Verkehrstote: So gefährlich ist der „Tote Winkel“

Schon vier Münchner starben heuer bei sogenannten Abbiege-Unfällen – zuletzt ein 13-jähriger Bub. Und 1000 wurden schwer verletzt. Wie die Polizei diese Verkehrs-Tragödien künftig vermeiden will.
von  Irene Kleber
Das riesige orange-farbene Dreieck (auf das ein Dutzend Menschen passen) markiert die „Tote-Winkel-Fläche“, die ein Fahrer am Steuer dieses LKW beim Rechtsabbiegen nicht sehen kann.
Das riesige orange-farbene Dreieck (auf das ein Dutzend Menschen passen) markiert die „Tote-Winkel-Fläche“, die ein Fahrer am Steuer dieses LKW beim Rechtsabbiegen nicht sehen kann. © iko

München - Das letzte Opfer war ein Kind. Ein 13 Jahre alter Bub, der am Donnerstag auf dem Heimweg von der Schule in Haar starb – überrollt von den Zwillingsreifen eines 26-Tonnen-Lkws. Der Achtklässler aus dem Ernst-Mach-Gymnasium war mit seinem Radl auf der Münchner Straße in den nicht einsehbaren „toten Winkel“ des MAN-Abrollkippers geraten, dessen Fahrer nach rechts abbiegen wollte. Genau in die Radlfahrspur des Buben hinein. Das Kind war, obwohl es einen Radlhelm trug, sofort tot. Ein entsetzlicher Albtraum für die Eltern. Und eine Tragödie, die – vielleicht – vermeidbar gewesen wäre: Wenn der Lkw beispielsweise eine „Fresnel-Linse“ im Beifahrerfenster gehabt hätte, mit der sich in den toten Winkel blicken lässt.

45 Tote in Bayern jedes Jahr

Dabei war dieses Unfalldrama nur eines in einer Serie ähnlich gelagerter Fälle: Weitere drei Münchner sind heuer bei Abbiege-Unfällen gestorben und rund 1000 verletzt worden. Noch unerfreulicher sind die bayernweiten Zahlen: Im Durchschnitt sterben jährlich 45 Männer, Frauen und Kinder, weil sie im toten Winkel eines Fahrzeugs nicht gesehen werden. Und 7000 werden teilweise lebensgefährlich verletzt und müssen ihr Leben lang mit bleibenden Schäden leben.

Unfallursache: Fahrzeugtechnik

„Viele dieser Abbiege-Unfälle müssten nicht passieren, wenn die Lastwagen mit einer besseren Fahrzeugtechnik ausgerüstet wären“, sagt Unfallforscher Wolfram Hell vom Rechtsmedizinischen Institut der LMU, den sich die Münchner Polizei als Berater zum Thema Unfall-Vermeidung ins Boot geholt hat. Mit der aktuellen Ausrüstung (in aller Regel nicht mehr als sechs Spiegel am Fahrzeug) sei es für Fahrer „unmöglich“, Fußgänger und Radler im toten Winkel zu sehen.

Der uneinsehbare Bereich rechts der Beifahrertür etwa ist dreieckig – und so groß, dass etwa ein Dutzend Menschen darauf Platz haben. Einen zweiten toten Winkel gibt es direkt vor der Front eines Lkws unterhalb der Scheibe. Hell: „Die Fahrer müssen beim Abbiegen in alle Spiegel gleichzeitig schauen, den Verkehr beobachten und ihr riesiges Fahrzeug um die Kurve herum lenken – das ist eine unglaublich schwierige Leistung.“ Hell plädiert deshalb seit Jahren dafür, dass Deutschland einführt, was andere Länder zum Schutz von Radlern und Fußgängern längst praktizieren:

-  In Japan etwa sind „gläserne Beifahrertüren“ in Lkws vorgeschrieben. Durch das Glas kann der Lastwagenfahrer beim Rechtsabbiegen ganz genau sehen, was sich im toten Winkel rechts von ihm abspielt.

-  In Großbritannien müssen Lkws Erkennungssysteme (z.B. Kameras oder elektronische Abbiege-Assistenten) für den toten Winkel eingebaut haben.

-  Und in den USA kleben die „Fresnel-Linsen“ serienmäßig in den Beifahrerfenstern der Trucks. Durch das System der Lichtbrechung verschaffen sie Einblick in den uneinsehbaren Bereich draußen auf der Straße.

Wolfram Hell: „In Holland haben etwa ein Viertel der Speditionen ihre Fahrzeuge freiwillig mit solcher Technik ausgerüstet. In Deutschland fahren gerade mal ein Prozent damit. Hätten wir ein Bundesgesetz, das zur Nachrüstung zwingt, ließe sich viel Leid vermeiden.“

Tipps zur Prävention

Die Münchner Polizei appelliert nun an alle Verkehrsteilnehmer, bei Abbiegemanövern mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen. Polizeioberrätin Christine Müller rät: „Denken Sie an den Schulterblick, ehe Sie um die Kurve fahren. Radler und Fußgänger, die Vorfahrt haben, sollten an Kreuzungen Blickkontakt mit abbiegenden Fahrern suchen, um im Zweifelsfall den Abbiegenden vorbei zu lassen.“

In der Präventions-Filmreihe der Polizei „Obacht gebn – sicher ans Ziel“ ist nun auch der Film „Abbieger – Augenblick bitte!“ erschienen. Der erklärt, wie die Abbiege-Unfälle zustande kommen und was Verkehrsteilnehmer tun können, um sich und andere zu schützen.

 

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