Ursachensuche im Münchner S-Bahn-Unglück: Bahnpersonal im Visier

Menschliches Versagen gilt bei der S-Bahn-Kollision bei Schäftlarn als wahrscheinliche Unfallursache. Der Innenminister schließt einen technischen Defekt an der Strecke aus.
Ralph Hub
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Ein Drehgestell eines der S-Bahnzüge ist von der Wucht des Aufprallsherausgerissen worden.
Ein Drehgestell eines der S-Bahnzüge ist von der Wucht des Aufprallsherausgerissen worden. © picture alliance/dpa

Schäftlarn/München - Möglicherweise hat einer der beiden Lokführer ein Haltesignal überfahren und so das schwere S-Bahnunglück ausgelöst. Experten der Eisenbahnunfalluntersuchung (EBU) haben am Dienstag die Unfallstelle in der Nähe des Bahnhofs Ebenhausen-Schäftlarn untersucht. Eine Drohne kreiste über dem Gelände. "Erste Zeugen wurden vernommen", sagte Wolfgang Hauner, Pressesprecher der Bundespolizei, der AZ.

Die beiden Lokführer sollen, sobald es ihr Gesundheitszustand zulässt, von der Polizei befragt werden. Beide wurden bei der Kollision schwer verletzt und liegen weiterhin im Krankenhaus.

Ursache des S-Bahn-Unfalls in Schäftlarn: Liegt menschliches Versagen vor?

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte am Dienstag vor Journalisten im Landtag, die Ermittlungen konzentrierten sich auf die Frage, ob menschliches Versagen vorliegt. "Nach gegenwärtigem Stand gibt es keine Hinweise darauf, dass es um technisches Versagen geht", so der Innenminister. Im Vordergrund stehe, "dass einer der beiden Triebwagenführer, der Lokführer, einen Fehler gemacht haben könnte". Es müsse aber auch hinterfragt werden, so Herrmann weiter, ob die installierte Technik ausreiche. Der Innenminister betonte, er wolle den Ermittlungen aber nicht vorgreifen.

Joachim Herrmann (CSU).
Joachim Herrmann (CSU). © picture alliance/dpa

Die Polizei hat die Fahrtenschreiber beider S-Bahnen sichergestellt. "Die aufgezeichneten Daten der induktiven Zugsicherung wurden ausgelesen und gesichert", sagte Wolfgang Hauner, Sprecher der Bundespolizei. Die Züge verfügen über eigene Aufzeichnungssysteme.

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Augenzeugen berichteten von einem seltsamen Fahrverhalten

Auch die Kommunikation zwischen dem Fahrdienstleiter im Stellwerk im Bahnhof Wolfratshausen und den Lokführen ist gespeichert und wird ausgewertet. Ermittler haben zudem den Arbeitsplatz des Fahrdienstleiters im Stellwerk fotografiert, sowie alle schriftlichen Unterlagen und elektronischen Aufzeichnungen sichergestellt.

Die zentrale Frage ist, warum beide Züge gleichzeitig auf der eingleisigen Strecke fuhren. Augenzeugen berichteten von einem seltsamen Fahrverhalten der S-Bahn, die aus München in Richtung Wolfratshausen unterwegs war. Laut Bundespolizei war sie mit zehn Minuten Verspätung im Bahnhof Hohenschäftlarn losgefahren. Laut Fahrgästen habe sie in einer Kurve vor dem Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn angehalten. Der Grund dafür ist unbekannt.

Eine beschädigte S-Bahn, links ein Einsatzfahrzeug des THW.
Eine beschädigte S-Bahn, links ein Einsatzfahrzeug des THW. © picture alliance/dpa

Auf der Strecke hatte es am Montag tagsüber schon Störungen an Bahnübergängen gegeben. In solchen Fällen werden die Signale neutralisiert, die Lokführer erhalten Anweisungen vom Fahrdienstleiter und fahren "auf Befehl". Eventuell kam es hierbei zu Missverständnissen.

S-Bahn-Unfall trotz speziellem Sicherheitssystem

Auf der Strecke ist ein spezielles Sicherheitssystem installiert - die "Punktförmige Zugbeeinflussung", kurz PZB. Am Gleis sowie an den Zügen sind magnetische Sensoren angebracht. Sie registrieren, wenn ein Haltesignal überfahren wird, in dem Fall wird automatisch eine Bremsung eingeleitet. Außerdem überwacht das System nach Bahninformationen alle Punkte, an denen Züge ihre Geschwindigkeit um mehr als 20 Prozent drosseln müssen, zum Beispiel vor engen Kurven. Sind die Waggons zu schnell, werden sie gebremst.

Fährt ein Zug in einen Abschnitt ein, der nicht freigegeben ist, schlagen die Sensoren Alarm, die Technik wird automatisch aktiv. Der Zug wird gebremst. Das System funktioniert ähnlich wie eine Baustellenampel im Straßenverkehr. Ein eingleisiger Streckenabschnitt darf abwechselnd nur in jeweils in eine Richtung befahren werden. Entgegenkommende Züge müssen in einem Bahnhof warten, bis der Abschnitt frei ist. Dann bekomme der Lokführer vom Fahrdienstleiter das Fahrsignal.

Der Unglücksabschnitt verfügt über das Sicherungssystem PZB. Aus Ermittlungskreisen war zu hören, das System habe in der Unfallsituation angeschlagen und mindestens einen Zug gebremst. Wie es dennoch zu der Kollision kommen konnte, ist ein Rätsel. Sollte die Technik funktioniert haben, hätte einer der beiden Lokführer demnach ein rotes Signal überfahren müssen, sagte ein Polizeisprecher. Am Donnerstag sollen weitere Details zu den Untersuchungen bekanntgegeben werden. Wann die Strecke wieder freigegeben werden kann, ist unklar.

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  • Der wahre tscharlie am 16.02.2022 16:05 Uhr / Bewertung:

    "Nach gegenwärtigem Stand gibt es keine Hinweise darauf, dass es um technisches Versagen geht", so der Innenminister.

    Und weiter im Artikel:
    "Auf der Strecke ist ein spezielles Sicherheitssystem installiert - die "Punktförmige Zugbeeinflussung", kurz PZB. .....Sie registrieren, wenn ein Haltesignal überfahren wird, in dem Fall wird automatisch eine Bremsung eingeleitet.....Fährt ein Zug in einen Abschnitt ein, der nicht freigegeben ist, schlagen die Sensoren Alarm, die Technik wird automatisch aktiv. Der Zug wird gebremst."

    Welche Schlußfolgerung ziehe ich aus diesen Aussagen? Nachdem die Züge TROTZ PZB zusammengestoßen sind, ist es in meinen Augen ein technischer Defekt und kein menschlicher.

    Irgendwie erinnert mich die Argumentation an Bad Aibling.......

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