus drei und vier organisiert. Beide Partys stehen in einer nicht ganz ernst gemeinten Konkurrenz zueinander.

Longdrink für 4 Euro

Für 4 Euro bekommen die Feierwütigen einen Longdrink, das Helle kostet nur 2,50 Euro.
Für 4 Euro bekommen die Feierwütigen einen Longdrink, das Helle kostet nur 2,50 Euro. © privat

Das macht sich spätestens bemerkbar, wenn man auf dem Weg zum "Kellerfasching" auf Vertreter des "Atriumfasching" trifft, die das angetrunkene Partyvolk von ihrer Feier überzeugen wollen. Da beide Teams jeweils zwei Veranstaltungen organisieren und nur am Faschingssamstag in direkter Konkurrenz stehen, sollte das Abwerben von Gästen kein Problem sein. Für die Partys werden am Nachmittag vor der Veranstaltung jeweils 1000 Tickets verkauft. Aber: Pro Gast gibt’s nur maximal zwei Tickets. Mutige können ihr Glück auch an der Abendkasse versuchen, wo die Restkarten noch an den Mann oder die Frau gebracht werden.

Der Eintritt ist mit zehn Euro für Münchner Verhältnisse im vertretbaren Rahmen. Viel interessanter sind für die kostümierten Feierwilden sowieso die Getränkepreise, die die Organisatoren mit "tschechischen Preisverhältnissen" vergleichen. Wo in München bekommt man schon ein Helles für 2,50 Euro, einen Longdrink für 4 Euro oder ein Stamperl für 1,50 Euro? Schonend für den studentischen Geldbeutel verheißen diese Preise einen rauschigen Abend ohne drohenden finanziellen Ruin.

Viele Ehemalige kommen zum Biedersteiner Fasching

Aber nicht nur Studenten nutzen das günstige Partyangebot. Das Publikum ist kunterbunt gemischt, von Erstsemestern bis zu Mittdreißigern, deren Studium schon einige Jahre zurückliegen dürfte. Viele Gäste, die zum ersten Mal den Biedersteiner Fasching feiern, haben durch Mund-zu-Mund-Propaganda oder über die sozialen Medien von dem Fest erfahren. Viele Ehemalige des Wohnheims kommen Jahr für Jahr zurück, um die Studentenzeit bei dieser rauschenden Feier wiederzubeleben. Eine legendäre Party braucht eben keine teure Werbung.

"Kellerfasching" vs. "Atriumfasching" Das Besondere am "Kellerfasching" ist die Örtlichkeit. Gefeiert wird in den verwinkelten Kellergewölben des Studentenwohnheims. Schon beim Betreten fühlt man sich wie eine erwachsene Alice, die in einen verruchten Kaninchenbau zu Zeiten der Prohibition stolpert. Das unterirdische Labyrinth erscheint wie ein geheimnisvoller Ort. Allerhand bunte Gestalten schieben sich durch die engen Gänge in die drei verschiedenen Partyräume, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Oldschool-Hip-Hop und Helene Fischer

Auf verschiedenen Areas kann zu Helene Fischer bis Goa abgetanzt werden.
Auf verschiedenen Areas kann zu Helene Fischer bis Goa abgetanzt werden. © privat

Im größten Raum sind die Wände mit bunten Farben bemalt, die unter Schwarzlicht zu leuchten beginnen. Hier können sich die Gäste mit typisch-karnevalistischem Schlager von Matthias Reim und Andreas Gabalier oder von Eurodance-Klängen à la Ace of Base beschallen lassen. Ein paar Gänge weiter landet man im New York der 90er Jahre, wo mit dem Popo zu Oldschool-Hip-Hop gewackelt wird. Im letzten Raum erwartet das Partyvolk düstere Elektromusik, deren basslastige Beats die Knochen zum Vibrieren bringen.

Der "Atriumfasching" steht dem "Kellerfasching" in nichts nach. Bis vor knapp 25 Jahren wurde diese Party tatsächlich im Atrium des Wohnheims gefeiert. Wegen der Brandschutzordnung wurde der Hauptteil der Feier aber ebenfalls in einen Keller verlegt. Dort spaltet sich die Party-Area in zwei Bereiche. Im kleinen Raum können die Gäste ihrer Tanzwut bei Goa-Musik freien Lauf lassen. Im größeren Raum kommen stilecht Popschlager von Helene Fischer oder "Die Atzen" bei den Gästen besonders gut an. Ein Highlight ist das sogenannte Aquarium, ein gläserner Raum direkt neben dem Atrium, in dem auch Livebands spielen und für gute Stimmung sorgen. Ohne Verkleidung geht auf einer Faschingsparty bekanntlich gar nichts. Die Veranstalter des Biedersteiner Faschings bestehen deshalb auf einer Kostümpflicht. So richtig streng umgesetzt wird die beim "Kellerfasching" dann aber nicht wirklich, auch den "normalen" Gästen wird der Eintritt nicht verwehrt. Trotzdem kommen 99 Prozent des Publikums im Kostüm.

"Atriumfasching" geht nur mit Kostüm

Wer auf den "Atriumfasching" will, muss verkleidet sein.
Wer auf den "Atriumfasching" will, muss verkleidet sein. © privat

Beim "Atriumfasching" allerdings werden unkostümierte Gäste tatsächlich nicht reingelassen. Der Schauwert bei den Verkleidungen ist hoch, einige Faschingsbegeisterte haben richtig Arbeit in ihre Verkleidung gesteckt. "Manche geben sich bei ihren Kostümen sehr viel Mühe und es wird tagelang gebastelt. Wir lassen zwar nur mit Kostüm rein, aber als Kostüm geht auch viel durch", sagt Vadim Goryainov.

Und so tanzen im Kellergewölbe und im Atrium Gestalten aus der Fantasy-Serie "Game of Thrones" neben muskulösen Dragqueens, bestellen an der Bar vier überdimensional große Bananen Drinks bei Harry Potter und werden Luftballons als Kleidungsstück zweckentfremdet. Daneben sieht man aber auch einige einfachere Kostümierungen wie einen Affeneinteiler oder eine Gummimaske auf dem Gesicht.

Obwohl der Biedersteiner "Kellerfasching" und "Atriumfasching" jedes Jahr fast ausverkauft sind, wird mit den Partys kaum Gewinn erwirtschaftet. "Wir machen ein bisschen Gewinn, der in unser Wohnheim fließt. Aber eigentlich ist es eine ehrenamtliche Party, organisiert von einem ehrenamtlichen Verein", erklärt einer der Organisatoren. Wer in München auf der Suche nach einer etwas anderen Kostümfeier ist, fühlt sich auf dem Biedersteiner Fasching bestimmt gut aufgehoben. 

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