Tempo 30 in der ganzen Stadt? München macht nicht mit
München - Was haben Paris und Barcelona gemeinsam? Beides sind Großstädte mit Sinn für Kultur, Ästhetik, Genuss - in beiden war Picasso eine Zeit lang zu Hause. Und in beiden regieren Frauen, die ihre Städte grüner und lebenswerter machen wollen.
Dafür haben beide die gleiche Entscheidung getroffen: Autos sollen dort nur noch Tempo 30 fahren. Ab Ende August müssen sich Autofahrer in Paris an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten. Ausnahmen gelten nur noch für wenige große Straßen.
Weniger Lärm, mehr Sicherheit
In Barcelona wird schon seit mehr als einem Jahr Tempo 30 immer weiter ausgebaut. Und seit diesem Mai gilt in ganz Spanien innerorts 30 km/h als Regelgeschwindigkeit.
Die Argumente sind die gleichen wie in Paris: Weniger Lärm, mehr Sicherheit, weniger Schadstoffbelastung, mehr Klimaschutz.
Die Kommunen dürfen selbst entscheiden
Auch in Deutschland wollen sieben Großstädte ein flächendeckendes Tempolimit testen. Vorher müsste aber erst der Bundestag ein Gesetz ändern. Denn über die Regelgeschwindigkeit dürfen Kommunen bis jetzt nicht selbst entscheiden.
Nach der Bundestagswahl könnte sich das ändern. Dann sollen in Aachen, Augsburg, Freiburg im Breisgau, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm Autos nur auf großen Verkehrsadern mit 50 km/h unterwegs sein. München ist bei dem Projekt nicht mit dabei.
Die Grünen zeigen sich enttäuscht
Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher, der als Verkehrsplaner arbeitet, ist darüber enttäuscht: "Wir hätten gleich als erste Stadt vorne mit dabei sein können." Seine Fraktion hatte bereits Anfang des Jahres gefordert, dass sich die Stadt München beim Verkehrsministerium als Modellkommune für Tempo 30 bewirbt.

Doch dazu kam es nicht. Denn es entspann sich ein Streit im Rathaus, der beinahe die Koalition gesprengt hätte. Der Vorschlag sei nicht abgesprochen gewesen, klagte die SPD damals. Man unterstütze keine "Anti-Auto-Ideologie".
Paul Bickelbacher ist jedoch nach wie vor davon überzeugt, dass ein Tempolimit auch in München positive Effekte hätte. Zum Beispiel gehen die Grünen davon aus, dass der Verkehr sicherer würde und dass weniger Lärm und Abgase entstehen - weil der Verkehr besser fließen könne.
Die Stadt muss die Begrenzung immer erst genehmigen
Außerdem glaubt Bickelbacher, dass für Autofahrer die Verkehrsregeln einfacher zu durchschauen wären und dass Tausende Schilder abgebaut werden könnten.
Denn schon heute gilt auf 85 bis 90 Prozent der Straßen Tempo 30. Doch die Stadt muss die Begrenzung, zum Beispiel vor Schulen oder in Wohngebieten immer erst genehmigen - und dafür ein extra Schild aufstellen.
Bereits 2011 habe die Verwaltung Tempo 30 vorgeschlagen und berechnet, dass dann nur noch ein Drittel der Verkehrsschilder notwendig wären, sagt Bickelbacher - nämlich bloß noch 4.000 statt wie heute 12.000.
Die SPD fordert einen Austausch der Schilder
Die SPD sieht das anders. Die Stadt könne die Schilder nicht einfach abbauen, sondern müsste sie austauschen, sagt der Verkehrsexperte der SPD, Nikolaus Gradl. Das sei aufwendig, teuer - und für viele Autofahrer verwirrend.

Außerdem könnte ein flächendeckendes Tempolimit von 30 km/h den öffentlichen Nahverkehr ausbremsen, meint Gradl. Er hält es deshalb für richtig, dass Bezirksausschüsse der Verwaltung einzelne Straßen vorschlagen.
Das sagt das Mobilitätsreferat
Tatsächlich würde sich in München wenig ändern, wenn die ganze Stadt zur Tempo-30-Zone würde. Das antwortet das Mobilitätsreferat auf eine Anfrage der AZ. Allerdings beobachtet das Referat auch, dass sich viele Bürger und Bezirksausschüsse mehr solcher Begrenzungen wünschen.
Gerade, wenn die Stadt in einzelnen Vierteln neue Verkehrskonzepte erarbeiten muss, könne "die Ausweitung von Tempo-30-Abschnitten ein erfolgversprechendes Ergebnis" sein. Auf gut Deutsch: In Zukunft müssen Autofahrer wohl auf noch mehr Straßen abbremsen.
