Geretsried: Die letzte Chance für Sieber-Wurst

Ein Listerienfund ruiniert die Wurstfirma Sieber. Kommt keine Rettung, müssen die Mitarbeiter am Freitag gehen. Die Behörden hätten das vermeiden können, kritisiert der Insolvenzverwalter.
Sophie Anfang |
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Das Werksgelände der Firma Sieber in Geretsried. Hier darf wieder produziert werden, doch das Geld fehlt.
dpa Das Werksgelände der Firma Sieber in Geretsried. Hier darf wieder produziert werden, doch das Geld fehlt.

München/Wolfratshausen - Eine etwas befremdliche Plastik steht im Warteraum von Josef Hingerl. Sie zeigt eine Frauenfigur in Miniatur, die kopfüber über dem Fegefeuer hängt. Am Rand steht ein Priester mit ausgebreiteten Händen. Das Kunstwerk trägt einen lateinischen Namen, den man mit „Erlösung“ übersetzen könnte.

Freilich, die Absolution zu geben, steht Hingerl, dem Insolvenzverwalter, schon wegen seines Berufs nicht zu. Die Aufgabe des Rechtsanwalts ist es, Sieber zu retten, jenen Wurstproduzenten aus Geretsried, der wegen Listerien Insolvenz anmelden musste. Und doch ist es, wenn schon keine Absolution, zumindest eindeutig Entlastendes, was der 68-Jährige über Sieber sagt: „Ich sehe nicht, dass in dieser Firma irgendwelche Fehler gemacht worden sind.“

Fehler, die sieht Hingerl vielmehr bei den Behörden. Und ein Unvermögen, diese einzugestehen. Weil das Verbraucherschutzministerium im Mai den ganzen Betrieb mit einem Produktionsverbot belegt hatte, musste der damalige Chef Dietmar Schach wenige Tage später Insolvenz anmelden. Das Insolvenzgeld ist inzwischen aufgebraucht. Wenn nicht von irgendwoher eine Finanzspritze kommen sollte, muss Hingerl den verbleibenden 50 Mitarbeitern zum Freitag kündigen.

"Die ganze Branche ist stark verunsichert"

Eine Million Euro Startkapital und zwei Millionen Euro Bürgschaft fordert Hingerl vom Freistaat, um die Produktionsbänder wieder anlaufen zu lassen. Die Erlaubnis dafür hat er seit Mitte August. Das Geld nicht. Interessierte Investoren gebe es zwar, aber es sei schwierig. „Die ganze Branche ist stark verunsichert.“ Die Privaten zögern – der Freistaat indes sieht sich nicht in der Pflicht.

Hingerl bereitet inzwischen eine Zehn-Millionen-Euro-Klage gegen den Freistaat vor. Er ist sicher, sie zu gewinnen. Zu viel ist nach Ansicht des Wolfratshausener Anwalts schiefgelaufen bei den Behörden, die, so Hingerl, durch Bayern-Ei und Müller-Brot aufgeschreckt gewesen seien. Unstreitig ist: Im März wurden auf einem Sieber-Wacholderwammerl Listerien gefunden, die den erlaubten Grenzwert überschritten. Diese wurden zurückgenommen. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit“ so das Robert-Koch-Institut, war der auf dem Wammerl gefundene Keim-Stamm für 80 Erkrankungen seit 2012 verantwortlich.

Hingerl bezweifelt das nicht. Das Problem, sagt er, liege woanders. „Man tut so, als würde man bei Sieber einen bestimmten Stamm orten und dann ist das Problem weg.“ Listerien findet man überall in der Umwelt. „Davon geht der Gesetzgeber aus.“ Nur bei der Produktion müssen sie abgetötet werden. Weil Listerien sich aber selbst in Vakuumverpackungen vermehren dürfen, dürfen sich bis Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums Listerien in Produkten entwickeln – bis zu einem bestimmten Grenzwert. Dieser sei nur bei einer Sieber-Probe überschritten worden, sagt Hingerl: dem Wacholderwammerl. „Und das war abgearbeitet.“ Mit Sieber sei eine Firma geschlossen worden, bei der im Anschluss nichts gefunden worden sei. „Die Reaktion war richtig, erforderlich, geeignet und auch angemessen“, heißt es vom Landratsamt.

Man hätte weiterproduzieren können, so Hingerl

Das Zweite, so Hingerl, sei die nachpasteurisierte Ware. Wurst und Fleisch, das noch ein zweites Mal in der Verpackung erhitzt wird. Sie sind in jedem Fall Listerien-frei. Sieber hätte zur Hälfte solche Ware hergestellt, sagt die Firma. Das Landratsamt sagt, ihre Kontrolleure hätten das weder festgestellt, noch hätte Sieber darauf hingewiesen. Es steht Aussage gegen Aussage. 120 Tonnen nachpasteurisierte Ware wurden letztendlich vernichtet, weil Sieber auch diese nicht vertreiben durfte. „Man hätte weiterproduzieren können. Und Sieber hätte überleben können.“ Hat Sieber aber nicht. Ein externer Gutachter hat die Produktionsbedingungen überprüft. Die Anlage wurde umgebaut. Um die nachpasteurisierte Ware zu produzieren, wäre das gar nicht nötig gewesen, sagt Hingerl. Jetzt kann er wieder alles produzieren, aber Sieber ist am Boden. Glaubt man der Firma, weil die Behörden versagt haben. Glaubt man den Behörden, weil es um das Wohl der Bürger ging. Sicher ist: Nur um Wurst geht es schon lange nicht mehr.

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