Unfallbilanz der Polizei München: Jeder Sechste durchs Smartphone abgelenkt

München - Die gute Nachricht zuerst: Obwohl es immer mehr Einwohner und immer mehr zugelassene Autos gibt, ist die Zahl der Unfälle in und um München im vergangenen Jahr leicht gesunken (-0,9 Prozent). Unfassbar hoch ist die Anzahl der Unfälle nichtsdestotrotz: Statistisch gesehen kracht es am Tag 148 Mal auf Münchens Straßen oder im Landkreis – insgesamt 54.080 Verkehrsunfälle gab es. Dabei wurden 741 Menschen verletzt. 21 wurden getötet, 15 von ihnen in der Stadt.
Polizeivizepräsident Norbert Radmacher und Dieter Bauer, Leiter der Verkehrsabteilung bei der Münchner Polizei, stellten am Freitag die Unfallstatistik 2019 vor. Fußgänger, Radfahrer und Senioren sind besonders gefährdet, im Straßenverkehr schwer verletzt oder sogar getötet zu werden.
Viele Radfahrer unter den Verkehrstoten in München
Unter den Todesopfern sind überproportional viele Radfahrer: insgesamt acht Männer, Frauen und Kinder. Am zweithäufigsten wurden Fußgänger bei Verkehrsunfällen getötet – fünf kamen ums Leben. Außerdem starben vier Motorradfahrer. zwei Mitfahrer im Auto, ein Lasterfahrer und der Lenker eines Traktors.
Ein Ausreißer in der aktuellen Verkehrsstatistik ist der enorme Anstieg an Auffahrunfällen. "Die Zahl ist im Vergleich zu 2009 fast um das Vierfache gestiegen", sagt Radmacher. Die Hauptursache sieht er darin, dass Fahrer mit ihrem Handy beschäftigt sind. Er verweist auf eine Studie, nach der jemand, der mit Tempo 50 unterwegs ist und aufs Handy starrt, pro Sekunde 14 Meter "im Blindflug" fährt.
Ablenkung im Straßenverkehr: Tippen, lesen – 2.230 Unfälle
Die Zahl der Auffahrunfälle ist drastisch (+ 35 Prozent) gestiegen: auf 13.365. Im Jahr davor waren es noch als 9.916. Hauptursache ist das Handy mit etwa 2.230 Unfällen. "Jeder sechste schreibt oder liest Textnachrichten auf seinem Smartphone", sagt Polizeivizepräsident Radmacher.Bei Kontrollen wurden insgesamt 15.364 Handyverstöße festgestellt, bei Schwerpunktaktionen im Schnitt 300 Handysünder am Tag. Die Hälfte der Autofahrer telefonierte mit Handy am Ohr statt mit Freisprechanlage. Aber auch Radfahrer können die Finger nicht vom Smartphone lassen: Fast 4.000 wurden beim Tippen oder Telefonieren während der Fahrt erwischt.
Die interessantesten Fälle und Statistiken der Münchner Unfallbilanz.
Toter Winkel
Ein Unfall, der ganz München erschütterte, hat sich am 20. Mai an der Corneliusbrücke ereignet. Ein Schüler (11) wurde auf dem Heimweg von der Schule von einem Laster überrollt. Der Fahrer hatte das Kind übersehen. Der Bub starb kurz nach dem Unfall im Krankenhaus.

Jeder siebte Unfall mit Radfahrern geschieht laut Polizei, weil ein Kraftfahrer beim Rechtsabbiegen den in gleicher Richtung fahrenden Radler übersehen hat. Aber auch Fußgänger werden nicht gesehen, wenn sie sich im sogenannten toten Winkel befinden. Um Münchens Kreuzungen sicherer zu machen, werden nun an Hunderten Kreuzungen Trixi-Spiegel aufgehängt, 100 hängen bereits. Radio Gong sammelte dafür Spenden.
Die Ermittlungen zu dem Unfall an der Corneliusbrücke haben mittlerweile ergeben, dass der Bub bei Rot über die Kreuzung radelte und dass der Lkw-Fahrer alkoholisiert war. Er hatte 0,6 Promille.
Radfahrer: 8 Tote
Die Zahl der Fahrradunfälle ist im vergangenen Jahr trotz des langen Sommers und insgesamt eher trockenen Wetters leicht zurückgegangen – auf 3.161 Unfälle. Das sind statistisch gesehen jedoch immer noch mehr als acht Unfälle – jeden Tag!
Insgesamt 2.845 Radfahrer wurden auf Münchens Straßen und im Landkreis im vergangenen Jahr verletzt, 330 von ihnen schwer. Sechs Radfahrer erlitten zum Teil massive Kopfverletzungen. Acht Radler wurden bei Unfällen getötet. Vier von ihnen waren älter als 80 Jahre.
Auffallend ist ein starker Anstieg bei den Pedelec-Unfällen: Im Jahr 2018 zählte die Polizei 86 solcher Unfälle, im vergangenen Jahr waren es mit 176 mehr als doppelt so viele. Etwa ein Drittel der Pedelec-Fahrer waren Senioren. In über der Hälfte der Fahrradunfälle (53,8 Prozent) waren die Radler laut Polizei selbst die Unfallverursacher.
Polizeivizepräsident Norbert Radmacher: "Einer Studie zufolge trägt nicht einmal jeder fünfte einen Helm. Ich rate jedem: Tragen Sie einen Helm, er rettet Leben!"
E-Scooter: 254 Fahrer müssen zum Depperltest
Über kaum ein anderes Verkehrsthema wurde im vergangenen Jahr so oft berichtet wie über die neuen E-Scooter. Seit 15. Juni sind die Roller mit Elektroantrieb zugelassen. Doch bis heute ist offenbar nicht allen Benutzern klar, dass es sich bei den Gefährten um kleine Kraftfahrzeuge handelt, für die dieselben Promillewerte gelten wie für Autos. Wer alkoholisiert herumfährt, riskiert seinen Führerschein.
254 Fahrer wurden mit mehr als 1,6 Promille erwischt. Sie verloren ihren Führerschein und müssen zur MPU (Medizinisch-Psychologische Untersuchung), im Volksmund Depperltest. Insgesamt zählte die Polizei 103 Unfälle mit Beteiligung von E-Scootern, 68 Menschen wurden dabei leicht verletzt, acht schwer. Bei 31 Unfällen standen die Fahrer unter Alkoholeinfluss.
Raserunfälle: 356 Verletzte, 1 Toter
Die Zahl der Raserunfälle ist im vergangenen Jahr auf 486 gestiegen. Dabei sind 356 Menschen in der Stadt und im Landkreis verletzt worden. Ein Motorradfahrer starb.
Der 31-Jährige fuhr Anfang Juli abends viel zu schnell über den Innsbrucker Ring. Als eine Autofahrerin von der Agip-Tankstelle vor ihm einbog, bremste der 31-Jährige so stark, dass er stürzte und gegen ein Auto prallte. Er starb im Krankenhaus.
Zu hohes Tempo ist ein Dauerthema bei den häufigsten Unfallursachen. Die Polizei kontrolliert deshalb viel und oft. Die Zahlen geben ihr recht: Sie erwischte fast 214.000 Temposünder. Der schnellste war am 3. November mit Tempo 148 auf dem Wintrichring unterwegs, erlaubt ist Tempo 60. Der BMW-Fahrer (51) musste 680 Euro Strafe zahlen, er bekam zwei Punkte in Flensburg und drei Monate Fahrverbot.
Als extrem gefährlich für Unbeteiligte erweisen sich auch immer wieder Autorennen auf öffentlichen Straßen. Seit 2017 gilt deshalb ein neues Gesetz. 25 Autofahrer zeigte die Polizei wegen illegaler Autorennen 2019 an.
Ein erschütternder Unfall, der nicht in der Unfallstatistik auftaucht, sondern von den Ermittlern als Mord gewertet wird, ist der Tod eines 14-Jährigen auf der Fürstenrieder Straße. Er wurde von einem 34-Jährigen überfahren, der auf der Flucht vor der Polizei in eine Gruppe Jugendlicher raste. Ein Jugendlicher wurde getötet, ein zweiter schwer verletzt.

Senioren: 11 Tote
Im vergangenen Jahr waren 4.159 Senioren in Unfälle verwickelt. 890 von ihnen wurden dabei verletzt, elf kamen ums Leben. Das bedeutet: Mehr als die Hälfte aller Todesopfer im Straßenverkehr waren ältere Münchner.
Alarmierend ist: In fast zwei Drittel dieser tödlichen Unfälle, haben die Senioren den Unfall selbst verursacht. Eine der häufigsten Unfallursachen war das Überqueren der Straße. Polizeivizepräsident Norbert Radmacher: "Erst letzte Woche ist ein Rentner im stockenden Verkehr vor einem Laster auf die Fahrbahn getreten und über- rollt worden."
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