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Stammstrecken-Skandal: Bahn liefert nichts Konkretes – Unmut im Stadtrat

Der Ministerpräsident lädt zum Krisengipfel zur Stammstrecke. Die Bahn eiert rum. OB Reiter droht. Nun sollen im Herbst Fakten folgen.
von  Ralf Müller, Christina Hertel
Wie lange wird die Baustelle bleiben? Blick auf eine Baustelle der zweiten S-Bahn Stammstrecke am Marienhof.
Wie lange wird die Baustelle bleiben? Blick auf eine Baustelle der zweiten S-Bahn Stammstrecke am Marienhof. © imago images/Wolfgang Maria Weber

München - Zwei Stunden sprach Bahn-Chef Richard Lutz am Mittwochnachmittag in der Staatskanzlei mit Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und weiteren Teilnehmern aus der Kommunalpolitik über das sich anbahnende Fiasko beim Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München.

Am Ende gab es wieder keine harten Fakten, sondern nur das Prinzip Hoffnung. "Wir sind auf der Zielgeraden, zu wissen, was tatsächlich ist", fasste Söder das Ergebnis zusammen. Für ein weiteres Treffen im Oktober sagte Lutz volle Transparenz zu. Dann werden Bund und Freistaat beraten, wie sie die mutmaßlich stark erhöhten Baukosten finanzieren.

Bahn-Chef Richard Lutz am Mittwoch in München.
Bahn-Chef Richard Lutz am Mittwoch in München. © Peter Kneffel/dpa

Bahn-Chef: Stammstrecke wird teurer und länger dauern

Bei allem Geeiere: Immerhin zu einer halbwegs präzisen Aussage ließ sich der Bahn-Chef hinreißen. "Wir können sicher sagen, dass es teurer wird und länger dauern wird", sagte er. Eine baubegleitende Kommission des Bauministeriums hatte die tatsächlichen Baukosten auf 7,2 Milliarden beziffert und den Fertigstellungstermin mit 2037 angegeben, was in der bayerischen Politik für heftige Reaktionen bis zur Forderung nach einem Baustopp sorgte.

Bei den Zahlen sei man "nicht weit auseinander", meinte Lutz zum Schrecken der Gesprächspartner. Von der Visite Lutz' in München hatten sie sich Genaueres erhofft, doch das blieb der Bahn-Chef schuldig. Doch für den Oktober sagte Lutz harte Zahlen über Kosten und Termine zu. Warum dies seit 2019 nicht möglich war, begründete er mit Umplanungen. Erst jetzt sei die "Planungstiefe" für zuverlässige Zahlen erreicht.

Deutliche Kritik von OB Reiter

Während Ministerpräsident Söder und sein Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) halbwegs freundliche Worte für den Bahn-Chef fanden, schimpfte OB Dieter Reiter (SPD), nach wie vor könne man den drei Millionen Bewohnern der Region nicht sagen, was die S-Bahn-Erweiterung kostet und wann sie nutzbar sein werde. Er selbst stehe zwar hinter dem Projekt, aber jeden Tag greife die "Idee" eines Baustopps mehr um sich, drohte Reiter: "Jede weitere Woche ohne Auskünfte birgt das Risiko, dass der politische Konsens zerbricht", mahnte der OB.

Richard Lutz (l.) und Markus Söder.
Richard Lutz (l.) und Markus Söder. © Peter Kneffel/dpa

Die Stadt sieht für sich ein zusätzliches Problem, weil ein 500 Millionen teures "Vorhaltebauwerk" zur Integration einer zukünftigen U9 auf der Kippe steht. Die Verknüpfung der zweiten S-Bahn-Strecke mit der U9 wird von der Bahn immer wieder als ein Grund für die Verzögerungen und Verteuerungen genannt.

Ein "Weiter so" werde es im Umgang mit dem Projekt und der Beteiligten untereinander nicht mehr geben, versicherte Söder. Er bekannte sich nachdrücklich zu dem Verkehrsbauwerk.


Zweite Stammstrecke im Stadtrat: "Ein Baustopp muss eine Option bleiben"

Seit Wochen hatte der Münchner Stadtrat darauf gewartet, dass die Bahn erklärt, warum sich der Bau der Zweiten Stammstrecke so verzögert und welche Folgen das hat. Schließlich hängen Projekte wie der Bau der U9 mit der Stammstrecke zusammen.

Neue Erkenntnisse ergab das, was der Chef der Bahn in Bayern Klaus-Dieter Josel am Mittwoch schließlich ausführte, aber kaum. Er beharrte weiter darauf, dass die Bahn noch mindestens zweieinhalb Monate brauche, um alle Zahlen zu überprüfen. Das sorgte für Unmut. Der Grünen-Verkehrsexperte Paul Bickelbacher nannte es einen "harten Tag für München". Er sei der Meinung, dass auch ein Baustopp eine Option sein müsse. "Wir müssen uns gründlich anschauen, welche anderen Projekte wir vorziehen können." Gleichzeitig forderte er, dass die Projektgruppe zur Zweiten Stammstrecke, der auch die Stadt München angehört, regelmäßig von dem Monitoring-Team des Freistaats auf den neuesten Stand gebracht werden müsse.

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Auch Fritz Roth von der FDP forderte, dass die Stadt mehr Verantwortung übernimmt: "Wir müssen uns als Stadt noch viel frühzeitiger in solche Projekte einklinken. Die Lektion müssen wir mitnehmen." Er vertritt ebenfalls die Ansicht, dass ein Baustopp eine Option bleiben soll. Tobias Ruff von der ÖDP nannte es "vollkommen blauäugig", dass sich die Stadt so abhängig von der Bahn gemacht habe – denn viele Bauprojekte wie in Freiham und in Daglfing hängen aus seiner Sicht von der ÖPNV-Anbindung und damit von der Stammstrecke ab.

Bekommt München doch noch einen S-Bahn-Ring?

Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) plädierte deshalb dafür, die "Alternativen aktiver in den Blick zu nehmen". Diese könnten den Stadtrat wieder zu einer alten Idee zurückführen: einen S-Bahn-Ring rund um München. Im Süden rückt dieser durch den Bau eines Regionalzughalts an der Poccistraße, der bis 2029 fertig sein soll, zumindest ein wenig näher.

Die Stadträtinnen Sonja Haider (ÖDP) und Brigitte Wolf (Linke) sind sicher: Es war ein Fehler auf die Stammstrecke zu setzen. Wäre von Anfang an eine Ringbahn geplant worden, wäre es billiger und schneller gegangen, glauben sie. Widerspruch kam von CSU-Chef Manuel Pretzl: Eine Ringbahn hätte nicht den verkehrlichen Nutzen gehabt, sei schließlich die Einschätzung gewesen.

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