Tanzschulen-Chefs verraten, wie München tanzt: "Let's Dance hat damit wenig zu tun"
München - Die Tanzschule Wolfgang Steuer gibt es in München schon seit 1975, viele Münchner haben hier das Tanzen gelernt. Seit den Anfängen in der Schützenstraße hat sich jedoch viel verändert – nicht nur die Räumlichkeiten.
AZ: Herr Möller, Herr Grath, Sie bieten Tanzkurse für Gesellschaftstänze wie Walzer und Discofox an und für Schüler veranstalten Sie sogar einen Abschlussball. Müssen Sie sich oft anhören, dass das altmodisch ist?
CHRISTIAN GRATH: Tanzschulen kämpfen nach wie vor gegen ein Image, das ihnen nicht gerecht wird und das wundert mich. Der Unterricht in den Tanzschulen hat sich in den letzten Jahren stetig und stark weiterentwickelt.

Tanzschule in München: "Wir unterrichten nicht mehr so wie in den 80ern"
Inwiefern?
GRATH: Wir unterrichten nicht mehr so wie in den 80ern. Der Unterricht ist wesentlich individueller geworden. Er stellt sich auf die Zielgruppen und auf die einzelnen Lerntypen ein und er ist viel paarbezogener!
CHRISTOPH MÖLLER: Es gibt viele Vorurteile. Oft stellen die Leute fest: Der Ball ist ja gar nicht spießig! Ja, wir müssen den Spagat zwischen Tradition und moderner Zeit schaffen. Deshalb hinterfragen wir zum Beispiel auch, wie zeitgemäß es noch ist, dass Jungen und Mädchen beim Abschlussball zusammen die Treppe runterlaufen. Das sind Themen, die wir bei uns intern debattieren und ich glaube, das macht uns auch stark – und modern!
Hat sich neben dem Unterricht auch das Tanzen in den letzten Jahren verändert?
MÖLLER: Der Trend geht weg von den streng festgelegten Schrittfolgen.
GRATH: Auch das Tanzen ist individueller geworden. Es gibt weniger Gruppentanzkurse für Hochzeiten, dafür mehr Einzelunterricht. Die Brautpaare bringen ihre eigene Musik mit und der Tanzlehrer macht mit ihnen eine individuelle Choreografie.
Im Trend: Individualität beim Tanzen
Woran liegt das, dass Leute lieber etwas Individuelles wollen?
GRATH: Ich glaube, das ist der Zeitgeist. Die Leute sind alle auf der Suche nach irgendeinem Sinn im Leben.
Bedeutet Individualität auch, dass die Leute lieber alleine und weniger paarweise tanzen?
MÖLLER: Früher hatten wir sieben Silberkurse, jetzt nur noch zwei. Das liegt aber daran, dass wir während der Pandemie keine Neukunden anwerben konnten. Es dauert noch, bis wir wieder auf dem alten Stand sind.
GRATH: Es wird aber nicht weniger zu zweit getanzt, die These unterschreibe ich nicht.
MÖLLER: Ich glaube, dass sich viele Menschen nach Corona und mit den Krisen im Moment wieder auf traditionelle Werte besinnen. Eine Tanzschule ist dann der "Happy Place"
GRATH: Urlaub vom Alltag!
Haben sich die Tanzschulen im Laufe der Jahre verändert?
GRATH: Ja. Die Tanzschulen spezialisieren sich vermehrt auf Tanzarten. Früher war es normal, dass man alles anbietet, was im weitesten Sinne mit Tanzen zu tun hat: Paartänze, Ballett, Einzeltanz... Das haben wir heute nicht mehr so, auch die Tanzschulen individualisieren sich und machen zum Beispiel nur Hip-Hop.
Münchner Tanzschul-Betreiber: "Let's Dance ist eine Unterhaltungsshow"
Und Sie sind die richtige Tanzschule für?
GRATH: Gesellschaftstänze, da sind wir Spezialisten. Vom Walzer bis zum Cha-Cha-Cha.
Wer also gerne Let's Dance anschaut und selber so tanzen möchte, kommt zu Ihnen.
MÖLLER: Nein. Das ist eine Unterhaltungsshow, die mit dem echten Tanzunterricht relativ wenig zu tun hat. Das sind ja Tanzsportler, die trainieren jede Woche eine neue Choreo ins Kurzzeitgedächtnis. Bei uns ist Tanzen nicht als Kurzzeiterlebnis ausgelegt. Wir wollen eine dauerhafte Bindung zu diesem Hobby entwickeln.
GRATH: Bei uns wird auch keiner bewertet. Hier tanzt jeder so, wie er mag. Wir geben viele Freiräume. Aber dieses Künstliche, das man in den Tanzsendungen teilweise sieht, machen wir ganz bewusst nicht.
Manche Teilnehmer kommen doch bestimmt mit der Einstellung, nach dem Kurs wie in der Sendung tanzen zu können?
GRATH: Das glaube ich nicht. Höchstens zehn Prozent aller Kunden sind so leistungsorientiert. Die meisten wollen einfach was gemeinsam machen und gemütlich ein bisschen miteinander schwofen.
Tanzschüler in München: Jugendliche, Paare, Singles
Welche Leute tanzen bei Ihnen?
GRATH: Wir haben als Tanzschule im Gesellschaftstanz drei Säulen: die Jugendlichen, die, die mit einem festen Partner kommen, zum Beispiel die Brautpaare. Und die Singles.
MÖLLER: Tanz-Singles! Die Teilnehmer müssen nicht automatisch Single sein (lacht).
Ist die Zahl an weiblichen und männlichen Teilnehmern in solchen Kursen ausgeglichen?
GRATH: Nein.
Also mehr Frauen als Männer.
GRATH: Nicht immer und interessanterweise sind es unter 30 oft mehr Männer. Ich glaube, viele von ihnen haben in der Schule keinen Tanzkurs gemacht und holen es dann nach, weil sie auf eine Hochzeit gehen. Über 30 sind es oft mehr Frauen, aber wir gleichen das mit Gasttänzern aus.
Welcher Tanz wird besonders gerne getanzt?
MÖLLER: Im Moment der West Coast Swing, aber es gibt nicht den einen großen Trend-Tanz. Wirklich wichtig ist die Musik. Es gibt keine extra produzierte Tanzmusik mehr, wir spielen nur Original-Titel.
"Es gibt wenig Tänze, die wirklich out sind"
Und gibt es Tänze, die keiner mehr tanzt?
MÖLLER: Paso Doble ist für mich ein Tanz, der überhaupt nicht mehr angesagt ist.
GRATH: Man findet auch kaum Musik, zu der man direkt Paso Doble tanzen würde. Im Turnierbereich ist es beim Paso Doble seit Jahren dasselbe Lied.
MÖLLER: Es kann ja auch nicht sein, dass wir das Jahr 2023 schreiben, die Spanier verbieten den Stierkampf und wir halten dieses Ritual noch aufrecht. (Paso Doble: tänzerische Darstellung eines Stierkampfes, d. Red.)
GRATH: Es gibt wenig Tänze, die wirklich out sind. Was aber tatsächlich ein bisschen rausgeflogen ist, ist die Samba. Einfach weil man sich dabei unnatürlich bewegt. Und die Leute wollen Authentizität!
MÖLLER: Alles was zu künstlich ist, fällt weg.
Wiener Walzer: Ältester überlieferter Paartanz
Wie ist es mit dem Walzer?
MÖLLER: Das ist ein Klassiker und eine Tradition, an der wir festhalten. Wiener Walzer ist der älteste überlieferte Paartanz, den es gibt! Und es gibt viele moderne Lieder, auf die man gut Walzer tanzen kann.
Wie sind Sie selbst zum Tanzen gekommen?
MÖLLER: Ich hätte nie mit dem Tanzen angefangen, wenn meine Mitschüler nicht angefangen hätten. Ich wollte nicht der einzige sein, der nicht mitmacht.
GRATH: Bei mir war es dasselbe, ich war damals 16. So kommen die meisten rein. Ich komme aus Kempten und da war es normal, dass man einen Tanzkurs macht. Damals war das so: Du brauchst einen Führerschein, einen Schulabschluss - und einen Tanzkurs.
Und ist das heute immer noch so? Kommen viele Schüler?
GRATH: Was in letzter Zeit, wahnsinnig zugenommen hat, sind die Kooperationen mit Schulen. Vor zehn Jahren hatten wir noch eine Schule, mit der wir das regelmäßig gemacht haben, mittlerweile sind es zwischen 15 und 20.
Tanzschule für soziale Kompetenzen
Woran liegt das? Geht das von den Eltern und Lehrern aus?
MÖLLER: Bei den Schulklassen glaube ich, dass die Lehrer und die Elternbeiräte da sehr dahinter sind. Weil sie diesen sozialen Faktor sehen: die sozialen Kompetenzen, die die Jugendlichen entwickeln – was in der Pandemie zu kurz gekommen ist. Die Schüler integrieren sich bei uns wieder in eine große Gruppe außerhalb der eigenen Klasse. In den letzten Jahren war das Sozialleben wegen der Pandemie so eingeschränkt und jeder hat sich nur auf sich selbst konzentriert. Wir schaffen es jetzt als Tanzschulen, dass wir Menschen wieder zusammenbringen. Deshalb haben wir hier auch keinen Spiegel.

Warum das?
MÖLLER: Weil man sich auf den Tanzpartner konzentrieren soll.
Was ist den Schülern wichtig?
MÖLLER: Ich glaube, diese Generation will authentisches Tanzen, nichts Unnatürliches, keine Hebefiguren. Die wollen zum Beispiel die Lebensfreude einer Salsa spüren und die wollen coole Musik. Die Jugendlichen wollen alles, das außenrum passiert, erleben: die Emotionen. Man merkt das, wenn die Mädchen aus dem Schülertanzkurs dem Tanzlehrer ganz stolz ein Foto von ihrem Ballkleid zeigen. Beim Abschlussball tanzen die Schüler dann auch mit ihren Eltern, da sieht man: Tanzen verbindet Generationen. In solchen Momenten fühle ich mich sehr bestätigt, in dem, was ich tue.
Tanzlehrer: Ein vielseitiger Beruf
Ist das für Sie der Reiz am Beruf des Tanzlehrers?
MÖLLER: Ich würde nie wieder was anderes machen wollen. Gerade in der heutigen Zeit, wo alle von der Künstlichen Intelligenz reden, dürfen wir uns noch ein bisschen mit der natürlichen Intelligenz beschäftigen und mit Menschen arbeiten. Das macht mir wahnsinnig viel Spaß, weil der Beruf auch so vielseitig ist. Es ist so viel mehr als "eins, zwei, tap".
Glauben Sie, dass es Tanzschulen noch lange geben wird?
GRATH: Ja, ich glaube, unser Job ist sehr zukunftssicher. Gerade diskutiert man ja viel, wie viele Arbeitsplätze die KI kosten wird. Aber uns als Unternehmen, das mit Emotionen und mit zwischenmenschlichen Kontakten arbeitet, wird's noch sehr lange geben.
MÖLLER: Ich glaube, dass sich die Verwaltung stark ändern wird, durch die KI. Dadurch können wir uns auf die Kunden konzentrieren, was positiv ist.
GRATH: Wir werden als Tanzschule ein Ort für Begegnungen bleiben. Für Zeit zu zweit, die nicht virtuell ist.
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