Und wieder wird ein Filetstück der Münchner Küche abserviert

Ende des Jahres macht der Braunauer Hof an der Frauenstraße zu. Die Wirtsleute Rudi und Burgi Plabst sagen: „Mir mögn einfach nimmer.“ Hier der (verfrühte, aber sehr anrührende) Nachruf eines Stammgastes.
von  Karl Stankiewitz
Der Braunauer Hof, eine kulinarische Institution an der Frauenstraße, gleich beim Isartor – und bald passé.
Der Braunauer Hof, eine kulinarische Institution an der Frauenstraße, gleich beim Isartor – und bald passé. © Daniel von Loeper

München – Wo wird man künftig noch echte Stierbeutel essen können? Wo knorplige Kälberfüß oder Knöcherlsulz in langer Sitzung genüsslich abfieseln? Wo findet man auf der Speiskarte noch Gschwollne statt Wollwürste?

Wo wird man nun Brennsuppn oder gschmalzne Zwiebelsuppn löffeln können und Semmelknödel (laut Valentin: Semmelnknödeln) in dunkle Biersoß tunken, statt in schnell sättigende Rahmsoße?

Und wo bleiben all die Schmankerl, die Lüngerl, Nierndln, Herzerl, Haxerl, Brüsterl, Leiberl, Kiacherl, Reherl? Vielleicht noch in ein paar Lokalen rund um den Viktualienmarkt und im Tal. Aber sonst? Wieder wird ein Filetstück der Münchner Küche abserviert: Am 31. Dezember um 15 Uhr schließt der Braunauer Hof an der Frauenstraße 42.

 

"Ich weiß nicht, wie lange ich noch zu leben habe"

 

Wenn Stammgäste die bemalten Krügerl und die Krickerl der Gamsen schließlich vom Wandbord weg als Abschiedsgeschenke abgeräumt haben, dann wird die Traditions-Gastronomie dieser Stadt, die auch dem Franziskaner in der Perusastraße das Sterbeglöckerl läutet, abermals ein Stückl ärmer sein.

Der Verlust ist nicht nur ein kulinarischer; er betrifft die Münchner Wirtshauskultur schlechthin, die ja nicht nur aus altbayerischer Standardkost bestehen sollte, nicht nur aus Schweinsbraten, Leberkäs, der Weißwurst-Brotzeit mit viel Bier, welches eigentlich den Umsatz macht.

Und dieser Verlust ist keineswegs einer Angleichung der Pacht durch die Paulaner-Brauerei oder einer Mieterhöhung geschuldet. Etwaige Kalkulationen um den Bierkonsum, der durch den hier noch üblichen frisch angezapften „Schnitt“ und die kleine „Damenweiße“ durchaus etwas begrenzt schien, spielen ebenfalls keine Rolle.

Auch städtebauliche Zwänge oder, wie beim Franziskaner, gewinnorientierte Investoren-Wünsche haben die Wirtsleut’ Rudi und Burgi Plabst nicht zum Aufgeben gedrängt. Vielmehr erklärt es der Chef knapp Münchnerisch so: „Mir mögn einfach nimmer.“ Rudi Plabst ist kürzlich 72 geworden. „Und ich weiß nicht, wie lange ich noch zu leben habe“, sagt er.

Seit Jahrzehnten leitete er den Betrieb, nachdem er als Koch und Konditor im „Deutschen Kaiser“ gearbeitet hatte. Eine (nicht völlig erforschte) Tradition war fortzuführen. Den Namen „Braunauer Hof“ soll das im 19. Jahrhundert gebaute Haus bekommen haben, weil hier im Mittelalter die Fuhrleute übernachteten, die Salz aus Reichenhall über die Grenzstadt Braunau herbrachten und am Isartor nebenan den Zoll entrichten mussten, während ihre Pferde im Hinterhof versorgt wurden.

Die Mutter hat dem Rudi das Wirtshaus übergeben. Die hatte schon lange vor dem Krieg den Franziskanerkeller an der Hochstraße geführt, als Münchens jüngste Wirtin. Nach dem Krieg galt sie als Münchens älteste Wirtin.

 

Vom Bifflamott über Briesmilzwurst bis zu Zwetschgenbavesen

 

Noch im Alter von 93 Jahren, bis zu ihrem Tod, rollte die Toni mit ihrem Wagerl von Tisch zu Tisch, grüßte Bekannte und Unbekannte, schaute kritisch nach dem Rechten. Immer ganz Lady, mit Seidentüchl und goldenen Ohrringen. Hinter der Theke, sagte sie, sei ihre „Wohnstube“.

So lange wollten Burgi und Rudi, obwohl auch mit Leib und Seele bei der Sache, ihr entsagungsvolles Dienstgewerbe nun doch nicht ausüben.

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Auch die 35 Fremdenbetten haben sie schon längst aufgegeben und sich voll darauf konzentriert, die überlieferte Münchner Küche weiter zu pflegen oder einiges gewissermaßen nochmal aufzukochen von dem, was nur noch in vergilbten Kochbüchern steht. Vom Bifflamott (Boeuf à la mode) und der Briesmilzwurst bis zu den Zwetschgenbavesen.

Der Erfolg blieb nicht aus. Nachdem die Brauerei den allzu bescheidenen Laden für 3,5 Millionen Mark umbauen ließ, hatte er 300 Sitzplätze und 150 weitere im Biergarten, der mit seinen Kastanien, Wandfresken und grünen Pergolen bis heute als der schönste in der Altstadt gilt.

 

Gustl Bayrhammer speiste hier – und auch Johnny Cash

 

Nicht, dass die Familie Plabst auf Prominenz besonders geschielt hätte, fanden doch viele Gäste mit klingenden Namen die immer noch vergleichsweise kleine Gastwirtschaft und labten sich köstlich. Gern und oft kamen zum Beispiel der querköpfige Peter Gauweiler und der viel liberalere Polizeipräsident Manfred Schreiber. Es kamen so unterschiedliche Typen wie Gustl Bayrhammer und Rainer Werner Fassbinder.

Nach Konzerten oft speisten hier Künstler wie Helmut Zacharias, Karel Gott und Udo Jürgens; dem Country-King Johnny Cash schmeckte das Spanferkel auf Sauerkraut sehr. Vom Riegerblock nebenan kamen Jungredakteure eines Großverlags, auch wenn ihnen manchmal die Preise nicht schmeckten.

Ungefähr 80 Prozent seiner Gäste waren Stammgäste, schätzt der scheidende Wirt. Zu denen gehörte sein Kollege Richard Süßmeier, der stets mit Gefolge einrückte; für den abgedankten König der Münchner Wirte war der Braunauer Hof bis zuletzt eine Art Austragstüberl, „wenn i scho selber kein eigenes Lokal mehr hab“.

Dem romantischen München-Maler Ludwig Stöckl war sein hiesiger Stammtisch schier ein Zuhause. Immer deutlicher dominierte die Generation der Rentner – auch das Ausbleiben der Jugend mag die wirtliche Unlust beschleunigt haben.

 

Einen Nachfolger hat die Brauerei bereits erkoren

 

Vor sieben Jahren hat die Brauerei den Braunauer Hof verkauft; die Schörghuber-Gruppe brauchte gerade mal wieder Geld für ihr bis nach Kapstadt expandiertes Hotel-Imperium. Vertragsgemäß behielt sie jedoch die strategische Oberhoheit, auch wenn der Gastronomie-Betrieb inzwischen der Tanzschule Neubeck gehört.

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Ein großes Geschäft war es eh schon lange nicht mehr – vielleicht hat auch das obendrein zum Aufgeben beigetragen. „Beim Menü habe ich meistens draufgezahlt“, behauptet Plabst. Kein Wunder, wenn er zwei schön durchwachsene Fetzen vom Ochs mit Wirsing und Gröstl plus Suppe montags immer für 7,50 Euro feilbot.

Einen Nachfolger hat die Brauerei längst erkoren. Es ist der Wirt des Restaurants „Franz Josef“, das früher „Löwe und Raute“ hieß. Dieses befindet sich im früheren Hauptquartier der CSU, das bald abgerissen und als lukratives Eigentumswohnhaus neu erstehen soll.

 

Bald soll „verschönert und modernisiert“ werden

 

Der künftige Braunau-Betreiber, ein Kroate, hat jedenfalls schon mal versichert, auch in Zukunft eine „bayerische Küche“ anbieten zu wollen. Ihm wiederum bot Rudi Plabst dafür Rat und Hilfe an.

Der Wirt, der nicht mehr mag, hat aber aus der obersten Etage der Brauerei-Verwaltung vernommen, dass man sein gutes, altes Wirtshaus „verschönern und modernisieren“ wolle, was „geschlossen“ für mindestens zwei Monate bedeute.

Unter den 18 Mitarbeitern herrscht eher Skepsis; bisher weiß keiner, ob man weiter mitmachen darf und will. Gäste wurden gar nicht erst befragt. Ihnen sollen im Januar auf einem Flohmarkt die übrigen Einrichtungsstücke der verlorenen Traditions-Gaststätte angeboten werden.

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