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S-Bahn-Unglück in Schäftlarn: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Lokführer

Drei Tage nach dem schrecklichen S-Bahn-Unfall bei Schäftlarn hat die Bergung der S-Bahn-Züge begonnen. Polizei und Staatsanwaltschaften haben indes über den aktuellen Ermittlungsstand informiert.
Michael Schleicher,
Ralph Hub
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Am Donnerstag begann die Bergung der S-Bahnen.
Am Donnerstag begann die Bergung der S-Bahnen. © Matthias Balk/dpa

Schäftlarn - Menschliches Versagen, oder ein technischer Fehler? Das ist die zentrale Frage, um die sich die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft drehen. Im Mittelpunkt steht ein Lokführer (54) aus dem Kreis Fürstenfeldbruck. Er war im Unglückszug von Wolfratshausen Richtung München unterwegs. 

"Das Signal zeigte Rot"

"Nach derzeitigem Stand hat er im Bahnhof Schäftlarn-Ebenhausen vermutlich ein Haltesignal überfahren", sagte Oberstaatsanwältin Anne Leiding gestern im Polizeipräsidium. "Das Signal zeigte Rot", so Steffen Küpper, Chef der Verkehrspolizei. Der Mann gilt inzwischen als Beschuldigter.

Sein Anwalt teilte den Ermittlern mit, dass sein Mandant derzeit keine Angaben machen wolle. Die Wohnung des Lokführers wurde noch in der Unfallnacht von der Polizei durchsucht. Man habe sich ein Bild von seiner Person machen wollen, heißt es aus Ermittlerkreisen.

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Keine Hinweise auf einen Suizid oder Anschlag

Es sei darum gegangen, abzuklären, ob es sich um einen Anschlag oder um einen Suizid handeln könnte. Nach AZ-Informationen wurde in der Wohnung aber nichts gefunden, was auf einen Anschlag oder einen Suizid hinweist. Der beschuldigte Lokführer, der die S7 nach München gesteuert hatte, hätte im Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn auf den Gegenzug warten müssen. Sein 21-jähriger Kollege in der zweiten S7 hatte bereits ein Haltesignal und bremste.

Auch bei der S-Bahn des 54-Jährigen wurde eine Schnellbremsung eingeleitet. Doch der Abstand zwischen beiden Zügen reichte nicht mehr aus. Der jüngere Lokführer soll Sekunden vor der Kollision per Funk gerufen haben „Schei.., da kommt ein Zug“, dann sprang er nach hinten in den Passagierbereich.

Menschliches oder technisches Versagen?

Oberstaatsanwältin Leiding betont, es sei noch zu früh, zu sagen, ob das Unglück durch menschliches oder technisches Versagen verursacht worden ist. „Menschliches Versagen ist nicht gleichzusetzen mit vorsätzlichem Handeln, da gibt es einen großen Unterschied in rechtlicher Hinsicht“, so die Oberstaatsanwältin.

Neben fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung komme auch die Gefährdung des Bahnverkehrs als Straftatbestand in Betracht. Bei beiden Lokführern wurden noch in der Unfallnacht Blutproben genommen und auf Alkohol untersucht. Beide Ergebnisse waren unauffällig. Beide Männer liegen weiter im Krankenhaus.

Die Ergebnisse der Alkoholtests

Auch die Fahrdienstleiter in den Stellwerken in Höllriegelskreuth und Wolfratshausen haben einen Alkoholtest gemacht. Ergebnis: ebenfalls 0,0 Promille. Die Fahrtenschreiber der beiden Züge sowie die komplette Sprachkommunikation sind sichergestellt und werden ausgewertet. Die Datenmenge sei enorm.

Die Ermittler müssen minuziös die technischen und organisatorischen Abläufe rekonstruieren, sowie die Kommunikation zwischen Fahrdienstleitern und Lokführern – alles, was am Ende zum Zusammenstoß der S-Bahnen geführt hat. Die Polizei hat eine Ermittlungsgruppe „S-Bahn“ mit acht Mitarbeitern gebildet.

Keine Antwort gibt es bisher auf die Frage, ob das auf der Strecke installierte automatische Sicherungssystem PZB, das den Zugverkehr überwacht und Züge im Notfall automatisch bremsen kann, gegriffen hat. Das System kann manuell unterdrückt werden.

Oberstaatsanwältin Anne Leiding, der Leiter der Verkehrspolizei des Polizeipräsidiums München, Steffen Küpper (m.), und Pressesprecher Andreas Franken bei der Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft.
Oberstaatsanwältin Anne Leiding, der Leiter der Verkehrspolizei des Polizeipräsidiums München, Steffen Küpper (m.), und Pressesprecher Andreas Franken bei der Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft. © Felix Hörhager/dpa

Das war passiert

Am Montagnachmittag waren die beiden S-Bahnen bei Ebenhausen-Schäftlarn auf eingleisiger Strecke zusammengestoßen. Ein 24-jähriger Fahrgast kam dabei ums Leben, 18 Personen kamen zur weiteren Behandlung ins Krankenhaus. Sechs davon wurden laut Küpper schwer verletzt – darunter auch die beiden Lokführer.

Rund 25 weitere Personen erlitten leichte bis mittelschwere Verletzungen. Insgesamt waren jeweils rund 60 Fahrgäste in den beiden Zügen. In Summe waren im Rahmen des Unglücks rund 800 Einsatzkräfte vor Ort – neben Beamten der Münchner und Bundespolizei unter anderem auch Rettungskräfte sowie Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks (THW).

S-Bahn-Unglück: Bergung der Züge hat begonnen

Indes hat die Deutsche Bahn (DB) bereits am Donnerstagvormittag mit der Bergung der Züge begonnen. Eine Spezialfirma rückte am Morgen mit einem Kran an, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk unterstützen die Aktion. 

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Eine Diesellok brachte einen Gerätezug mit Spezialwerkzeugen. Zur Vorbereitung war bereits am Vortag der Fahrdraht der Oberleitung auf einer Länge von mehreren Hundert Metern abgebaut worden. Wie lange die Arbeiten dauern werden, sei noch offen, sagte ein Bahnsprecher. Steffen Küpper zufolge sei "in den nächsten Tagen" wieder mit einem Freigeben der Strecke zu rechnen.

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46 Kommentare
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  • mvms am 17.02.2022 18:34 Uhr / Bewertung:

    Warum glauben wir eigentlich, immer und alles mit Technik lösen zu können?
    Eine einfache, wirksame und analoge Sicherungstechnik einer eingleisigen Bahnstrecke ist der 'token'.
    To take, took, taken - wer den 'token' genommen hat, bekommt das Wegerecht, den Streckenabschnitt zu befahren.
    Die Zugführenden und Fahrdienstleitenden tragen die Last und Verantwortung eines desolaten, kaputten, maroden Eisenbahnsystems - deren Zustand die asphalt-schwarze Verkehrspolitik der Bundesrepublik und des Freistaates zu verantworten hat (mit neuen, gelben Fahrstreifenmarkierungen).
    Baut die Gleise ab, legt die Eisenbahn still, verschrottet die Züge: das spart Steuergeld und schafft Platz für neue Autostraßen.
    Schon bald erhalten autonom-elektrische Fahrzeuge die Straßenzulassung: keine Emissionen, keine Unfälle, keine Staus.

  • Exxperte am 17.02.2022 18:31 Uhr / Bewertung:

    Korrekt! Einen Durchsuchungsbeschluss kann nur ein Richter erlassen, außer es ist Gefahr im Verzug, dann kann es die Staatsanwaltschaft anordnen oder bei unmittelbarer Gefahr auch die Polizei selbst. Hier liegt aber offenbar eine Zustimmung der beiden Lokführer vor.

  • Der wahre tscharlie am 18.02.2022 14:31 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Exxperte

    Nicht überall wo Exxperte drauf steht, ist auch ein Experte drin.

    Das einzig Richtige an dem Kommentar ist der erste Halbsatz mit dem Richter.
    "Gefahr in Verzug" ist ein Begriff aus dem PAG.
    Den Durchsuchungsbeschluß hat die Staatsanwaltschaft I beantragt, Staatsanwaltschaft I deshalb, weil der Unfall auf dem Hoheitsgebiet Münchens geschah, und auch deshalb, weil es auch einen Toten gab.
    Und als Beschuldigter muß ich einem Durchsuchungsbeschluß nicht zustimmen.
    Steht die Polizei mit einem Durchsuchungsbeschluß vor meiner Haustüre, werden sie den durchsetzen, ob es mir passt oder nicht.

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