Tumulte und Tränen im Waffenverkäufer-Prozess
Für die Angehörigen der Mordopfer vom OEZ läuft der Prozess gegen den Waffenverkäufer Philipp K. (32) völlig anders als erwartet. Sie sind enttäuscht, dass in ihren Augen die Tat und deren Hintergründe nicht vollständig aufgeklärt werden. Die Hinterbliebenen fühlen sich nicht ernst genommen. Dies wurde am Freitag deutlicher denn je.
Die Atmosphäre im Saal B 175 im Strafjustizzentrum ist emotional äußerst aufgeheizt. Es ist der 16. Tag im Prozess gegen den Marburger Philipp K. – dem Mann, der David S. die Glock 17 verkaufte. Mit der halb automatischen Waffe erschoss David S. am 22. Juli 2016 acht Jugendliche aus Einwandererfamilien und eine türkische Mutter (46) – weil sie südosteuropäisch aussahen. Der Saal ist zu klein für den starken Andrang. An diesem Freitag sind wieder viele Angehörige und Freunde der Opfer gekommen. Darunter die Großmutter von Selcuk (†15): "Ich bin schon seit viertel nach sieben hier", sagt sie zur AZ.
Etwa 40 andere Frauen und Männer, die den Prozess verfolgen wollen, finden keinen Platz mehr. Sie müssen wieder gehen. Schon im Flur kommt es zu Tumulten.
Gerichtssaal platzt aus allen Nähten
Alle 60 Plätze für Zuhörer und Medienvertreter sind besetzt. Auch ein Migrationsbeirat der Stadt München und ein Vertreter des Vereins before, der sich um Opfer rechter und rassistischer Gewalt kümmert, sind im Saal.
Erneut lehnt Rechtsanwalt Yavuz Narin, der mittlerweile acht Angehörige vertritt, das Gericht ab. Den Hinweis, dass Philipp K. auch wegen Beihilfe zum neunfachen Mord verurteilt werden kann, hat der Vorsitzende Richter Frank Zimmer nach wie vor nicht erteilt. Ein anderer Vorwurf: Das Gericht hat sich nicht geäußert, ob es Absprachen zwischen den Verteidigern von Philipp K. und der Staatsanwaltschaft und anderen Behörden gab.
Nach der Rede des Anwalts klatschen Zuhörer und rufen Kommentare. Der Richter rügt: "Wir sind hier nicht im Theater oder in der Wirtschaft!"
Es wird noch emotionaler. Sibel Leyla, die Mutter von Can (†14), bittet darum, sprechen zu dürfen. Ihre Worte werden zur Anklage – gegen Philipp K., aber auch gegen das Gericht.
Mutter betitelt Richter als "unseriös"
Sie bezeichnet die Richter als "unseriös". Obwohl Philipp K. eine härtere Strafe bekommen sollte, "versucht dieses System alles, damit er eine Mindeststrafe bekommt!" Dafür werde "mit aller Kraft gearbeitet!", meint die Mutter.
„Ich werde ihn bestrafen, falls Sie ihn nicht bestrafen“, sagte sie auf Türkisch zum Richter. Dann springt sie auf, zeigt auf den Angeklagten und ruft aufgewühlt auf Deutsch: "Dieser Mörder wird nicht so leicht davonkommen!" Sie wendet sich nun direkt an Philipp K.: "Ich bringe dich eigenhändig um!"
Danach verlässt sie, von ihrem Ehemann gestützt, schluchzend den Saal. Auch andere Frauen weinen. Nur Philipp K. zeigt – wie gewohnt – keine Gefühle.
Die Staatsanwaltschaft wird wegen der Drohung keine Ermittlungen einleiten. Sprecherin Anne Leiding zur AZ: "Uns ist allen klar, dass die Mutter in einer emotionalen Ausnahmesituation ist."
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