Unterpflasterbahn und Postschnellzug: Der ehemalige Weltverkehr von morgen
München - Die Internationale Automobilausstellung ist von Frankfurt nach München gewandert und hat sich grundlegend gewandelt. Vom 7. bis 12. September wird sie jetzt als "IAA Mobility-Plattform" inszeniert, begleitet von viel Musik und Show.
Der gesamte Verkehr von heute und morgen wurde vorgestellt
Nicht mehr nur das vierrädrige, ins Gerede gekommene Kraftfahrzeug soll in gewohntem Glanz auf dem Messegelände in Riem und weiteren Plätzen präsentiert werden, sondern der gesamte Verkehr von heute und morgen. Inspiriert dazu wurde der mächtige Verband der Autohersteller nicht zuletzt durch die erstarkte Gegenbewegung von Radlern, Klimaschützern und anderen Anhängern einer radikalen Verkehrswende.

Mit der neuen Konzeption können sich die Veranstalter, darunter die stadteigene Messegesellschaft, auf eine alte Tradition berufen. Schon 1925 hatte auf der Münchner Theresienhöhe eine Deutsche Verkehrsausstellung (DVA) stattgefunden.
Außer Schienen und Maschinen bot sie beispielsweise auch ein Marionettentheater, einen Kunstpavillon und viel Gaudium. Mit fast drei Millionen Besuchern in fünf Monaten war diese DVA die größte Ausstellung im Deutschen Reich seit dem Ersten Weltkrieg.

An den internationalen Erfolg jenes Jahres 1925, als außerdem das Deutsche Museum eröffnet wurde, knüpfte die Deutsche Verkehrsausstellung von 1953 ausdrücklich an. Bei beiden Ausstellungen spielte das private Kraftfahrzeug, längst "der Deutschen liebstes Kind" (Erich Kuby), eher eine untergeordnete Rolle. Der Fokus lag, wie in der Bonner Verkehrspolitik überhaupt, jeweils auf der Schiene.
"Neuheiten zu Wasser, zu Lande und in der Luft"
Von Juni bis Oktober 1953 bot München jedenfalls eine faszinierende Fülle von "Neuheiten zu Wasser, zu Lande und in der Luft" (so die Überschrift meines Berichts zur Eröffnung durch den ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss). Zu den vielen Attraktionen gehörten das Modell einer Unterpflasterbahn (aus der bis 1972 eine echte U-Bahn wurde), eine Einschienenbahn (deren Prototyp noch nichts mit der später bei München entwickelten und misslungenen Magnetschienenbahn "Transrapid" zu tun hatte) und eine bereits in der Probephase befindliche "Allwegbahn" (die auf einer oder auf zwei Schienen sowie auf der Straße rollen sollte).

Der bahnbrechende Postschnellzug
Wirklich bahnbrechend war indes der Postschnellzug. In den Wagen, wo Briefe sortiert wurden, gab es sogar eine Klima-Anlage, die staubige Luft absaugte. Die Bundespost beteiligte sich außerdem mit dem Selbstwählferndienst, den jeder Besucher kurz vor der offiziellen Inbetriebnahme schon mal je eine Minute lang nutzen durfte, für zwei Mark konnte man sogar ein Foto nach auswärts "funken".
Die erste öffentliche Fernsehübertragung
Ebenso spannend waren die erste öffentliche Fernsehübertragung, die moderne Briefverteilungsanlage, der Überseefunk und der "öffentlich bewegliche Landfunkdienst", was nichts anderes als das erste Autotelefonnetz war. Am Rand, bei den wenigen Automobilen, fiel das erste Fahrzeug auf, das durch einen Kreisel angetrieben wurde.

Geräuschlos und vibrationsfrei bewegte sich der in der Schweiz entwickelte "Gyrobus", eine Art Omnibus ohne Oberleitung, probeweise durch München. Die Energie bezog er aus einem Schwungrad, das mit einem Motor kombiniert war, der in einem mit einem mit Wasserstoff gefüllten Gehäuse lief.
Das reichte allerdings nur für sechs Kilometer - zu wenig für das nahende Zeitalter der Beschleunigung. Auf den Verkehrsausstellungen vorgeführt wurden die schweren, möglichst schnellen Autos - und das sollte noch viele Jahrzehnte so bleiben.
Die Forschungsrakete kam etwas zu früh
Etwas zu früh am Show-Start war damals auch eine 15 Meter hohe Forschungsrakete vom Typ "Viking", gebastelt von Technikern der schon existierenden Gesellschaft für Weltraumforschung. Wie das kommende deutsche Verkehrsflugzeug aussehen könnte, enthüllte die Kölner Aktiengesellschaft für Luftverkehrsbedarf, die Luft AG, die kurzfristig der noch nicht wiedergegründeten Lufthansa nachfolgte.

Die Besucher bestaunten das Rumpfmodell eines modernen Transozean-Clippers mit Schlafkabinen und Küche, wo zwei Mädchen im künftigen blau-gelben Stewardessen-Dress hantierten. Ein Modell des Flughafens Frankfurt mit Starts und Landungen funktionierte ebenso vollautomatisch wie die größte Modelleisenbahn der Welt, das beliebteste Spielzeug jener Verkehrsschau.
36 Nationen waren 1965 beteiligt
Bereits 36 Nationen beteiligten sich wieder mit teils fantastischen Projekten an der Internationalen Verkehrsausstellung 1965 in München, die Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm (CDU) als "erste Weltfachschau zur Geschichte des Verkehrs" rühmte. Vier Tage vor der Eröffnung dieser IVA, so der neue Name - "I" dabei für "International", trafen zwei Originalraketen des Typs Atlas und Agena in München ein, während eine westdeutsche Weltfirma noch einen "Flugwagen" schickte.
Das waren weitere Hits
Weitere Hits waren: das Luftkissenboot "Hoovercraft", der Ozeandampfer in Originalgröße, Walt Disneys Rundkino "Circorama", eine Einschienenbahn namens Monorail, die von der Theresienwiese herauf surrende Seilbahn, und der hundert Meter hohe IVA-Turm mit zweistöckiger, drehbarer Plexiglaskabine.
Das Wahrzeichen war eine Weltraumstation
Das weithin sichtbare Wahrzeichen der ersten Weltausstellung des Verkehrs war jedoch das in 30 Meter Höhe schwebende Modell einer Weltraumstation. Es hatte einen Durchmesser von 23 Zentimetern und war an drei Pylonen verankert. Alle in der Weltraumforschung aktiven Nationen, auch die Bundesrepublik, waren in der Sonderschau "Der Mensch und der Weltraum" vertreten, wobei die damals führende Sowjetunion ihre Geheimnisse bis zuletzt wahrte.
Das magische Tempo 200
Der eigentliche Höhepunkt der Veranstaltung: Noch während sie lief, startete Bayerns Ministerpräsident Alfons Goppel (CSU) den "ersten ultrarapiden Zug". Bei der Jungfernfahrt auf der extra ausgebauten Strecke nach Augsburg erreichte ein planmäßiger Zug dank der neuen, mit sechs Fahrmotoren ausgerüsteten Lokomotive E 03 schon bei Kilometer 10,7 erstmals das magische Tempo 200, mitfahrende Reporter sahen, wie die Tachonadel kurzfristig sogar auf 220 stieg.
Die Bundesbahn, sagte DB-Präsident Heinz Maria Oeftering auf dem provisorischen IVA-Bahnsteig vor Journalisten, müsse sich das Ziel setzen, bei Wahrung ihrer einzigartigen Sicherheit den Vorsprung vor dem Kraftwagen in Bezug auf Schnelligkeit und Komfort auch in Zukunft zu halten.
Mehr als 2,5 Millionen Besucher
Mehr als 2,5 Millionen Besucher, darunter Fachleute aus aller Welt, registrierte die Messegesellschaft während der 101 Tage jener globalen Verkehrsshow. Nachträglich erinnert ihre Organisation an die Vorbereitung der Olympischen Spiele (1965 machte der OK-Vorsitzende Willi Daume dem frisch gewählten OB Vogel den auf 1972 gezielten Vorschlag).
Noch zweimal wurde die IVA wiederholt. Sie wies Wege, das heißt Bahnen in die Zukunft. Auch wenn nicht alles von damals verwirklicht werden konnte, bleibt die Erwartung, dass sich das Interesse der neuen, stadtweit gespielten "IAA Mobility" nicht nur an den keineswegs klimaneutralen Kraftprotzen einer sogenannten Leitindustrie erschöpfen wird.