Verbraucher müssen mitziehen: Europa sagt Plastikmüll den Kampf an - und München?
München - Die Rettung der Weltmeere beginnt mit einem Trinkhalm aus Plastik. Denn etliche Milliarden solcher Plastikhalme landen im Wasser. Am Mittwoch billigte das Europäische Parlament in Straßburg seinen Aktionsplan, der aus Verkaufsverboten von Einwegartikeln aus Kunststoff, höheren Recycling-Quoten und mehr Abfallvermeidung besteht. Nun kommt es darauf an, dass der Verbraucher mitzieht.
In München fällt stündlich so viel Kunststoff-Müll an, dass man die komplette Bavaria – der Bronzekoloss ist 18,52 Meter hoch – damit füllen könnte. Würde man die Kunststoff-Abfälle der Münchner eine Woche lang sammeln, könnte man sogar einen der beiden rund 98 Meter hohen Türme der Frauenkirche damit füllen, heißt es beim Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM).
AWM-Sprecherin Folger: "Akzeptable Alternativen schaffen"
"Jahr für Jahr fallen demnach allein in München 42.000 Tonnen Verpackungsmüll an – ein Anstieg um 30 Prozent seit Beginn der 1990er Jahre. Seit dem Sommer wirbt die AWM deshalb mit der Kampagne "Plastikmüll ist ein Riesen-Problem" für einen bewussteren Umgang mit Kunststoffen. (Lesen Sie hier: Pfui Deifi - so versagt München beim Müll)
"Die Lösung des Plastikmüll-Problems liegt darin, die in Umlauf gebrachte Menge an Plastik zu reduzieren, akzeptable Alternativen zu schaffen und weniger Abfall zu produzieren", so Vize-Pressesprecherin Bettina Folger. Denn nicht das bessere Trennen von Plastikmüll mache die bessere Umwelt, sondern das weniger an Plastikmüll sei erforderlich für den Planeten. (Hier gibt's den AZ-Kommentar zum Thema Plastikmüll)
Die AZ beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema...
Erschreckend: die Müll-Bavaria. Illustration: AWM
Welche Plastikartikel sollen künftig verboten werden?
Das Verkaufsverbot betrifft vor allem Einwegartikel wie Trinkhalme aus Plastik, Watte- und Rührstäbchen für Kaffee, Plastikgeschirr sowie -bestecke und Ballonhalter. Also Produkte, die leicht aus anderen Werkstoffen hergestellt werden können. Denn ein Plastikteller, der ins Wasser gelangt, braucht mehr als 500 Jahre, ehe er abgebaut wird. Zusätzlich sprach sich das EU-Parlament dafür aus, auch aufgeschäumte Kunststoffe auf die Verbotsliste zu setzen, wie sie immer noch zu oft zum Transport von Nahrungsmitteln oder Essen im Einsatz sind. (Lesen Sie hier: Bewusstsein für Plastikmüll wächst)
Was ist mit den oft zitierten Bechern für einen Kaffee to go?
Solche Becher für Getränke, Eis, aber auch Boxen für Lebensmittel, sollen künftig aus wiederverwertbaren Materialen bestehen. Die Abgeordneten schlagen vor, dass bis 2025 diese Behälter zu 90 Prozent recycelbar sein müssen. Wieso tauchen in den Plänen der EU auch Zigarettenstummel auf? Zigarettenreste enthalten ebenfalls Kunststoffe. Experten zufolge kann ein einziger Stummel bis zu 1.000 Liter Wasser verunreinigen. Deshalb soll der Müll aus diesen Zigarettenresten bis 2030 um 80 Prozent reduziert werden.
Wie will man die Hersteller dazu zwingen, weniger Plastikprodukte zu produzieren?
Bei einer ganzen Palette von Produkten werden die Hersteller künftig an den Kosten für die Beseitigung beteiligt. Außerdem sollen die Regierungen sie verpflichten, Hinweise auf den Verpackungen anzubringen, damit der Verbraucher erkennt, wie umweltbelastend oder -schonend die Ware ist, die er kaufen will. Wann treten diese Vorhaben in Kraft? Der ursprüngliche Plan der Kommission, diese verschärften Vorschriften gegen Plastikmüll schon bis zur Europawahl 2019 in Kraft zu setzen, wird nicht aufgehen. Denn der Beschluss des Parlamentes ist vorerst nur die Position der Abgeordneten für die nun folgenden Gespräche mit den Mitgliedstaaten. Selbst wenn diese zügig verlaufen, bekommen die EU-Länder noch zwei Jahre Zeit für die Umsetzung. Allerdings versprechen sich Kommission und Parlament allein durch die Vorlage dieser Vorschläge, Druck auf Hersteller und Einzelhandel, Plastik zu vermeiden – und neue Lösungen anzubieten.
Was ist aus der Idee einer Plastiksteuer geworden?
Haushaltskommissar Günther Oettinger hatte den Vorschlag eingebracht, Mitgliedstaaten, die ihre Recyclingziele verfehlen, zu Geldbußen heranzuziehen. Er dachte an einen Beitrag von 80 Cent je Kilo Kunststoff, das eigentlich hätte vermieden werden sollen. Tatsächlich ging es Oettinger aber wohl eher um eine zusätzliche Einnahmequelle für die Union. Es sieht nicht danach aus, dass die Mitgliedstaaten diese Idee übernehmen.
Gibt es auch Kritik an dem Aktionsplan gegen Plastikmüll?
Niemand bestreitet ernsthaft, dass die Weltmeere von Plastikresten zugemüllt werden und wertvolle Lebensräume für Fische und Pflanzen bedroht sind. Aber ein Verkaufsverbot bedeutet einen weitgehenden Eingriff in die Freiheit des Verbrauchers, hieß es am Mittwoch beispielsweise vom Centrum für europäische Politik in Freiburg. Dessen Experten argumentierten, dass hinter jedem achtlos weggeworfenen Plastikteller ein Mensch stehe, den man erreichen könne und müsse. Das sei wichtiger und einfacher. Außerdem wären Aufpreise für Kunststoffprodukte, wie in Deutschland für Plastiktaschen, effizienter.
Gab es im Parlament keinen Widerstand?
Von den bei der Abstimmung anwesenden 658 Volksvertretern stimmten 571 einem Verkaufsverbot sowie den übrigen Bestimmungen zu. Nur 53 Parlamentarier sprachen sich dagegen aus, 34 enthielten sich.
Was sagen die Hersteller?
Die Plastikindustrie befürchtet Einbußen im Lebensmittel-Sektor oder Probleme bei der Lebensmittelhygiene, wenn der Plastikverbrauch drastisch gesenkt werde. Und Greenpeace? Die Einwegplastik-Definition sei zu eng, kritisiert Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack. Damit öffne sich ein Schlupfloch für die Industrie: Die Konzerne könnten die Reduktionsziele schlicht ignorieren, wenn sie ihre Produkte als wiederverwendbar kennzeichneten.