Videothek-Aus nach 36 Jahren: "Ohne Erotik geht gar nichts"
München - An den Schaufenstern kleben bunte Poster, die wuchtige Prozente anbieten. Die grellen und auffälligen Farben an den Außenfassaden erinnern ein wenig an die stilistischen Macken der alten Zeit. Und auf einer Glaswand haftet ein Aufkleber, auf dem steht: „Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe“.
Das große Videotheken-Sterben hat längst begonnen, abzählen kann man die Überbleibsel aus den Tagen der Achtziger und Neunziger in eigentlich jeder Stadt an einer Hand.
Die älteste Videothek Münchens hat alle Phasen überstanden: vom Anfang, als die bunten Läden sich noch rasch vermehrten, bis hin zum langsamen Verfall, den legale und illegale Streaming-Dienste herbeigerufen haben.
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Talat Aktas ist der Besitzer dieser Videothek, die nun nach 36 Jahren am 25. Juni schließt. Er hat langjährige Erfahrung mit der Branche, übernahm die Filiale 2004 von einem befreundeten Partner und versucht seitdem, das Überleben von Filmkassette und DVD zu sichern.
Schlendert Aktas durch seine 70 Quadratmeter große Filiale an der Frundsbergstraße und begutachtet die Filme in den Regalen, dann mag das für die jüngere Generation altmodisch wirken. Es riecht staubig, die Filme sind in Kunststoff-Hüllen nach Genres in Holzregalen geordnet, nicht in digitalen Ordnern auf einer Webseite. Rund 2500 Filme hat er im Angebot. Im Vergleich zum angesagten Streaming-Dienst Netflix ansehnlich: Der hat zwar 365 Serien, oft sogar aus Eigenproduktion, aber gerade mal 1451 Filme im Online-Katalog. Was ist es dann, das Leute wie Talat Aktas dazu zwingt, ihre Videotheken aufzugeben?
„Die Leute sind faul geworden“
Das Angebot sei trotzdem noch zu klein, erklärt er der AZ. Es müsste schon um ein Vielfaches größer sein. So muss Aktas durch andere Dinge punkten. „Die Online-Dienste, vor allem die illegalen, gewinnen durch einen Aspekt: Bequemlichkeit“, glaubt er. „Die Leute sind faul geworden, nehmen ein limitiertes Angebot und mindere Qualität in Kauf, nur weil sie alles lieber vom Bett aus erledigen als mal kurz vor die Tür zu gehen.“
Mit seiner Idee zu einer neuen Filiale, die am 20. Juni in der Landsberger Straße eröffnen wird, will er der Konkurrenz aus dem Internet den Kampf ansagen. 30 000 Filme auf 500 Quadratmetern soll es dort geben, die eine Hälfte Blockbuster, die andere Hälfte Erotik.
Im hinteren Teil der Videothek liegt dieser Bereich, der in eigentlich jeder noch verbleibenden Videothek Deutschlands zu finden ist. Er ist ein wenig versteckt, so dass jüngere Kunden nicht so leicht hineinblicken können. „Ohne Erotik geht gar nichts“, sagt Aktas. Klingt skurril, ist aber so: Es leihen mehr Leute Pornos als normale Filme aus.
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Vor allem ältere Kunden leihen sich die Erotikfilme aus
Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Entweder suche der Kunde nach etwas, das er nicht im Internet, aber dafür in der Erwachsenen-Abteilung der Videotheken findet, sagt Aktas. Oder der Kunde sei älter und somit gar nicht recht mit dem Internet, sondern mit althergebrachten Methoden wie dem DVD-Rekorder vertraut.
Die Filiale ist gut besucht. Fast durchgehend schlendern Kunden zwischen den Regalen hin und her, bleiben stehen, nehmen eine noch leere Plastikhülle in die Hand und laufen weiter. „Manchmal kann das auch mal eine halbe Stunde oder mehr dauern“, erzählt die Verkäuferin hinter der Ladentheke. „Die lassen sich dann schön viel Zeit und nehmen gleich drei oder vier Filme mit.“
Drei Filme gibt es für vier Euro pro Werktag. Deutlich günstiger als bei Streaming-Anbietern wie Amazon oder Maxdome, wo man im Durchschnitt den gleichen Preis für einen einzigen Film bezahlt.
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Wenn die Kunden sich mal nicht entscheiden können, dann sind die Verkäufer am Zug. „Die Beratung“, so der Ladenbesitzer, „ist der wichtigste Faktor für eine erfolgreiche Videothek. Damit heben wir uns von den Online-Diensten ab, noch viel mehr als mit einer größeren Auswahl.“ In Videotheken kann die allerdings auch sehr subjektiv ausfallen. Bei Online-Diensten wird auch „beraten“, nur eben nicht persönlich, sondern über Algorithmen, die den Geschmack des Nutzers nachempfinden sollen. Aktas’ Kunden wünschen sich aber eben manchmal eine Beratung von Angesicht zu Angesicht.
Die persönliche Beratung könnte die letzte Chance sein. Wenn die älteste Videothek Münchens schließt, dann verbleiben gerade einmal zwölf in der Stadt. Vor zehn Jahren waren es noch rund 100. So werden die Videotheken langsam, aber sicher zum Relikt.
Wie lange Talat Aktas durchhält, weiß er selber nicht. Vielleicht gibt sein Lieblingsfilm einen Hinweis. Es ist ein Klassiker aus dem Jahr 1992: „Der letzte Mohikaner“.