Toth-Anwalt Peter Witting: Die Haft hat ihn hart gemacht

München/Straubing - Es ist das 13. Weihnachtsfest, das Benedikt "Bence" Toth (44) hinter Gittern verbringt – verurteilt für eine Tat, über die er sagt, dass er sie nicht begangen hat: den Mord an seiner Tante, der reichen Parkhaus-Erbin Charlotte Böhringer. Sie wurde im Mai 2006 in ihrem Münchner Penthouse mit 24 Schlägen brutal getötet.
Weihnachten in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Straubing. Das bedeutet Würstel und Kartoffelsalat an Heiligabend – und dass sich die Zellentüren schon um 16.30 Uhr hinter den Gefangenen schließen, eine Stunde früher als gewöhnlich. Ein kleiner Lichtblick in dieser einsamen Zeit: An einem der Feiertage soll es Haxn zu essen geben, zumindest erzählen sich die Häftlinge das untereinander.
Was sich Toth zu Weihnachten wünscht? Er wolle über etwas Schönes staunen, sagt der Mann, den die einen für einen eiskalten Mörder halten – und die anderen für unschuldig.
Die AZ hat mit Toths Verteidiger Peter Witting über den Fall, das Verfahren und seinen Mandanten gesprochen.
AZ: Herr Witting, Sie haben im Februar zum zweiten Mal einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt. Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung, ob es einen neuen Prozess gibt – was auch bedeuten würde, dass Ihr Mandant frei kommt?
PETER WITTING: Schwer zu sagen. Es entscheidet wieder das Landgericht Augsburg und das hat beim letzten Mal mehr als zwei Jahre gebraucht. Allerdings hat unser Antrag diesmal weniger Seiten. Vielleicht geht es dadurch schneller. Allerdings sind einige Hürden bis hin zur Wiederaufnahme eines Verfahrens zu meistern. Und die Staatsanwaltschaft Augsburg hat – wie schon beim ersten Anlauf – die Zurückweisung unseres Gesuchs beantragt.
Sehen Sie dennoch Chancen?
Ja. Ich bin davon überzeugt, dass wir Erfolg haben werden.
Wittig: "Ich hatte Toth geraten zu schweigen"
Was macht Sie so sicher?
Wir konzentrieren uns in diesem Wiederaufnahmeantrag auf zwei Indizien, die im Prozess als "wesentlich" eingestuft wurden: eine DNA-Spur, die auf dem Sakko der Ermordeten sichergestellt wurde und eine weitere, die auf einem Testament Charlotte Böhringers gefunden wurde. Beide wurden Benedikt Toth zugeschrieben – und das ist nicht haltbar. Wir haben ein Experten-Gutachten vorgelegt, das zeigt, dass grundsätzlich auch andere mit dem Opfer verwandte Verursacher für die besagten DNA-Spuren infrage kommen können: also Vater, Mutter oder Bruder. Genau das Gegenteil war im Urteil behauptet worden. Bei der Sakko-Spur kommt noch etwas hinzu.
Was genau?
Angeblich wurde sie mit einem blutigen Handschuh verursacht, an dem die DNA des Verurteilten gewesen sein soll. Der zuständige Beamte hat mehrmals ausgesagt, dass er bei der Spurensicherung sowohl blutiges als auch unblutiges Gewebe mit ein und demselben Klebestreifen abgeklebt hat – wo genau sich die DNA-Spur befand, ist also völlig unklar. Jetzt widerlegt zudem ein Sachverständiger, dass es sich überhaupt um den Abdruck eines Handschuhs handelt. Was dafür gehalten wurde, ist in Wirklichkeit die unterschiedlich stark von Blut durchtränkte Struktur des Sakko-Stoffes. Damit ist diesem konstruierten Indiz aus belastbarer wissenschaftlicher Sicht endgültig der Boden entzogen – zumal Spuren von Benedikt Toth schon viel früher auf die Kleidung der Toten übertragen worden sein können. Es gab ja durchgängig Kontakt zwischen den beiden.
Benedikt Toth hat im Prozess geschwiegen. Das ist sein gutes Recht. Trotzdem wäre es vielleicht besser gewesen, er hätte versucht, das Gericht von seiner Unschuld zu überzeugen. Wie sehen Sie das heute?
Dazu hatte ich ihm geraten. Anlass war die Zeugenvernehmung vom 18. Mai, die einen folgenschweren Verlauf genommen hat.
Wittig: "Für Benedikt Toth war ein Deal nie ein Thema"
Inwiefern?
Schon als ich ins Präsidium kam, hat der damalige Chef der Mordkommission, Josef Wilfling, zu mir gesagt: "Unter uns Pfarrerstöchtern, von Ihnen lasse ich mir nicht in die Suppe spucken." Da war mir klar: Es ist unglaublich Druck im Kessel. Trotzdem habe ich nicht widersprochen und bin gegangen, als Benedikt Toth sagte, er mache das hier alleine zu Ende, er habe ja nichts zu verbergen. Keine drei Stunden später wurde er festgenommen, weil er sich angeblich in Widersprüche verwickelt hatte.
Während des Verfahrens wurde Ihrem Mandanten ein "Deal" angeboten: eine Verurteilung wegen Totschlags – gegen ein Geständnis. Hätte er zugestimmt, wäre er heute frei. Bereut er, dass er sich darauf nicht eingelassen hat?
Von einem Deal kann man nicht sprechen. Aber der Staatsanwalt hat damals Andeutungen gemacht: Mit einer Affekttat hätte man auf Totschlag kommen können mit dem Ergebnis einer zeitigen Freiheitsstrafe, also keiner lebenslangen. Für Benedikt Toth war das aber zu keinem Zeitpunkt ein Thema.
Wittig: "Toth hat sich sehr verändert, ist unglaublich hart geworden"
Wie geht es Ihrem Mandanten heute nach 13 Jahren Haft?
Er hat sich sehr verändert, ist unglaublich hart geworden. Man will sich gar nicht vorstellen, dass er so lange Zeit unschuldig im Gefängnis sitzt.
Halten Sie ihn denn für unschuldig?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sich aus diesem Urteil niemals die Berechtigung für lebenslange Haft ableiten ließ. Hinzu kommt, dass Benedikt Toth ein intelligenter Kerl ist, der kein solches Risiko eingegangen wäre: Erst am helllichten Tag in die Parkgarage zu radeln, durch die Baaderstraße, wo er bekannt ist wie ein bunter Hund. Und dann in der ersten Vernehmung auszusagen, er sei zuhause in der Badewanne gelegen – wohlwissend, dass die Nachbarschaft befragt werden würde. Das passt doch nicht zusammen! Wenn jemand so eine Tat plant, dann plant er auch ein unwiderlegbares Alibi.
Wenn er nicht der Mörder war, wer hat Charlotte Böhringer dann getötet?
Was wir da alles überlegt haben! Gab es ein Verhältnis? Dann war da diese Geldanlage-Geschichte, wo eine hohe Summe verloren gegangen ist. Es gab Schwarzgeld – und Personen, die wir für dubios gehalten haben, die Theorie vom Auftragsmörder. Aber wir haben leider keine Möglichkeit, zu ermitteln.
Wittig: "Aufgeben kommt für mich nicht infrage"
Eine Besonderheit dieses Falls ist die große Unterstützer-Gemeinde, die Ihrem Mandanten lange Zeit zur Seite stand. Wer hält heute – neben der Familie – noch zu ihm?
Es gibt noch einige Freunde, die ihn regelmäßig besuchen. Es sind zwar weniger geworden. Aber Herr Toth weist gerne darauf hin, dass von den fünf Stunden Besuchszeit, die ihm pro Monat zustehen, bislang nur eine einzige ungenutzt geblieben ist.
Wie verbringt er die Zeit im Gefängnis?
Er hat dort eine kaufmännische Ausbildung gemacht und arbeitet seit geraumer Zeit in der Gefängnisbibliothek. Außerdem lernt er Japanisch, liest viel und spielt Klarinette und Saxofon.
Kann er in absehbarer Zeit mit Hafterleichterungen rechnen?
Das dauert noch.
Sie kämpfen nun schon seit 13 Jahren für ihn. Haben Sie nie ans Aufhören gedacht?
Natürlich kostet das Substanz. Aber Aufgeben kommt nicht infrage. Das Unrecht ist mein Motor.