Streithansl-Atlas: In diesen Stadtteilen fliegen die Fetzen

Wer zieht wo am meisten vor Gericht – und warum? Der Versicherer Advocard hat einen Streitatlas für München erstellt.
von  Sophie Anfang
Friedliches Obergiesing, streitlustiges Bogenhausen: So intensiv zieht man in Münchens Stadtvierteln vor Gericht.
Friedliches Obergiesing, streitlustiges Bogenhausen: So intensiv zieht man in Münchens Stadtvierteln vor Gericht. © az

Recht zu haben ist ein Volkssport. Zumindest regeln die Deutschen Streitigkeiten gerne vor Gericht. Selbst die Münchner Gemütlichkeit hat schon mal ihr Ende erreicht, wenn der Nachbar beim Einparken das Auto gerammt oder der Reiseveranstalter nicht das gehalten hat, was er in seinen bunten Prospekten versprochen hat.

Die Rechtsschutzversicherung Advocard hat bundesweit mehr als eine Million Streitfälle ausgewertet. Dabei kam heraus: Der Münchner zankt mehr als die meisten Bürger aus Umlandgemeinden, aber weniger als andere Großstädter. Und: Zieht der Münchner vor Gericht, geht’s meistens um sehr viel Geld.

 

FRIEDLICHE STADT

 

25,4 Streitfälle gab es 2014 pro 100 Einwohner in München. Im bayernweiten Durchschnitt waren’s nur 18,8. Das ist aber normal: Wo viele Menschen wohnen, kracht’s meist mehr.

Schaut man über Münchens Grenzen hinweg ins Umland sieht man: Nur in Starnberg (25,5) wird mehr gezankt – wenn auch nur ein wenig. Noch ein bisschen weiter weg auf der Autobahn findet man Bayerns Streithansl: Rosenheim (26,6).

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Im Gegensatz zu anderen deutschen Städten (siehe Kasten) ist München eine Insel der Friedfertigkeit. Die Ausnahmen: Bogenhausen und Maxvorstadt. Ersteres ist mit im Schnitt 31,2 Streitfällen ein für ein Nobelviertel konfliktfreudiges Pflaster. In der hippen Maxvorstadt scheinen ebenfalls Menschen zu wohnen, die ihre schicke Altbauwohnung gerne gen Justizpalast verlassen. 30,8 Streitfälle pro 100 Einwohner sind es hier. Friedfertige werden auf der Schwanthalerhöhe, in Giesing und Harlaching glücklich. Hier gibt es nur um die 21 Streitfälle pro 100 Einwohner.

 

DARUM WIRD GESTRITTEN

 

40,6 Prozent der Fälle sind in München „Privatsachen“. Das umfasst eine große Bandbreite: Probleme bei einer Bestellung im Internet oder einer Reklamation, wenn das Gekaufte nicht funktioniert.

Konkreter wird’s bei Platz zwei und drei: „Verkehr und Mobilität“ mit 21,9 Prozent und „Arbeit“ mit 18,2 Prozent. Trotz Mietwahnsinn landet das Thema „Wohnen und Mieten“ mit 12,3 Prozent nur auf Platz vier.

 

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LANGE UND TEUER

 

Der Gang vor Gericht kann eine zähe Sache sein: In 40,1 Prozent der Fällen dauert’s länger als ein Jahr. Um kleine Summen streitet man in München zwar auch, aber der dicke Geldbeutel, den viele Münchner haben, macht sich auch im Verhandlungssaal bemerkbar. In knapp 43 Prozent der Fälle liegt der Streitwert über 2000 Euro, in 16,3 Prozent der Fälle sogar bei mehr als 10 000 Euro. Das sind immerhin knapp 6 Prozentpunkte mehr als im Bundesdurchschnitt.

Die gut betuchten Landkreise im Süden Münchens können da freilich schon mithalten – vor allem, wenn’s richtig teuer wird. In Starnberg geht es in zwei Prozent der Fälle um einen Streitwert von 50 000 bis 100 000 Euro, in Ebersberg sogar in 2,5 Prozent der Fälle. In München sind’s 1,8 Prozent.

 

FRAUEN STREITEN HÄUFIGER

 

Selbst ist die Münchnerin: Frauen ziehen hier häufiger vor Gericht als im Bundesdurchschnitt (37,4 gegen 32,8 Prozent). Im Verkehr haben sie dabei weniger Ärger als

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deutschlandweit: In München streiten Frauen weniger um Verkehrsthemen (14,3 Prozent) als in Deutschland (20,1 Prozent). Dafür geht’s öfter um die Arbeit (in 20,8 Prozent und damit fünf Prozentpunkte mehr als im Bundesdurchschnitt). Die Erklärung dafür: In München arbeiten anteilsweise auch mehr Frauen als in vielen anderen Regionen Deutschlands. Deshalb gibt es in München auch mehr Frauen, die Ärger im Job haben können.

 

STREITLUSTIGE JUNGE

 

Wer nicht mehr arbeitet, hat mehr Zeit, die er in einen Rechtsstreit investieren kann – dafür aber anscheinend nicht mehr Lust. Denn in München überziehen sich nicht die Älteren mit Klagen, sondern die, die mitten im Berufsleben stehen. Mit jeweils knapp einem Drittel der Fälle liegen die Altersgruppen 36 bis 45 Jahre und 45 bis 55 Jahre hier vorn.

Ebenfalls auffallend: Die jungen Streitenden nehmen zu. Waren es 2012 noch 20,1 Prozent der 18-35-Jährigen, die vor Gericht zogen, waren es bei der aktuellen Erhebung schon 24,9 Prozent. Die Streithansl werden also künftig mehr.

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