Naturschützer entsetzt: Linden-Kahlschlag am Starnberger See

Starnberg - Abgesägte Stümpfe sind am Straßenrand übrig. Die Stämme lassen erahnen, welche prachtvollen Linden hier vorher in den Himmel ragten. Sie sollen mindestens 100 Jahre alt gewesen sein.
Jetzt ist es dort "nackert", sagt Helmut Hermann am Donnerstag zur AZ. Er ist der Vorsitzende des Bund Naturschutzes der Kreisgruppe Weilheim-Schongau. Über die Hälfte dieser Lindenallee zwischen Seeseiten (Gemeinde Seeshaupt) und dem Schloss Seeseiten am Starnberger See ist in den vergangenen Wochen gefällt worden. Insgesamt 18 Bäume. Zwölf sind übrig.
Gefällte Bäume in Starnberg: Schlecht für Insekten?
Naturschützer sind empört – gerade weil seit dem Volksbegehren "Rettet die Bienen" der Schutz der Artenvielfalt in aller Munde ist und etwa demonstrativ "Bienen-Highways" geschaffen werden. Diese Lindenallee ist aus Sicht der Naturschützer solch ein Paradies für Insekten. Gewesen.
Hermann vom Bund Naturschutz erklärt auch, warum: "Die Linde blüht sehr spät. Im Juli – also wenn alle anderen Bäume schon abgeblüht haben. Das ist für Insekten fantastisch." Noch dazu gebe es ganz in der Nähe den auf der Rote Liste stehenden Käfer Eremit (bekannt von: Stuttgart 21).
Forstsachverständiger empfiehlt Fällung der Allee
Warum aber mussten nun diese Linden weichen? Im Dezember sei ein Stämmling auf die Straße gefallen. So schildert es Christina Voormann vom Bündnis "Bernrieder Vorsprung". Es kümmert sich darum, dass sehr alte Bäume und deren Ökosysteme geschützt und erhalten werden.
Seeshaupts Bürgermeister Michael Bernwieser beschreibt den Vorfall so: "Das war der halbe Baum. Das war schon gefährlich."
Es stellte sich also die Frage: Ist die Allee noch sicher? Könnte es für Menschen gefährlich werden? Ein Forstsachverständiger wurde von den Eigentümern der Allee beauftragt. Das ist zum einen die Gemeinde Seeshaupt, wie Bernwieser der AZ bestätigt. Und zum anderen die Familie des Milliardärs August von Finck junior. Die "Empfehlung" des gemeinsamen Sachverständigen lautete schließlich: Die gesamte Allee solle weg. "Da ist es mir kalt den Buckel runtergelaufen, weil es schade um die Allee ist", sagt Bürgermeister Bernwieser weiter. "Aber es ist eine öffentliche Straße – die muss man absichern."
"Familie Finck ist sich der Verantwortung und Verpflichtung bewusst"
Die Naturschützer organisieren wiederum selbst Sachverständige, darunter Erk Brudi von Tree Consult Brudi und Partner. Brudi widerspricht der Einschätzung des offiziellen Sachverständigen: "Es gab keinen akut gefährlichen Baum dort. Nicht einen." Über zwei hätte man reden können, ob man sie demnächst austauscht. Aber: "Die hatten einen Schnupfen, nicht mal eine Grippe." Für ihn ist die Fällung ein "brutales Mittel".
Zunächst genehmigt die Untere Naturschutzbehörde des Landratsamtes Weilheim-Schongau dann doch nur die Fällung von deutlich weniger Bäume und nicht von der ganzen Allee. Doch der Eigentümer legt ein Klageverfahren ein. Nach weiteren Terminen vor Ort und der Aussage eines Baumpflegers, er wolle die Gewährleistungsgarantie für die Bäume nicht übernehmen, fällt in kurzer Zeit die Entscheidung gegen weitere Linden. Am Ende sind 18 Bäume weg.
Dass die Entscheidung und auch das Tempo irgendetwas mit dem Einfluss von Milliardär Finck zu tun haben könnte, weist Bürgermeister Bernwieser vehement und zu "1.000 Prozent" zurück. Es sei um die Sicherheit gegangen. "Die Familie Finck ist sich der Verantwortung und Verpflichtung durch ihren Besitz bewusst", sagt er der AZ.
Unverständnis bei Naturschützern
Das Landratsamt Weilheim-Schongau teilt gestern auf AZ-Anfrage mit: "Die Bäume mussten aus Gründen der Verkehrssicherheitspflicht gefällt werden." Eine zuvor durchgeführte Bestandserfassung sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die "Fällungen mit dem Artenschutz vereinbar sind und dabei auch keine artenschutzrechtliche Verbotstatbestände erfüllt werden."
Bei den Naturschützern bleibt Unverständnis für das Vorgehen. Der Sachverständige Brudi sagt: "Dass das von den Behörden genehmigt wird und auch noch in der Zeit des Vogelschutzes – man hätte noch genügend Zeit zum Nachdenken gehabt." Er merkt an: "Söder will das Volksbegehren schnell umsetzen und dadurch werden Alleen geschützt. Dann wäre das nicht mehr so einfach gegangen."
Voormann ist überzeugt: Man hätte die Linden mit geringem Aufwand wieder verkehrssicher machen können. "Lindenblüten sind besonders beliebt bei Bienen und Insekten. Ein solcher Baum allein ist ein Bienen-Highway. Das ist so kontraproduktiv zu all dem, was gerade betrieben wird."
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