Zehra Spindler: "Natürlich muss ich kommerziell sein"

Mit Zwischennutzungen wurde Subkultur-Veranstalterin Zehra Spindler bekannt. In der AZ verteidigt sie die Müllerstraßen-Wirte – und erklärt, was die Stadt mehr für die Subkultur tun könnte.
Felix Müller |
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Einst ein Hertie, dan Zehra Spindlers "Puerto Giesing".
az Einst ein Hertie, dan Zehra Spindlers "Puerto Giesing".

München - Zehra Spindler redet immer noch sehr viel, sehr schnell, sehr gerne. Die Gedanken brausen nur so durch den Raum. Zwischennutzung, Subkultur, Underground: Spindler kreist um die gleichen Themen wie damals, 2010, als sie in einer größenwahnsinnigen Aktion den leerstehenden Hertie an der Tegernseer Landstraße zu einem riesigen Kunst-, Kultur- und Party-Haus machte.

Das "Puerto Giesing" war mit einem Schlag der angesagteste, wildeste Ort der Stadt – und Spindlers Name in aller Munde. Spindler ist mittlerweile 48. Letztes Jahr hat sie nach langem Zoff den Kulturstrand (den sie lieber Stadtstrand nennt) machen dürfen. Sie redet, wie gesagt, immer noch wie früher. Doch sie klingt nachdenklicher.

"Für manches muss man jung sein"

Sie sitzt in einem Design-Büro im Schlachthofviertel. Draußen brettern Güterzüge vorbei. Spindler nutzt hier gelegentlich einen Schreibtisch. Die hippste Subkultur-Macherin der Stadt ist sie nicht mehr. Ein paar Straßen weiter betreibt Daniel Hahn den "Bahnwärter Thiel", um die Ecke hat er gerade ein Schiff auf Eisenbahngleise gehievt.

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Eine Super-Sache, findet Spindler. Hahn ist mehr als 20 Jahre jünger. "Für manches muss man sehr jung sein", sagt sie. "Bei mir ist das nicht mehr so." Sie sagt, sie habe "immer noch viel Enthusiasmus". Aber sie müsse doch auch ihre Künstler, Partner, die Angestellten während einer Zwischennutzung bezahlen.

"Ich bin oft in Situationen geraten, in denen ich mich arbeitslos melden musste", sagt sie. „Ich bin oft gescheitert.“ Auf dem Amt treffe man Kollegen aus der Szene. "Die fragen: Du auch hier? Und wollen, dass man es keinem erzählt." Spindler berät nicht nur Kreative, sondern auch Kommunen. Trotzdem stand sie immer auch für die Underground-Szene.

Vieles okay, was die Stadt macht

Inzwischen schimpft sie aber auch über das "Naserümpfen" gegenüber kommerziellen Veranstaltern. "Das muss aufhören – auch bei der Stadt." Was sei schlimm daran, mit einer Zwischennutzung Geld zu verdienen? "Es ist die falsche Botschaft, zu sagen: Ihr Kreativwirtschaftler macht Tolles für die Stadt – aber wenn ihr Geld verdient, zeigen wir mit dem Finger auf euch!"

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Spindler wird richtig nachdenklich, wenn sie erzählt, wie Kollegen Taxi fahren müssen, um ihre Familien über Wasser zu halten. "Natürlich musst du kommerziell sein", sagt sie. Spindler schimpft nicht über die Stadt – das fände sie zu einfach. "Wenn du gegen das Establishment bist, gibt es total viel Unterstützung." Sie findet vieles okay, was die Stadt macht. Aber nicht alles.

"Man bräuchte eine kleine Machbarkeitsstudie. Die müssten sagen: Das ist in einem Wohngebiet, das kann nicht klappen." Viele Kollegen könnten sich keine Statiker leisten, die nötig seien, um überhaupt Gutachten für Zwischennutzungen erstellen zu können. Vor ein paar Jahren sei manches einfacher gewesen. Zum Beispiel mit den Anwohnern.

Der Wirt heute? Politiker, Kurator, Diplomat

"Früher stand halt ein Nachbar um zwei Uhr noch mit dem Ohr am Fenster da. Der hat notiert: Um 1.32 Uhr klimpert eine Bierflasche, um 1.48 Uhr lacht jemand", sagt Spindler. "Heute wissen die Nachbarn alle, was sie machen können."  Zum Beispiel klagen. Genau beobachtet sie die Situation an der Müllerstraße, wo die Registratur mit Anwohnern streitet.

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"Früher hat man gesagt: Wer nichts wird, wird Wirt", sagt sie. "Heute musst du alles sein: Politiker, Kurator, Diplomat." Sie ärgert, dass die Wirte für das verantwortlich gemacht werden, was vermeintliche Gäste auf der Straße treiben. Spindler wünscht sich, dass Wirte auch Räume der Stadt zwischennutzen können – was bisher Kulturleuten vorbehalten ist, die eigene Produkte verkaufen, etwa Designern.

Sie selbst würde gerne bald wieder Bier verkaufen beim Kulturstrand. Doch die Chancen stehen sehr schlecht, nachdem die CSU ein neues Vergabe-Verfahren durchgesetzt (und sie fälschlicherweise öffentlich als "SPD-Frau" bezeichnet) hat. Stattdessen wird Spindler an anderen Projekten werkeln – in erster, zweiter oder dritter Reihe.

"Wer bin ich eigentlich?", fragt sie im Gespräch immer wieder. So ganz scheint sie die Antwort nicht zu wissen. Aber von Zehra Spindler, das ist sicher, wird in den nächsten Jahren wieder viel zu hören sein.


Leseraufruf: Die Konflikte zwischen Wirten und Anwohnern nehmen zu. Was ist die Lösung, liebe Leser? Schreiben Sie an leserforum@ az-muenchen.de oder an Abendzeitung Lokalredaktion, Garmischer Straße 35, 81373 München

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