Unterführung des Grauens: Die Dachauer Straße in Moosach

Der letzte Abschnitt der Dachauer Straße führt im Münchner Norden durch den Bezirk Moosach. Dass er lange ein eigenes Dorf war, spürt man immer noch – heute hat das Viertel ein Verkehrsproblem.
von  Hüseyin Ince
Netzervilla am Verkehrsknoten.
Netzervilla am Verkehrsknoten. © AZ/inc

München - Wolfgang Kuhn (SPD) bekommt Kopfschmerzen, wenn er an die Bahnunterführung denkt, auf der Höhe Dachauer Straße 288. Kuhn ist seit 2018 Bezirksausschuss-Vorsitzender von Moosach. Was er erzählt, klingt entnervend. "Einmal im Jahr bleibt hier ein zu hoher Lkw so stecken, dass der Verkehr lahmgelegt ist", sagt Kuhn, "und mehrmals pro Woche streift ein Fahrzeug die Unterführung."

Mittlerweile wurde beidseitig eine zweite Höhenmessung angeschraubt, gelb blinkend, einige Meter vor der Senke: 3,40 Meter steht da. Ein Moosacher kommentiert: "Ja mei, jetzt bleims halt früher hängen." Ein Umbau verzögert sich offenbar wegen der Bahn. "Aber die hat auch ein Interesse daran, dass sich die Situation ändert, wegen der Verkehrssicherheit der Bahnbrücke", sagt Kuhn. Das alles klingt ein wenig nach Dorf-Posse. Und Moosach war auch bis 1913 eigenständig. Die Häuser sind viel niedriger als in der Stadt. Fast 55.000 Einwohner wurden hier zuletzt gezählt. Und der Ort ist deutlich älter als München. Die ersten Menschen siedelten sich schon vor etwa 4.000 Jahren an. Aber dörflich wird es nicht bleiben. Kuhn hat dazu Zahlen. "In den letzten zehn Jahren hatten wir einen Zuwachs an Gebäuden von 33 Prozent", sagt er, "und das wird so weitergehen. Eine Großstadt wächst immer." Früher oder später werde die Bauhöhe unvermeidlich zunehmen, so Kuhn.

Netzervilla am Verkehrsknoten.
Netzervilla am Verkehrsknoten. © AZ/inc

Historische Villa am Moosacher Stachus

Die Kreuzung Dachauer Straße Ecke Pelkovenstraße ist nicht nur vier-, sondern gleich fünfarmig. Dort wo die Pelkovenstraße Richtung Westen abknickt, ist sie beinahe verkehrsberuhigt. Nur die Tram fährt hier entlang und ist eine Art Taktstock. "Sie gibt dem ganzen Verkehr den Rhythmus vor", sagt Bezirks-Chef Wolfgang Kuhn (SPD). Direkt an dieser Kreuzung steht die Netzervilla. Hier wohnte jahrelang der letzte echte Bürgermeister des Ortes, Valentin Netzer. Schließlich war Moosach bis 1913 eine eigene Gemeinde. Und Netzer war wohl ein großer Befürworter des Anschlusses an München. Ob er das heute noch genauso sehen würde?

Für das Oktoberfestgefühl: ein Lichthimmel aus Bierkrügen.
Für das Oktoberfestgefühl: ein Lichthimmel aus Bierkrügen. © AZ/inc

Ein Bierhimmel für Moosacher

Als Toni Demirel, der heutige Chef des Moosacher Alten Wirtes, im Juni 2018 die Traditionswirtschaft übernahm, wollte er etwas verändern, kulinarisch und optisch. Die erste Veränderung ließ er an der Bar vornehmen. Demirel brachte das Flair vom Oktoberfest nach Moosach und installierte einen beleuchteten Glaskrughimmel, der bestimmt auch Aloisius, den berühmtesten Münchner Biertrinker im Himmel, neidisch werden lässt. Die zweite Veränderung erinnert auch an die Wiesn. Demirel bot ab Sommer 2018 den Steckerlfisch an. Und das alles scheint gefruchtet zu haben. Wer an einem schönen Samstag oder Sonntag zum Alten Wirt an der Hausnummer 274 geht, wird trotz Corona gerade so noch einen Platz im Biergarten bekommen.

Kublitzky vor der ominösen Unterführung.
Kublitzky vor der ominösen Unterführung. © AZ/inc

"Vor 50 Jahren fuhren nur Traktoren"

Fragt man den früheren Buchdrucker und heutigen Rentner Friedrich Kublitzky (72), was an Moosach schöner ist als an der Münchner Innenstadt, überlegt er nicht lange und sagt: "Nix!" Kublitzky ist seit 50 Jahren Moosacher. Er schwärmt vom Lehel, wo er geboren wurde und kam damals wegen seiner Ehefrau nach Moosach. Leben lasse es sich hier trotzdem gut. "Ich kann mich noch erinnern, dass hier an der Dachauer Straße nur Traktoren gefahren sind, von den ganzen Landwirten", sagt er, "heute ist das natürlich ein Nadelöhr, für alle, die aus dem Norden kommen oder dorthin fahren wollen."

Möbelrestaurator Langenholt am Hobelkasten.
Möbelrestaurator Langenholt am Hobelkasten. © AZ/inc

Polieren, einpassen, aufsohlen per Hand

Wer von der Pelkovenstraße durch eine kleine Gasse Richtung Süden geht, landet nach einer Minute in der Restaurierungswerkstatt von Thomas Langenholt (Jahrgang 1963), in der Franz-Fihl-Straße 9. Hier wird noch echtes Handwerk praktiziert. Der studierte Kunstwissenschaftler ist ein Experte für die liebevolle Aufbereitung von jahrhundertealten Möbeln. "Das sind Gegenstände, die einen das Leben lang begleiten, mit sehr großer Qualität", sagt Langenholt. Er kritisiert die Wegwerfmentalität. "Der jetzigen Generation geht es zu gut. Sehr viele Möbel, die man heutzutage kauft, überleben den nächsten Umzug kaum", sagt er. Die alten Möbel werden seiner Meinung nach nicht wertgeschätzt: "Die Preise für antikes Mobiliar sind im Keller", sagt Langenholt. Polieren, einpassen, aufsohlen: Trotzdem hat er regelmäßig Aufträge. Das älteste Möbelstück, an dem er je gearbeitet hat: "Eine Truhe der Spätrenaissance, aus dem Jahr 1596."

Schermers Favorit: Torte mit Passionsfrucht.
Schermers Favorit: Torte mit Passionsfrucht. © AZ/inc

"Schokotorte mit Himbeeren ist sehr beliebt"

Sticht man von der Dachauer Straße Richtung Pelkovenstraße, sinkt der Anteil an Friseurläden und Wettbüros rasant. Hier fühlt man sich schnell wie in einem bayerischen Dorf, geprägt von kleineren Läden sowie Manufakturen, wie etwa einem Käseladen. Direkt nebenan, in der Hausnummer 50: Bärbel Schermers Tortenmacherei. Ob Hochzeit, Geburtstag oder sonstige Feiern: Bei ihr kann man passgenau die richtige Torte bestellen. "Am beliebtesten ist die Schokotorte mit Himbeer-Buttercreme", sagt Schermer. Und wenn nicht gerade Corona umgeht, gibt die Ernährungswissenschaftlerin auch Kurse, wie man selbst die perfekte Torte zubereitet.

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