"Totentanz in den Läden": Trachtenverkäufer wollen finanzielle Unterstützung

Eine weitere Branche kämpft ums Überleben: In München müssen die ersten Trachtenläden wegen Corona schließen. Mit einem Brandbrief appellieren mehr als 100 Händler an die Regierenden.
Nina Job
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Gähnend leer: In der "Almliebe" bleiben - wie in allen Trachtengeschäften - die Kunden aus.
Gähnend leer: In der "Almliebe" bleiben - wie in allen Trachtengeschäften - die Kunden aus. © Sigi Müller

München - Die Fenster des Traditionsgeschäftes "Tracht und Mode" in der Burgstraße sind liebevoll geschmückt: Künstliche Tannenbäumchen stehen zwischen edlen Dirndljacken und Jankern. Drumherum liegen oder hängen Wärmflaschen mit flauschigem Filzbezug in Herzform und kunstvoll geformte kleine Schweinderl und andere Tierchen aus Filz - ein originelles Accessoire zum Anstecken.

Trachtenläden in München momentan oft leer

Doch kaum jemand nimmt Notiz von der schönen Dekoration, geschweige denn, kauft etwas. Die Altstadt ist unter der Woche oft wie ausgestorben. "Ein Kunde war heute da", erzählt die Inhaberin von Tracht und Mode am Mittwochnachmittag. Ein Paar Filzpantoffeln hat er gekauft.

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Es ist überall das gleiche traurige Bild in den Trachtengeschäften. Nicht nur in der Altstadt. Eine ganze Branche droht, vor die Hunde zu gehen - und damit ein Stück bayerische (Lebens-)Kultur. Rund um den Viktualienmarkt mussten bereits drei Trachtengeschäfte schließen, darunter die Filiale des Familienunternehmens Steindl Trachten im Rosental.

Durch Corona "Totentanz" in den Geschäften

"Es ist Totentanz in den Geschäften", sagt Axel Munz, Geschäftsführer von Trachten- und Ledermoden Angermaier. Sogar er als Branchenführer schreibt "brutal rote Zahlen". Axel Munz sagt: "Die Situation ist katastrophal."

Wohin man auch schaut: Die Kunden bleiben weg. Trotz Bestlage mitten in der Fußgängerzone ist am Mittwochnachmittag kein einziger Kunde bei Trachten Steindl in der Neuhauser Straße zu sehen. Ein Verkäufer näht auf der Verkaufstheke einen Knopf an einen Janker. Sein Kollege steht rum. "Ab und zu geht mal ein Kinderdirndl als Weihnachtsgeschenk oder ein Paar Kuschelsocken", erzählt der Mann mit der Nähnadel. "Das war's."

Viele Trachtengeschäfte nur noch an drei Tagen geöffnet

Da es sich nicht mehr lohnt, öffnen einige Trachtengeschäfte mittlerweile nur noch von Donnerstag bis Samstag. Darunter das große Geschäft Daller-Tracht in der Schleißheimer Straße gleich am Stiglmaierplatz. Auch die Schwestern Sonja und Stefanie Ragaller öffnen ihr weitläufiges, bayrisch-modernes "Almliebe"-Geschäft in der Hochbrückenstraße gegenüber der Altstadtwache nur noch an drei Tagen in der Woche.

Sonja Ragaller (l.) und ihre Schwester Stefanie.
Sonja Ragaller (l.) und ihre Schwester Stefanie. © privat

"Im Sommer ging wenigstens noch ein bisserl was, da konnte noch Hochzeit gefeiert werden und es gab die Wirtshauswiesn", sagt Stefanie Ragaller, die mit ihrer Schwester auch einen Online-Laden betreibt. Aber jetzt? An manchen Tagen lässt sich überhaupt kein Kunde blicken.

"Tracht ist ein Ausdruck der Freude. Die ist uns abhandengekommen"

Kein Oktoberfest, keine Familienfeiern, keine Feste, Konzerte, Veranstaltungen, kein Theater. Es gibt keinen Anlass mehr, Tracht zu kaufen. "Man kauft sich ja keine Tracht, weil man sie braucht, wie man sich einen neuen Anzug oder eine neue Hose kauft, weil sie abgeschabt sind - Tracht ist ein Ausdruck der Freude und des Lebensgefühls. Das ist uns abhandengekommen", sagt Angermaier-Chef Munz.

Dazu kommt: Die Maskenpflicht und die geschlossenen Wirtschaften dämpfen generell die Kauflust. "Man kann ja nicht nonstop nur einkaufen, man möchte sich auch mal hinsetzen und etwas essen und trinken", sagt Axel Munz.

Brandbrief an Ministerpräsident Söder und OB Reiter

Die Schwestern Ragaller haben sich nun mit großen und kleinen Unternehmen der Branche zusammengetan und einen Brandbrief geschrieben an Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Die Unterzeichner fordern eine vergleichbare Unterstützung wie für die Hotel- und Gastrobranche. Ragaller: "Wir haben bisher kaum Hilfen erhalten."

Weit über 100 Firmen haben unterzeichnet, darunter namhafte Marken wie Meindl, Gottseidank und Hammerschmid. Aus dem Trachtenhandel haben unter anderem Ludwig Beck, Angermaier und Moser Trachten unterschrieben. "Retten Sie eine Branche, die nicht nur Bekleidung herstellt und verkauft, sondern die Tradition erhält, die Zusammengehörigkeit erzeugt in den Städten und in den kleinen Gemeinden und Vereinen, die für ein modernes bayerisches Bild in der Welt sorgt und die zum bayerischen Kulturgut maßgeblich beiträgt!", heißt es in dem schriftlichen Appell der Branche.

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19 Kommentare
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  • am 04.12.2020 17:40 Uhr / Bewertung:

    Klar, nicht eingerückt, warum auch? Trachtenverkäufer wollen einen Zuschlag? Ich auch. Verschiedene Arbeitnehmer auch, doch verschiedene Arbeitnehmer auf Kurzarbeit - die haben mein Mitgefühl! Beste Grüße

  • Tonio am 04.12.2020 17:03 Uhr / Bewertung:

    In einer freien Marktwirtschaft gibt es grundsätzlich ein unternehmerisches Risiko. Diese Regel scheint bei uns aber nicht mehr zu gelten. Unternehmerische Verluste sollen jetzt die Allgemeinheit tragen, während die satten Gewinne der letzten Jahre selbstverständlich beim Unternehmer verbleiben. Was für eine perfide Anspruchshaltung!

  • TomWa am 07.12.2020 12:25 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Tonio

    Wenn die Regierung Ladenschließungen anordnet, Veranstaltungsverbote erteilt, Ausgangssperren verhängt und den katastropgenfall ausruft, wie kann man da noch von freier Marktwirtschaft sprechen ?

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